Heinz Plomperg

Alter Postplatz


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Neuländer, der sie einerseits einen altmodischen, aber wertvollen Rubinring der verstorbenen Tante Melly kostete, ihr aber andrerseits die Gewissheit brachte, - nach besten Wissen und Gewissen -, dass sie niemals Kinder würde bekommen können. Jene forensische Analyse ihrer körperlichen Befindlichkeiten nahm Amelie wie betäubt zur Kenntnis und vergaß sofort wieder die eigentliche - und einigermaßen langatmige Begründung.

      Danach gab es zunächst einen sehr einsamen Abend für sie, an dem sie sich nach dem Dîner wieder einiges an Cognac gönnte. Mochte sich die Wotruba auch noch so sehr über den ungewohnten Schwund in einer bestimmten Karaffe wundern, für den Moment war es Amelie einerlei.

      Wieder zu sich gekommen, empfand sie ihre Situation denn doch mit einer gewissen Erleichterung.

      Sie war frei. Sie war so frei, wie kaum eine Frau ihres Alters, ihrer Generation und ihre Herkunft, denn sie wusste um diese Freiheit. Um so schockierender und irritierender war diese Gewissheit freilich zunächst für sie.

      Mit neu gewonnener Kühnheit spazierte sie bald danach, - nachdem sie dreist auch noch die Fini losgeworden war -, ins Hotel „Métropole“, konfrontierte den Russen mit den Erkenntnissen und gab sich ihm erneut hin und erneut und erneut, über Tage und Wochen, bei jeder sich bietenden Gelegenheit und solche ergaben sich mit einem Male zahlreich, da sie beide Mittel und Wege fanden, Fini und Arnold zugleich mit den unsinnigsten Aufträgen zu beschäftigen.

      Irgendwann danach, der Winter zog schon ins Land, reiste Sergej Sergejewitsch Arlington samt Eltern und Personal ab, unter allgemeinem Bedauern. Man begleitete sie zum Nordbahnhof, denn die Russen reisten über Berlin und Preußen, und es wurde eine tränenreiche Szene, da die Grafen, die Gräfinnen, die Sprösslinge, ja selbst Fini und Arnold, sich mit ihren Gefühlen nicht zurückhalten konnten. Arlingtons versicherten sich wechselseitig, sich künftig so oft wie möglich zu besuchen. Graf und Graf, Gräfin und Gräfin, Sohn und Tochter, versicherten sich wechselseitig regelmäßiger Korrespondenz. Allein Fini und Arnold waren um die letzten Worte ein wenig verlegen.

      Wochen später, schon knapp vor Jahreswechsel, ergab sich in Ludwigs Arbeitszimmer ein Gespräch, das Amelie irgendwie bekannt vorkam, ohne dass sie es zugeben konnte. Zur Abwechslung war die Fini „in der Hoffnung“ und nach einem etwas hektischem Briefwechsel zwischen Wien und St. Petersburg, wurde der Junior dazu abkommandiert, die Fini unter Mitnahme einer kleinen Mitgift und der nötigsten Aussteuer, nach St. Petersburg zu eskortieren, um ihren Arnold zu ehelichen.

      Fini, die unerfahren, aber nicht dumm war, lernte mit Hannes wie besessen Französisch, während sie den gräflichen Herrschaften in den verschiedensten Varianten für deren Verständnis und Entgegenkommen dankte.

      Amelie bestand in weiterer Folge darauf, die Fini zum Bahnhof zu begleiten, schließlich sei sie ihr persönliches Mädchen gewesen und letztendlich gehöre es sich, dass wer von der Familie dabei sei.

      Man gab Fini Briefe mit und in Amelies Brief an Sergej Sergejewitsch befand sich ein Medaillon mit ihrer Photographie. Der Fini schenkte Amelie schließlich ein schlichtes Goldarmband. Versehentlich fuhr Amelie ohne Begleitung zum Bahnhof, weil ihr neues Mädchen kurzfristig erkrankt war und sich die Eltern nichts dabei dachten, die Tochter zur Rückfahrt allein im eigenen Wagen fahren zu lassen, daher war es Amelie möglich, einen Dienstmann zum Dr. Neuländer zu schicken, mit einem Paar Rubinohrgehänge, passend zum Ring. Dies tat sie aus dem Gefühl einer gewissen Erleichterung heraus.

      Allgemein lehnte man sich im Palais Arlington am Alten Postplatz mit einer gewissen Erleichterung zurück, die russische Affaire einigermaßen schadlos überstanden zu haben. Sowohl Ludwig wie auch

      Eugenie waren weit davon entfernt, die russische Verwandtschaft allzu bald wiedersehen zu wollen, auch das Interesse an verstärkter Korrespondenz hielt sich in Grenzen. Sergej Alexandrowitsch würde Arlington-Glas in Russland verbreiten und Eugenie würde eine Rosenzucht in der Steiermark aufbauen. Fini und Arnold würden heiraten.

