Heinz Plomperg

Alter Postplatz


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den jungen Russen mitgeben? Allein ins „Métropole“ zu gehen, war Amelie auch nicht möglich. Schließlich war entweder die Mademoiselle bei ihr, noch dazu nicht ihre Vertraute, sondern die ihrer Mutter, oder Herr Vorhofer, oder mindestens die Fini, ihr persönliches Mädchen!

      Keinen Schritt tat sie jemals allein, weil es sich nicht gehörte. Allein, sie hatte soundso schon etwas Ungehöriges getan und wenn sie and Dr. Neuländer dachte, schien es ihr, als würde sie noch so manches Ungehöriges dazu tun. Die einzige Wegstrecke, die sie jemals allein zurück legte, war der kurze Weg über den Alten Postplatz zwischen ihrer Schule und dem elterlichen Palais. Die einzige Möglichkeit war, eventuell rasch ins Hotel „Zur Eisernen Krone“ abzubiegen und unter irgendeinem Vorwand einen der dortigen Pagen ins „Métropole“ zu schicken. Arlingtons waren dort seit jenem ersten Sonntag mit den russischen Verwandten bestens bekannt und hoch angesehen. Herrn Kupferwieser, dem Besitzer wäre es sicher eine Freude, ihr einen Gefallen zu tun, respektive würde sein Personal eine derartige Intention ihrerseits in keiner Weise in Frage stellen.

      Sie musste nur ein einziges Billet direkt an Sergej Sergejewitsch zustande bringen, denn er konnte ihr jederzeit über Pagen des „Métropole“ eine Nachricht zukommen lassen. Amelie fühlte sich immer mehr wie Marie Antoinette, Sergej Sergejewitsch war ihr Graf Fersen und im Geiste ernannte sie Fini zur Princesse de Lamballe. Nein, das war zu albern, ermahnte sie sich selbst.

      Donnerstags aber ging Gräfin Eugenie stets mit Mademoiselle schon am Vormittag in die Stadt, tätigte diverse Einkäufe, begann bei ihrer Schneiderin, wechselte über die Modistin zum Gabelfrühstück beim Figlmüller oder im Café Rebhuhn, schaute bei der „Schwäbischen Jungfrau“ vorbei, ob sie ihre Tischwäsche wohl auffrischen müsse, hatte eventuell bei Köchert oder Backhausen etwas abzugeben, oder abzuholen, speiste im Hotel „Krantz“ zu Mittag, kaufte Tee bei Schönbichler, begutachtete Teppiche bei Haas am Stephansplatz, nahm einen Kaffee im „Sacher“, sofern sie nicht bei Gräfin Wilczek in der Herrengasse vorbei schaute, oder bei Gräfin Harrach auf der Freyung, die beide Donnerstags empfingen und ihre engsten Freundinnen waren. Sie schloss ihren Tag mit schöner Regelmäßigkeit, indem sie entweder Torten von Demel oder Gerstner, oder aber von einem der neuen italienischen Eissalons „Gefrorenes“ zum abendlichen Dessert nach Hause brachte.

      Ebenfalls Donnerstags konferierte Graf Ludwig üblicherweise gleich nach dem Frühstück mit Herrn Brauner und Herrn von Valenta, hielt die übliche, sogenannte „Wochenbesprechung“ ab, wonach er zum Mittagessen Monsignore d´Allio empfing, den einzigen Kirchenmann, dem er wirklich Vertrauen entgegen brachte. Nachmittags hatte er dann seine Tarockpartie, allgemein mit Graf Garfield, Baron Hilfinger und General de Souza. Für den gar nicht so seltenen Fall, dass Eugenie bei Wilczeks oder Harrachs zum Abendessen blieb, zog sich die Tarockpartie dann oft und gerne bis in die Abendstunden und den Herren wurden belegte Brote in die Bibliothek serviert, während die Kinder mit Hrn. Vorhofer dinierten. Manchmal blieben die „Tarockherren“, wie der Arlingtonsche Hausjargon sie nannte, aber auch gerne zum familiären Dîner, denn Graf Garfield war verwitwet, die Ehe des Barons galt als Schauplatz unerklärter Kriegshandlungen und über die Gefährtin des unverheirateten Generals sprach man nicht, jedenfalls nicht vor den Kindern.

      Wer auch immer am Donnerstag zum Abendessen im Hause war, es blieb der einzige Abend in der Woche, wo man ganz léger blieb und sich nicht umzog.

      Donnerstags hatte darüber hinaus Herr Vorhofer nachmittags Vorlesung, was nicht weiter störte, da im Schottengymnasium an diesem Tag auch Nachmittagsunterricht herrschte, somit die Buben beschäftigt waren. Da alle so emploiert waren, nützte den Donnerstag auch die Wotruba, um den Großteil ihres Wocheneinkaufs zu tätigen, Hannes, die Köchin und mindestens einen der Hausburschen im Schlepptau.

      Es gab also definitiv nur den Donnerstag Nachmittag, an dem Amelie unbeschadet und ungefragt, ihrerseits die unbedarfte Fini im Gefolge, das Haus verlassen konnte.

