Heinz Plomperg

Alter Postplatz


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      Anton hatte sich zunächst sehr gefreut, die Arlingtons als Stammkunden begrüßen zu können. Sie speisten nicht nur jeden Sonntag bei ihm, wenn sie in der Stadt waren, sie hatten sich auch angewöhnt, die Buffets für ihre Gesellschaften bei ihm zu ordern und brachten gerne Geschäftsfreunde in seinem Haus unter.

      Der Name Arlington-Glas war in den letzten Jahren innerhalb der Kronländer, aber auch im Ausland, ein Begriff geworden und mittlerweile gab es eben auch eine Glasserie mit der Eisernen Krone Italiens aus dem Domschatz von Monza.

      Hannes Wotruba war Antons unmittelbare Verbindung zum gräflichen Palais und Anton hatte den jungen Mann, mittlerweile Ende Zwanzig, zunächst sehr zu schätzen gelernt. Hannes´ Vater war kürzlich verstorben, wurde allgemein aber wenig vermisst, seine Mutter und er führten den Haushalt der Arlingtons mittlerweile gemeinsam.

      Aber dass er jetzt um die Toni herum scharwenzelte und sie sich das auch noch gefallen ließ, ging entschieden zu weit. Er warf doch seine Tochter nicht einem Grafendiener vor, mehr war der doch schließlich nicht! Er brauchte für seine Toni einen Mann, der Grafen und Gräfinnen in seinem Haus empfangen sollte!

      Hannes würde einen anspruchsvollen und dennoch bequemen Posten im Palais antreten, ein Erbe, dass ihm quasi vor die Füße fiel, aber seine Toni wollte Anton nicht im subalternen Rahmen eines gräflichen Haushalts wissen. Außerdem war der Hannes mit all den gräflichen Reisen auch viel zu viel unterwegs.

      Seine Mittellosigkeit hätte Anton weniger abgeschreckt, denn ein Sohn aus gutbürgerlichem Haus, der sich ganz auf das Hotel konzentrierte und sich ganz den Interessen der Familie Kupferwieser unterordnete, musste keine eigenes Geld mitbringen. Anton hoffte ganz und gar auf einen geeigneten Aspiranten aus der gehobenen Gastronomie.

      Andrerseits konnte und wollte Anton auf das Wohlwollen der Wotrubas nicht verzichten, wovon ja letztendlich das Wohlwollen der Arlingtons unmittelbar abhängig war. Schließlich brachte auch die so seltsam und fragwürdig für sich lebende Komtess Amelie genug Leute bei ihm unter, die in ihrem Haushalt über keine ausreichenden Gästezimmer verfügte. Auch speiste sie des öfteren mit ihren Freunden und Bekannten unabhängig von ihren Eltern bei ihm.

      Antons Diskretion verbot ihm, darüber nachzudenken, warum auch der junge Graf Stephan begonnen hatte, fallweise Zimmer bei ihm zu mieten und welcher Provenienz jene jungen Freunde waren, die er dort empfing. Lediglich der erst zwanzigjährige und so eigenbrötlerische Graf Niklas war vorerst für Anton Kupferwieser nicht relevant.

      Dazu war Dr. Vorhofer zwischenzeitlich ein treuer Stammgast geworden, der ehemalige Hauslehrer der Arlingtons und mittlerweile Advokat, dem die Arlingtons als Abschieds- und Promotionsgeschenk eine Kanzlei samt dazugehöriger Wohnung im Seitentrakt des Palais in der Herzoghofgasse eingerichtet hatten und viele ihrer adeligen Freunde und Verwandten zuführten. Er ließ sich sein Mittagessen in die Kanzlei liefern, oder speiste mit Klienten bei ihm. Er hatte eine Kürschnertochter geheiratet und kam auch manchmal ganz privat, mit seiner Frau oder seinen Schwiegereltern. Da Frau Vorhofer, geborene Engel, über zahlreiche Verwandtschaft verfügte, wurden des öfteren, vor allem zu gewissen Feiertagen, auch Zimmer gebucht. Dass Schwiegervater Engel erst anlässlich seiner eigenen Hochzeit mit einer evangelischen Pastorentochter konvertiert war und Frau Stephanie Vorhofers so zahlreiche Verwandtschaft zum Großteil immer noch jüdisch war, inkommodierte Anton in keiner Weise.

      „Vor Gott sind alle Menschen gleich und vor mir sind alle Gäste gleich, nämlich Gäste.“, pflegte er seinem jungen Personal einzutrichtern.

      Wenn er, - mittlerweile stets im schwarzen Gehrock, mit gestärktem Hemd und Perlennadel im Plastron -, Neuankömmlinge in der Halle seines Hauses empfing, konnte er es sich selbst nicht mehr vorstellen, jemals im Weingarten seinen Rücken gekrümmt zu haben.

      Vorerst richtete Anton es jedenfalls so ein, dass sich Toni und Hannes Wotruba möglichst wenig begegneten. Alle Gespräche bezüglich Buffets und sonstiger Lieferungen ins Palais liefen ohnehin über ihn.

