Heinz Plomperg

Alter Postplatz


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platzier´, wittern die beiden sofort, dass ich sie verkuppeln will. Ich hab´ aber kein Ehepaar mehr übrig, ich brauch´ alle schon woanders.“

      Ludwig, der einerseits die Tischordnungswut seiner Frau bewunderte, der sich andrerseits nur mehr dunkel erinnern konnte, dass jenes Dîner aus Anlass Herrn Brauners fünfzigsten Geburtstags gegeben wurde, die Gästeliste aber natürlich überhaupt nicht im Kopf hatte, erkundigte sich beiläufig nach in der Nähe platzierten Gästen. Er wurde von seiner Frau sanft daran erinnert, dass zu Ehren Herrn Brauners in erster Linie Geschäftsfreunde des Hauses eingeladen waren, sowie alle möglichen Menschen, mit denen Brauner während der Weltausstellung in Kontakt gekommen war. Dazu die übliche Anzahl an Familienmitgliedern, vor allem jedoch sein böhmischer Cousin und ihre steirische Cousine, die sie zu verkuppeln gedachte. Als Ludwig dann von einem belgischen Industriellenehepaar hörte und einem schwedischen Banquier, einem Witwer zwar, aber „jenseits der Fünfzig, somit nicht gefährlich für Cousine Helene“, so die Worte seiner Frau, schloss er daraus, dass wenigsten an jener Ecke der Tafel französisch gesprochen werden würde, ja müsste und meinte leichthin:

      „Was, wenn wir die Russen einladen?“

      Er hatte nämlich die Erfahrung gemacht, dass man seine Frau am ehesten in ihrer wohlgeordneten Unruhe beeinflussen konnte, wenn man die eigenen Absichten ganz en passant einstreute.

      „Was denn für Russen?“

      Eugenie war so fassungslos, dass Ludwig innerlich triumphierte.

      „Na, eben diesen russischen Arlington. Laut Brauner wohnt er samt Gattin im Hotel „Metropol“. Und wenn er nicht wirklich mein Cousin ist, so ist er doch mein Namensvetter. Das wär doch originell, oder?“

      Jetzt erst wollte Eugenie wissen, was es denn mit jener geheimnisvollen Visitenkarte auf sich habe. Herr Brauner, so Ludwig, sei im Weltausstellungspavillon von einem sehr soignierten Russen in Begleitung einer ebenfalls äußerst distinguierten Dame angesprochen worden, der auf das Schild „Arlington-Kristall, feinste böhmische Glasware“ gedeutet habe und meinte, sein Name sei eben auch Arlington und er wisse, dass seine Familie aus Österreich, respektive aus Böhmen stamme. Es wäre doch vielleicht interessant, herauszufinden, ob man verwandt sei. Er sei sicher noch zwei Wochen in der Stadt und würde sich freuen, mit den hiesigen Arlingtons in Kontakt treten zu können. Laut Brauner, so Ludwig weiter, sprach er übrigens ein ausgezeichnetes Französisch, „nicht das, was Russen oft und gerne für Französisch halten“, so Brauner wörtlich.

      Eugenie war plötzlich Feuer und Flamme. Ein russischer Arlington war die Attraktion, die ihr für diesen Abend noch gefehlt hatte. Sie hatte selbst so halb und halb den Anlass oder Vorwand für jene Einladung vergessen und die Gästeliste unterm Strich für dürftig befunden, was sie natürlich nie zugegeben hätte.

      Mit einem russischen Arlington aber, würde der Abend ungemein bereichert werden, ganz gleich, ob verwandt oder nur namensverwandt, es war originell genug. Natürlich musste man Amelie in die Nähe der Russen platzieren, jetzt wisse sie freilich nicht, was sie mit dem Schweden tun solle.

      „Gleichwie, ich such´ mir gleich eine Einladung heraus, schreib´ ein paar Zeilen dazu und schick den Junior hin, bevor er die Buben abholt, „Métropole“ und Schottengymnasium liegen zwar am jeweils anderen Ende der Stadt, aber was soll´s!“

      Da mit „Die Stadt“ in Wien stets nur die Innenstadt gemeint ist und nicht die ganze Stadt als solche, befand Ludwig die Situation bei weitem nicht so dramatisch wie seine Frau es ausdrückte, aber sie neigte ohnehin immer ein wenig zur Übertreibung.

      Während des Abendessens am selben Tag spitzte sich die Lage freilich noch zu, denn ein Page des Hotel „Métropole“ brachte die Nachricht, dass Comte Sergej Arlington, samt Gattin und Sohn gerne die Einladung annehmen würden.

      „Und Sohn?“, Eugenie kreischte beinahe. „Drei? Wie soll sich das denn jetzt ausgehen? Jetzt hab ich grad noch den Schweden so gut untergebracht! Oh, mein Gott, das ist ja eine Katastrophe!“ Sie zog sich mit Louise noch vor dem Dessert und sehr formlos, geradezu überstürzt, zurück.