      „Noch ein Glück,“ bemerkte Gräfin Eugenie eines Tages gegenüber Baronin Fasching, „dass net mehr passiert ist.“ Und die Baronin, mit der Selbstverständlichkeit der Juden, aus allem gern ein Gleichnis zu machen, meinte: „Gott soll einen hüten, vor allem, was noch ein Glück is´.“

      1881, Alles gerettet!

      Kommerzialrat Anton Kupferwieser, stolzer Besitzer des Hotels „Zur Eisernen Krone“, war mit der Welt zufrieden und mit sich im Reinen.

      Er entstammte einer alteingesessenen Weinhauerfamilie, die ihren Ursprung in Perchtoldsdorf südlich von Wien hatte. Zunächst hatte nichts darauf hingewiesen, dass er einen anderen Weg einschlagen sollte als seine Vorfahren und Verwandten.

      Seine Ahnen ließen sich in Perchtoldsdorf bis Anfang des siebzehnten Jahrhunderts zurück verfolgen. Einzelne Spuren führten sogar noch weiter zurück. Im Ursprung waren sie anscheinend Schmiede gewesen. Einer sehr frühen Urkunde zufolge, die nur verstümmelt die Wirren der Zeit überstand, hatten sie ihren ersten Weingarten auf einer Wiese nahe einer Kupferschmiede angelegt. Daher rührte wohl die etwas eigenwillige Namenskombination.

      Ende des siebzehnten Jahrhunderts stellte man schon mehr dar. Ein Koloman Kupferwieser war 1683 Marktrichter, somit Bürgermeister von Perchtoldsdorf gewesen. Er wurde freilich gemeinsam mit einem Großteil der Perchtoldsdorfer Bürger von den Türken massakriert, die sich solcherart die Zeit vertrieben, indem sie die umliegenden Dörfer, Märkte und Klöster brandschatzten und plünderten, während sie eigentlich zum zweiten Mal innerhalb von 150 Jahren Wien belagerten.

      Ein slowakischer Bursch, so hieß es, der sich in die Burg von Perchtoldsdorf geflüchtet hatte und zwischen Bürgern und Türken als Dolmetscher fungiert hatte, habe des Richters Kupferwiesers einzige Tochter, wohl ein wenig älter als er, vor dem sicheren Tod bewahrt und sich gemeinsam mit ihr verborgen gehalten.

      Nach anderen Berichten hatte er eigenhändig einen Janitscharen erschlagen, um die Richtertochter zu retten.

      Nach der Entsatzschlacht um Wien jedenfalls, hatten die überlebende Kupferwieser-Tochter und der jugendliche Slowake geheiratet und der Pfarrer von Brunn am Gebirge, ebenfalls ein Kupferwieser, der auch irgendwie überlebt hatte, trug das Ehepaar unter dem alteingesessenen Namen ein.

      Derlei geschah oft in jenen Zeiten, um den Anspruch der Überlebenden auf den alten Besitzstand zu sichern.

      Um die Erinnerung an jenes Schicksalsjahr wach zu halten, wurde es unter den Kupferwiesers von da an Brauch, über dem Eingang jedes ihrer Häuser einen Türkenkopf anzubringen.

      Unter Maria Theresia hatte sich dann ein jüngerer Sohn der damaligen Kupferwiesers in Neustift am Walde niedergelassen und Antons Großvater, ebenfalls ein jüngerer Sohn, hatte schließlich eine der wohlhabendsten Grinzinger Erbinnen geehelicht, freilich nicht ohne auch seinerseits einen Türkenkopf über dem Hauseingang deren Elternhauses anzubringen. Mittlerweile gab es nur mehr in Grinzing Kupferwiesers, aber von Perchtoldsdorf im Süden bis Grinzing im Nordwesten eine ganze Anzahl ehemaliger Kupferwieser-Anwesen an den Hängen des Wienerwaldes, wo sie den für sie so typischen Türkenkopf hinterlassen hatten.

      Allem Wohlstand zum Trotz, war die Arbeit im Weingarten hart und krümmte auch den reichsten Weinhauern früher oder später den Rücken. Anton war der einzige Sohn und das älteste Kind vor vier Schwestern, die er nach dem frühen Tod seiner Eltern alle erst verheiraten und ausbezahlen hatte müssen, ehe er selbst auf Brautschau hatte gehen können. Er hatte Neffen und Nichten von Stammersdorf nördlich der Donau bis Gumpoldskirchen weit im Süden Wiens und alle folgten der Familientradition und blieben dem Weinbau verbunden, freilich ohne noch irgendwelche Türkenköpfe irgendwo anzubringen.

      Unter Weinhauern galten allgemein nur Erben und Erbinnen anderer Weingärten als zulässige Ehekandidaten. Anton aber hatte die fröhliche, lebhafte Hermine Kampthaler geheiratet, eine rundliche Blondine, die einer Wiener Fleischhauer- und Gastwirtsfamilie entstammte. Ihr