Heinz Plomperg

Alter Postplatz


Скачать книгу

sich von klein auf für Geschichte interessiert, hatte schon früh begonnen, all jene Prinzen und Prinzessinnen, Helden, Ritter und Königinnen der Märchen und Sagen mit real existent gewesenen Personen der Geschichte zu verknüpfen. Immer mehr hatten sie dabei die Frauen interessiert, wie Maria Theresia, die Gönnerin ihrer Familie, die glanzvollen und unheimlichen Regentinnen Frankreichs, die unglücklichen und skandalumwitterten Zarinnen Russlands, Englands Königinnen, römische und byzantinische Kaiserinnern, wie Galla Placidia, Justinians Theodora oder die Historikerin Anna Komnena, Mätressen wie Diane de Poitiers, die Pompadour oder die Königsmarck, selbstbewusste, eigenständige Frauen, die nicht unbedingt dem landläufigen Bild ihrer Zeit entsprachen.

      Ihr allgemeines historisches Interesse war bekannt, ihr ureigenes Faible an großen und originellen Frauenfiguren hatte Amelie jedoch stets für sich behalten können.

      Sie hatte im Geiste schon früh beschl0ssen, ein anderes Leben zu führen, als ihr vorbestimmt zu sein schien. Sie hatte dies bloß noch nicht in konkrete Worte, ja nicht einmal Gedanken, fassen können.

      Jetzt war aber etwas zwischen ihr und ihrem russischen Großgroßcousin geschehen, was sich zum einem sowieso nicht mehr rückgängig machen ließ, zum anderen für sie selbst keinen so arg großen Einschnitt bedeutete, jedenfalls noch nicht.

      Zugleich war ihr aber schlagartig klar geworden, dass sie von heute an, den Kreis ihrer Eheaspiranten würde einschränken müssen.

      Es gibt jetzt mehrere Möglichkeiten, so dachte sie. Zunächst kann ich den Russen einfach heiraten. Er hat mir seine diesbezügliche Verantwortlichkeit schließlich schon in Aussicht gestellt. Will ich das? Nein! Ich mag den Mann doch eigentlich nicht.

      Na, schön, für das erste Mal, dieses achso überschätzte erste Mal, abgesehen von jenen Wiederholungen, mochte er seine Bedeutung gehabt haben, aber irgendwie lehnte Amelie jede darüber hinausgehende Verantwortlichkeit des Sergej Sergejewitsch ab.

      Punkt Zwei, so dachte Amelie weiter – und ertappte sich dabei beim nächsten Cognac -, wenn ich wirklich ein Kind bekommen sollte, nach diesem ersten, wenn auch leider nicht einzigem Mal, muss ich auch nicht unbedingt den Russen heiraten.

      Ich werd´ eines Tages pekuniär nicht so schlecht gestellt, ja sogar einigermaßen unabhängig sein und ein Kind von mir kann auch in der Steiermark groß werden. Amelie dachte dabei an so rätselhafte Verwandte wie jenen Großonkel Moritz väterlicherseits und an die ebenso mysteriöse Großcousine Margot mütterlicherseits, alles Leute, die irgendwie innerhalb der Familienpapiere und auf diversen Besitzungen ebenso wohlgelitten, wie unerklärt umher vagabundierten.

      Natürlich wäre ihr „Fehltritt“ in diesem Fall nicht vor dem Papa zu verheimlichen.

      Jedenfalls gedachte Amelie nicht, ihr eventuelles Kind vielleicht in Irland oder auf Malta zu belassen, wie es damals geradezu Mode geworden war.

      Punkt Drei war, „Fehltritt ohne konkrete Folgen“, - brauch´ ich jetzt wirklich noch einen Cognac? Nein, Amelie, halt´ dich zurück! Wenn ich also kein Kind von Sergej Sergejewitsch bekomme, was bleibt dann? Ich muss die Mama irgendwann und irgendwie einweihen, müsste dies aber nicht heute oder morgen und könnte „es“ vor dem Papa noch lange Zeit verheimlichen. Nur, die Mama müsste ihre Intentionen einfach auf die zweiten oder dritten Söhne erweitern, oder auch auf Familien, an die man noch gar nicht gedacht hatte. Papa würde das nicht einmal bemerken. Auf seine heitere, gelassene und desinteressierte Art und Weise, würde er vermutlich jeden drittklassigen Linienschiffsleutnant a´la Mimi Brauners Verlobten als Amelies Gefährten und künftigen Ehemann zur Kenntnis nehmen. Er hielt sich ja für so was von offen und modern!

      Punkt Vier, was, wenn ich gar nicht heiraten will? Nie? Der Papa würd´ es kaum bemerken, eher übersehen, die Mama schon eher und früher hinterfragen, sie war entschieden wachsamer.