      Sonntags, beim Arlingtonschen Jour Fixe in seinem Haus blieb er lange genug, um Graf und Gräfin samt Tochter, Söhnen, Gesellschafterinnen und den Wotrubas zu begrüßen und fuhr unmittelbar danach mit dem Fiaker in die Döblinger Villa, um dort mit Toni allein zu essen. Die Toni gegenüber gebrauchte und Anton angemessen scheinende Begründung lautete, man nütze die Villa viel zu wenig, könne doch nicht immer in der Stadt sein.

      Nach Tonis Geschmack war man freilich viel zu wenig in der Stadt und viel zu häufig in Döbling. Noch dazu achtete ihr Vater sehr darauf, dass sie niemals ohne Begleitung ausging. Natürlich wollte er, dass sie ausging, schließlich sollte sie ja Leute ihres Alters kennen lernen, vor allem irgendwen jenseits von Hannes Wotruba.

      Die Stubenmädchen des Hotels kamen als Begleitung freilich nicht in Frage, eine bezahlte Gesellschafterin im Stile einer Arlington erschien Anton übertrieben. Außerdem brauchte Anton für seine Toni einen Wachhund, einen Hausdrachen und dachte nicht im Traum daran, ihr - vielleicht auch noch gegen Bezahlung - eine heimliche Verbündete frei Haus zu liefern. Noch dazu, wo Toni sich zu einem entzückend gutaussehenden Geschöpf entwickeln würde, wie bereits jetzt abzusehen war. Sie hatte die lebhafte Freundlichkeit ihrer Mutter geerbt und die dazugehörige Rundlichkeit stand auch nicht in schlechtem Kurs. Kupferwiesers und Kampthalers waren den Freuden der Küche und einem guten Wein nicht abgeneigt.

      Mit Resi Kampthaler, einer Nichte seiner verstorbenen Frau, schien die geeignete Begleitung für Toni gefunden. Resi war Mitte Zwanzig und schien überzubleiben. Achtes Kind von zehn, das sie war, würde sie nur eine geringe Mitgift erhalten, farblos und dürr, wie sie blieb, tendierte sie ohnehin nicht dazu, geeignete Erben von Gasthäusern oder Fleischereien an sich zu ziehen. Anton nahm sie ins Haus auf, verwaltete ihre kleine Mitgift und zahlte ihr ein recht großzügiges „Nadelgeld“.

      Anton ahnte nicht, konnte nicht ahnen, welche Natter er da wohlmeinend an seinem Busen nährte, denn Resi, wie so viele alte Jungfern, respektive junge Frauen, denen dieses Schicksal bevorzustehen schien, sollte eine ähnliche Rolle einnehmen, wie Julias Amme. Resi war nämlich - ganz in der Tradition ihrer verstorbenen Tante Herma - ganz und gar ein Opfer billiger Liebesromane geworden, suchte eine Art von Glück, das ihr nicht gegeben schien, im Glück anderer zu finden.

      Sie war prinzipiell in alle Liebesgeschichten ihrer Schwestern und Freundinnen involviert und mischte sich von Anfang an, ungefragt und gerne in das Leben ihrer Cousine Toni ein. Vorerst aber folgte sie den Intentionen des Kommerzialrats und war strikt gegen Hannes eingestellt.

      Blieb sie mit Toni in der Stadt, kaufte Hannes zur selben Zeit Kaffee bei Julius Meinl, ging sie mit Toni nach Mariahilf, begegneten sie ihm plötzlich und achso unerwartet beim Gerngross, beim Herzmansky oder im Café „Casa piccola“.

      Jedes Mal echauffierte sich Resi auf´s Neue und ließ sich dennoch immer wieder von Toni auf deren Rechnung in die nächstgelegene Konditorei oder Buchhandlung, in ein Wäschegeschäft oder ins Restaurant abschieben. Resi leistete dem freilich nie anders Folge, als unter lauten Bekundungen, das niemals wieder zu tun, aber das nächste Mal wirklich nicht, aber eine gediegene Jause, ein neues Nachthemd, oder ein spannender neuer Liebesroman versöhnte Resi jederzeit mit den Geschehnissen.

      Hannes war diese Art der flüchtigen Begegnungen, mühsam Kupferwiesers Unwillen abgetrotzt, a´la longue natürlich nicht genug. Er war an sich kein berechnender Mensch, wenn auch als Mann nicht unerfahren. Er mochte die Toni, hatte sie aufrichtig gern, aber zugleich arbeitete es in seinem Kopf ganz ordentlich.

      Die Toni war die Traumpartie par excellence! Alle anderen Gspusis, die er sonst noch hatte, konnte er leichten Herzens abschreiben.

      Die Kathi, Verkäuferin in einer Confiserie, hatte ihn schon arg genug in Verlegenheit gebracht und es hatte ihn einen nicht unbeträchtlichen Teil seiner Ersparnisse gekostet, die Frucht ihres Verhältnisses von einer „Engelmacherin“ beseitigen zu lassen. Gottseidank hatte er vom Franz, dem persönlichen Diener des Grafen Ludwig, eine entsprechende Adresse erhalten können, denn der liebe, gute, achso korrekte, vom Grafen überaus geschätzte Franz, richtete unter den Hausmädchen so manchen Schaden an, aber wenn Hannes an jene grausliche Zigeunerin dachte, zu der er die Kathi hatte