      Ludwig, Amelie und die Buben lächelten freilich. Sie wussten, wenn Eugenie etwas für katastrophal befand, war sie in Wirklichkeit erst richtig herausgefordert.

      Im Endeffekt saß fünf Tage später die sechzehnjährige Komtess Amelie bei jenem Dîner sehr nahe beim siebenundzwanzigjährigen Comte Sergej Sergejewitsch und konnte ihn gar nicht leiden. Natürlich sah er gut aus, er sah sogar verboten und unanständig gut aus, aber genau das und eine gewisse selbstgefällige, vielleicht auch nur zu selbstbewusste Art des jungen Russen, ließen ihn in ihren Augen und sonstigen Sinnen geradezu abstoßend erscheinen, wenn auch abstoßend gutaussehend, immer noch! Abgesehen davon, war er ja auch entschieden zu alt für sie!

      Eugenie hatte das gesamte Programm für diesen Abend über den Haufen geworfen und neu gestaltet. Sie hatte die russische Gräfin Arlington, Maryna mit Vornamen, im Café vom Hotel „Métropole“ zunächst allein getroffen.

      Innerhalb kürzester Zeit hatte Eugenie heraus bekommen, dass die russischen Arlingtons katholisch geblieben waren, dass Gräfin Maryna einer polnischen Familie entstammte, Kleinadel zwar, aber mütterlicherseits mit Lubomirskis und Zamoiskis verwandt, mit Radziwills wenigstens verschwägert.

      Man bewohnte eine Villa in Zarskoe Selo und eine Stadtwohnung in St. Petersburg, nahe des Taurischen Palais, sowie einen Sommersitz auf der Krim. Man lebte, so schien es, hauptsächlich von Petersburger Mietshäusern, besaß aber auch Güter in Polen, Bessarabien, auf der Krim und in der Ukraine. Auch die russischen Arlingtons betrieben eine Fabrik auf einer ihrer Besitzungen, nämlich eine Wodka-Brennerei.

      Ansonsten widmete sich Gräfin Maryna offenbar hauptsächlich ihrer Rosenzucht, teils in hochmodernen, neumodischen Glashäusern nahe St. Petersburg, teils auf der Krim. Die Arlingtonschen Rosen waren bekannt in ganz Russland und en passant, auch ein interessantes Zubrot, wie die Gräfin Maryna leichthin bemerkte.

      Eugenie überlegte, ob die Russen wohl Arlington-Glas in St. Petersburg vertreten würden wollen, wenn sie sogar aus einer Rosenzucht Einnahmen schöpften.

      Zugleich überlegte sie, ob man neben Wein und Obst in der Steiermark nicht auch Blumen züchten könne. Sie musste demnächst mit Ludwig darüber sprechen.

      Sergej Sergejewitsch war Marynas einziger Sohn, sie hatte Zwillinge gehabt, aber das Mädchen sei verstorben, eine Bemerkung, bei der Eugenie das Herz überging, denn ihr war das selbe bei der Geburt Amelies passiert, nur mit einem kleinen Zwillingsbuben. Die Damen hielten es für ausgemacht, dass ihre Männer miteinander verwandt seien, denn die häufigen Zwillingsgeburten bei den Arlingtons waren dort wie da legendär, noch dazu waren es meist ein Mädchen und ein Bub, leider ging es eben nicht immer gut.

      Bevor Gräfin Maryna noch mehr über ihren Sohn erzählen konnte, war dieser zu den Damen gestoßen, hatte seinen Vater entschuldigt und Eugenie bald mit seinem ganzen jugendlichen Charme, seinem blendendem Aussehen und strahlendem Lächeln ganz und gar eingenommen.

      Wieder zu Hause angelangt, hatte sie nach Louise verlangt und sich mit ihr bei Tee und belegten Broten eingeschlossen, anstatt am gemeinsamen Abendessen teilzunehmen. Die Tischordnung wurde völlig neu konzipiert und geradezu sensationell gestaltet.

      Selbstverständlich blieben der Prokurist Brauner samt Gattin und Tochter die Ehrengäste und nach wie vor waren die Gäste großteils bürgerlicher Provenienz, Geschäftsleute, Industrielle und Banquiers. Mit den russischen Arlingtons als zweite Ehrengäste und eigentlicher Attraktion des Abends jedoch, stand Eugenie vor einer echten Herausforderung. Sie platzierte schließlich ihren Mann an der Spitze der Tafel, mit Frau Brauner an seiner Seite, während sie das andere Ende der Tafel einnahm, mit Herrn Brauner zu ihrer Rechten. In die Mitte der Tafel setzte sie den Grafen Sergej, mit ihrer Cousine Helene als Tischdame, sowie vis-a-vis die Gräfin Maryna mit Ludwigs Cousin Philipp als Tischherrn. Amelie saß zwischen Philipp und dem jungen Sergej Sergejewitsch, und Fräulein Brauner neben Graf Sergej und begleitet von ihrem Verlobten, einem im Kriegsministerium tätigen kleinadeligen Linienschiffsleutnant.

      So