      Punkt Fünf war freilich, dass Amelie nur sehr verschwommene Ideen vom Kinderkriegen hatte und dazu keine Idee, an wen sie sich vielleicht wenden sollte.

      Sie konnte für den Moment einfach nur abwarten und das Beste hoffen.

      Amelie wurde schlecht und sie fragte sich, wie sie ihren Eltern beim Abendessen gegenüber sitzen sollte können, respektive all jenen Russen überhaupt noch einmal begegnen sollte. Gott im Himmel, war das Leben aber auch anstrengend! Ob es wohl etwas nützte, demnächst eine Kerze in St. Nicola anzuzünden?

      Sie entschied, dass es an der Zeit sei, Sergej Sergejewitsch zu schreiben.

      Und sie entschied zugleich, sich nicht an Cognac gewöhnen zu wollen.

      Da sie nicht genau wusste, was sie dem Russen schreiben sollte, beschloss sie, zunächst in der Bibliothek Nachschau zu halten, wie denn das so war mit dem Kinderkriegen, vor allem woran man bemerkte, ob es soweit war, denn wie es geschah, war ihr heute klar geworden, wenn auch ohne mütterliche Vorbereitung. Zunächst aber zog sie sich um.

      In der Bibliothek angelangt, stellte sie dann aber fest, dass sich ihr Vater in seinem Arbeitszimmer befand. Er musste wohl in der Zwischenzeit nach Hause gekommen sein.

      Amelie hörte die ruhige Stimme der Frau Wotruba: „Nein, Herr Graf, ich weiß sicher, dass es niemand vom Haus is´. Aber wollen Herr Graf nicht erst die Rosi anhören? Vielleicht kann ja der Herr Doktor noch was machen, dagegen, mein ich.“

      „Die Rosi soll reinkommen.“

      Amelie, mutig durch all den Cognac, schlich auf Zehenspitzen zu der einen Spaltbreit offenen Türe und dankte Gott dafür, dass ihre Mutter auch jener Mode verfallen war, die hundertjährigen und knarrenden Parkettböden mit dicken Orientteppichen zu bedecken. Von der Tür aus konnte Amelie ein junges, blasses und verweintes Hausmädchen sehen, das nach Aufforderung des Grafen Platz vor seinem Schreibtisch nahm. Amelie konnte von links ihren Vater hören, von rechts die Wotruba, sehen konnte sie nur jene verweinte Rosi, von der sie nicht glaubte, ihr jemals schon begegnet zu sein. Musste wohl ein Küchenmädchen sein, das niemals einen anderen Weg nahm, als den aus dem Souterrain über die Dienerstiege in ihre Dachkammer. Ihrem Vater schien sie auch nicht wirklich geläufig.

      „Sie ist also die Rosi.“, meinte er nämlich zur Begrüßung.

      Rosi nickte nur und wollte gleich wieder losweinen.

      „Nur die Ruhe, nur die Ruhe,“ beruhigte sie der Graf, der Gefühlsausbrüche sowieso nicht gerne leiden konnte, schon gar nicht bei Domestiken, „nur, weil sie in der Hoffnung ist, geht ja nicht die Welt gleich unter. Wir Arlingtons haben immer ein gut katholisches Haus geführt, aber wir sind ja nicht katholischer als der Papst.“

      Rosi blickte den Grafen verständnislos an, der begann also seufzend von vorne.

      „Sie ist also in der Hoffnung?“

      „Ja, Herr Graf.“

      „Ist es wer vom Haus?“

      „Nein, Herr Graf.“, Rosi schien sich etwas zu fangen.

      „Und wie weit ist es schon?“, fragte der Graf und da Rosi die Frage offenbar wieder nicht verstand, schaltete sich wieder die Wotruba ein, mit gestelztem, dem schwerwiegenden Anlass gemäßen Hochdeutsch: „Das monatliche Unwohlsein ist vermutlich bereits zum zweiten Male ausgefallen, Herr Graf.“, und dann, in ganz anderem Ton, „Genauer weiß sie´s net, die Menscher schau´n halt net drauf, was soll man machen, Herr Graf?“

      „Kann sie ihn heiraten?“, fragte der Graf und da die Hälfte der Fragen von der Wotruba beantwortet wurde, da Rosi gleich wieder in unkontrolliertes Schluchzen ausbrach, klang es nicht so, als würde der Graf sie in der dritten Person ansprechen, es klang tatsächlich so, als würden Graf Ludwig und die Wotruba sich über eine dritte, nicht im Raum befindliche Person, unterhalten.

      „Nein, kann sie net,“ sagte die Wotruba jetzt lakonisch, „ weil er schon verheiratet is´. Ein Hallodri is er, ein Strizzi, Kellner in an´ Wirtshaus im Prater.“

      Es war eindeutig, die Wotruba war einigermaßen verzweifelt. Sie war streng zu allen Dienstboten, aber zu den weiblichen, vor allem den jungen,