      Also tat sie es, ging raschen Schrittes, in ihrem erwachsendsten Kleid auf den Portier der „Eisernen Krone“ zu und meinte zugleich in ihrer kindlichsten Diktion, sie müsse ihren russischen Verwandten eine Nachricht ins „Métropole“ schicken, aber sämtliches Personal sei irgendwie in Anspruch genommen und sonst wo unterwegs, ob man ihr wohl mit einem Pagen aushelfen könne, im Namen ihres Herrn Papa? Man würde ihnen allen wirklich aus einer großen Verlegenheit helfen ...

      Sicherheitshalber hatte sie die Fini an der Tür stehen gelassen und noch mehr sicherheitshalber ihr wöchentliches Taschengeld zu einem Trinkgeld anwachsen lassen, das ihr angemessen erschien. Offensichtlich hatte sie den Betrag zu hoch bemessen, denn Portier, zweiter Portier und Page überschlugen sich förmlich, Komtess zu Hilfe zu eilen, aber Hauptsache war, dass der Page in Richtung „Métropole“ ging, dass Kupferwieser nicht auftauchte und die Fini beschäftigte Amelie anschließend noch mit völlig sinnlosen Besichtigungen diverser Geschäfte.

      Amelie hatte tatsächlich lange an jenem Billet gearbeitet, ohne sich eines weiteren Cognacs zu bedienen, denn sie hatte sich an ihrem gewähltesten Französisch versucht und konnte schließlich weder die Louise, noch Madame de Saint-Blair, ihre Französischlehrerin in der Schule, zu Rate ziehen.

      „Lieber Sergej Sergejewitsch, lieber Cousin! Ich entbinde Sie jeglicher Verantwortung mir gegenüber. Was geschehen ist, geschah Ihrerseits und meinerseits zu gleichen Teilen. Wenn Ihnen nur ein wenig an mir liegt, werden Sie mich nicht gegenüber meiner Familie kompromittieren und ich werde desgleichen nichts tun. Ich werde meine Mittel und Wege finden, hier zu bleiben, ohne dass einer von uns beiden zu Schaden kommt.

       Lieber Cousin, wir sind zu verschieden für eine gemeinsame Zukunft, daher bitte ich Sie in aller Form, von einer weiteren Verbindung zwischen uns Abstand zu nehmen. Über etwaige Folgen machen Sie sich keine Sorgen. Ich habe ein Vertrauen zu Gott und genieße das Wohlwollen meiner Eltern.

       Ihre Amelie von Arlington“

      Amelie fand alles was sie sagen wollte etwas holprig ausgedrückt, fehlerhaft und unvollständig, fühlte sich selbst mit einem Male nicht mehr gar so erwachsen.

      Noch am selben Tag jedoch, knapp vor dem Abendessen überbrachte ein Page des Hotel „Métropole“ eine Nachricht von Sergej Sergejewitsch.

      „Liebe Amelie, liebe Cousine! Ich verstehe Ihre Gründe vielleicht besser als Sie denken. Ich möchte nur wiederholen, dass ich bereit bin, die Verantwortung für alles Geschehene, sowohl gegenüber Ihren Eltern, wie auch gegenüber meiner Familie voll und ganz auf mich zu nehmen. Ich kann auch noch in zwei Monaten offiziell um Ihre Hand anhalten, falls es erforderlich ist und falls Sie es wünschen. Falls es wirklich zu ernsthaften Folgen kommt und Sie dennoch keine weitere Verbindung mit mir wünschen, vertraue ich ganz und gar der Stärke Ihrer Person. Jedoch hoffe ich, dass Sie es mich wissen lassen. Im Notfall bitte ich Sie, wenigstens der pekuniären Unterstützung meiner Familie zu vertrauen. Ich möchte in jedem Falle Ihr Freund bleiben und hoffe, dass wir miteinander wenigstens korrespondieren können, wenn ich nach Russland zurück kehre.

       Sehr der Ihre, Sergej Sergejewitsch Arlington“

      Amelie, die den Pagen hatte warten lassen, antwortete kurz.

      „Lieber Sergej, lieber Cousin! Auch Sie finden mich als ganz die Ihre. Mit Ihnen weiterhin in Verbindung zu bleiben, wäre mir tatsächlich eine große Freude.

       Ihre Amelie“

      Und tatsächlich geschah es, dass die nächsten Wochen, welche die russischen Arlingtons noch in der Stadt verblieben, sich Amelie und Sergej Sergejewitsch oft und öfter ganz zwanglos, heiter und ohne Sorge begegneten, fallweise sogar fast allein, die Fini und Arnold, den Diener von Sergej Sergejewitsch im Kielwasser. Arnold, ein Baltendeutscher, machte Fini sogar ein wenig den Hof, so dass die beiden beschäftigt und abgelenkt genug waren. Die elterlichen Arlingtons ließen es gerne dabei bewenden und machten sich weder Sorgen noch Gedanken. Man war sich einig, die Beziehung der Kinder als gute Freundschaft unter Verwandten zu verbuchen, im übrigen sprachen die Grafen viel über Arlington-Glas und die Gräfinnen viel über Arlington-Rosen.

      Mit ein Grund für