Heinz Plomperg

Alter Postplatz


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nachzureichen, schloss Vorhänge und löschte da und dort die ersten Lichter. Es funktionierte auf diese Art immer, dass die Gäste das Feld räumten und zu den anderen stießen, so dass sich der Große Salon wieder füllte, ehe sich die Gesellschaftsräume gänzlich leeren würden. Hannes wollte eben das Licht im Ägyptischen Kabinett löschen, als Komtess Amelie diesem enteilte, ohne die Tür hinter sich zu schließen. Als Hannes eintrat, fand er den jungen Russen vor, der ihn etwas verlegen anblickte.

      „Es tut mit leid“, begann er im schönsten Französisch, „aber ich habe meinen Cognac verschüttet.“, und deutete auf den Tisch, auf dem zwei Schwenker standen, Arlington-Kristall natürlich, „Ich bin manchmal zu ungeschickt.“

      Hannes betrachtet kritisch die Cognaclacke, die sich auf dem mit reichen Intarsien besetzten Kirschholztisch breit machte und meinte dann in seinem besten, seinem allerbesten Schulfranzösisch, das freilich ein starkes Wiener Timbre hatte, Monsieur le Comte möge doch bitte unbesorgt sein. Danach suchte er eines der Dienstmädchen.

      Der Russe schien nicht recht zu wissen, was er tun sollte und Hannes half ihm, indem er darauf hinwies, im Großen Salon werde jetzt die Familienspezialität gereicht, der berühmte Portweinpunsch.

      Er war sich nicht sicher, ob ihn der Russe verstanden hatte, weil er sich mit einem Male nicht mehr sicher war, was „Punsch“ auf französisch hieß, aber auch für den Fall, dass jener nur „Portwein“ oder „Großer Salon“ verstanden hatte, er empfahl sich jedenfalls dankend.

      Etwas später dann fand Hannes die Komtess Amelie und den jungen Russen so weit entfernt voneinander im Großen Salon, wie es nur irgendwie möglich war, ja sie entwich sogar nach einiger Zeit mit Fräulein Brauner und Baroness Helene in einen kleinen Nebensalon, wo sich mit anderen Altersgenossinnen ein Damenkränzchen entwickelte.

      Hannes, der wusste, dass die Gräfin Eugenie selbst überall ihre Augen hatte, aber eben beim besten Willen nicht überall zugleich sein konnte, entschied für sich, den jungen Russen nicht mehr aus den Augen zu lassen. Irgendetwas musste zwischen den beiden im Ägyptischen Kabinett vorgefallen sein, soviel war klar, mehr jedoch nicht. Er winkte Franz zu sich. Jener war als persönlicher Diener des Grafen Ludwig jeglichen gewöhnlichen Serviertätigkeiten abhold, bei größeren Gastlichkeiten jedoch immer unterstützend anwesend, nahm Wünsche entgegen, die er dann von den gewöhnlichen Dienern und Dienstmädchen ausführen ließ, wies dezent den Weg zu den gewissen Örtlichkeiten, rief Wotruba Senior oder den Portier, wenn dieser oder jener Wagen gewünscht wurde, oder man einen Fiaker brauchte, war Ludwigs Verbindung zur Küche, wie es Mademoiselle für Eugenie war.

      „Behalt´ mir den jungen Russen im Auge.“, meinte Hannes schlicht und Franz bedurfte keiner weiteren Erklärung, fragte auch nicht nach, vermutete seinerseits lediglich, jener Gast habe wohl schon zuviel getrunken und Hannes sei in Sorge wegen des Portweinpunsches, der bei manchen Personen sehr anregend wirken konnte, bei anderen jedoch auch verheerende Wirkung zeigen mochte.

      „Der Belgierin sollt´ noch wer an´ Kaffee bringen ... ,“ meinte er statt einer eigentlichen Antwort, „ ... und der Brauner würd´ sich, glaub´ ich, mittlerweile über ein kühles Bier mehr freu´n, als über an´ Punsch.“

      Auf diese Art und Weise tauschten die beiden jungen Männern während der Gesellschaften ihrer Herrschaft allgemein ihre Informationen über die Gäste aus.

      Der berühmte Portweinpunsch im Hause Arlington bestand aus etwa zwei Dritteln Port und einem Drittel Wasser, einer Mischung, die bis kurz vor dem Siedepunkt erhitzt wurde und dann - mit Zuckersirup, Zitronensaft, Muskat und Zimt angereichert – serviert wurde, einer der Höhepunkte der Arlingtonschen Gastlichkeit, wenigstens zwischen Oktober und März, denn zwischen April und September war es allgemein eine Bowle mit Früchten der Saison.

      Der Punsch jedenfalls und vor allem dessen Wirkung, lenkte die gesammelte Aufmerksamkeit der Gäste von Gesprächen ab, die vielleicht eben am Erlahmen waren und führte nahtlos vom Höhepunkt der jeweiligen Gastlichkeit zu deren nahendem Ende. Er machte schlicht und ergreifend rasch betrunken und so sehr die Diener auch bei den Damen und bereits angeheiterten Gästen mit heißem Wasser aus silbernen Kannen verdünnen mochten, allgemein begann man sich nach dem Punsch langsam aber sicher zurückzuziehen, ein Effekt, der erwünscht war, weil es den Gastgebern dadurch leichter wurde, auch die redseligsten Zeitgenossen zu einer angemessenen Uhrzeit wieder loszuwerden, weshalb die genaue Rezeptur auch von Gräfin zu Gräfin, von Köchin zu Köchin flüsternd weitergegeben wurde und die Generationen solcherart überdauerte.

      Hannes entspannte sich auch wieder, als er merkte, dass jenes Damenkränzchen um die Komtess Amelie sich ebenso wenig aufzulösen gedachte, wie ein Herrengespräch zwischen dem jungen Russen, dem Grafen Philipp, Fräulein Brauners Verlobten und anderen jungen Herren. Die ausländischen Herrschaften zogen sich peu á peu zurück und man begann immer mehr, en famille zu werden, sofern man die Familie Brauner dazu zählte, was man allgemein tat.

      Graf Sergej Senior und Graf Ludwig bildeten ein Triumvirat mit Herrn Brauner, während Gräfin Eugenie sich im Gespräch mit Gräfin Maryna verlor. Frau Brauner, aus einfacheren Verhältnissen stammend und des Französischen nicht mächtig, - eine Tatsache, die Hannes eine gewisse Überlegenheit vermittelte -, beriet sich angesichts der bevorstehenden Hochzeit ihrer Tochter mit einer mit den Arlingtons weitläufig verschwägerten Generalwitwe, die eben die dritte von vier Töchtern verheiratet hatte - und war auch glänzender Laune.

      Ja, dachte Hannes, die Gräfin versteht es, eine Gästeliste zusammenzustellen und die Mutter versteht es, alle zufrieden zu stellen. Hannes fühlte sich in seiner Rolle als sozusagen subalterner Gastgeber wohl. Manchmal dachte er daran, sich den Arlingtons zu entziehen und in die Gastronomie zu wechseln, etwas eigenes zu schaffen, vielleicht nicht unbedingt etwas in der Größenordnung des benachbarten Hotels „Zur Eisernen Krone“, aber vielleicht wenigstens ein Restaurant, eines aber, das auch Buffets lieferte, denn den Glanz eines Adelspalais wollte er wieder auch nicht missen. Jetzt aber wischte er alle persönlichen Gedanken beiseite und kümmerte sich um die weitere Verteilung des Punsches.

      Amelie war entsetzt, schockiert und auf irritierende Weise angenehm berührt.

      Küssen hatte er sie wollen, dieser unverschämte, anmaßende Russe und so gut sah er aus! Sie war verwirrt und düpiert gewesen, ob jener unverfrorenen Attacke des Grafen Sergej Sergejewitsch im Ägyptischen Kabinett und wiewohl sie eben erst vor zwei Monaten sechzehn geworden war und jener Abend erst ihre zweite oder dritte richtige Abendgesellschaft darstellte, hatte sie sich keine Blöße gegeben, hatte weder sich selbst desavouiert, noch den russischen Großgroßcousin oder was immer er genau war, kompromittiert.

      Auch vom kleinen Nebensalon, wo sie mit der albernen Mimi Brauner und der noch mehr albernen Cousine Helene ein absolut albernes Gespräch begonnen hatte, konnte sie ihn beobachten, ihn den Russen, der im Großen Salon seine eigene Verlegenheit überbrückte, indem er wahrscheinlich ein ebenso albernes Gespräch mit Mimis Verlobten und Cousin Philipp führte.

      Sie kam sich den beiden wesentlich älteren Mädchen mit einem Male unglaublich überlegen vor. Sie hatte mit ihren sechzehn Jahren einen siebenundzwanzigjährigen Mann interessiert, noch dazu einen Russen, der die halbe Welt gesehen hatte!

      Gut, Mimi konnte als Tochter eines Prokuristen froh sein, einen Offizier als Bräutigam zu haben, der wenigstens ein klitzekleines „von“ im Namen hatte und von seinen Eltern eines Tages eine Handvoll Zinshäuser in Wien und ein paar Gemüsefelder im Marchfeld erben würde, aber Helene, die neben den Esterhazys und Batthyanys die größte Grundbesitzerin in Deutsch-Westungarn war und einen der größten Wälder in der Südsteiermark besaß, schien überhaupt niemanden für sich interessieren zu können.

      Dabei besaß Helene, Freiin Belasi von Wrenkhfeldt, als Waise und Volljährige das alles wirklich, wurde es auch alles noch so sehr von Verwaltern betrieben und von Advokaten verwaltet. Amelie kam es dabei zunächst nicht in den Sinn, dass Helene vielleicht ihre Unabhängigkeit genießen könne und sich daher die Freiheit und die Zeit nahm, auf den richtigen Gefährten zu warten. Amelie war als Schwester zweier Brüder ihre Zukunft recht klar, Stephan würde das meiste erben, während Niklas irgendeines der Güter als persönliche