Heinz Plomperg

Alter Postplatz


Скачать книгу

weitaus öfters widerfuhr, allein, er wollte es nicht wirklich wissen.

      Natürlich war die Gschicht` mit der Kathi deswegen in die Binsen gegangen und sie hatte mittlerweile einen anständigen Bankangestellten geheiratet, aber Hannes musste sich einfach fragen, wie es weitergehen sollte in seinem Leben.

      Der Vater war tot und die Mutter wurde allmählich alt, das war für niemanden aller Beteiligten zu leugnen. Sie war jetzt Ende Fünfzig und wirkte immer mehr und immer öfter irgendwie unerklärlich erschöpft. Je öfter und je mehr sie erschöpft wirkte oder auch war, desto öfter und mehr lasteten jedoch die Intentionen der Arlingtons auf Hannes´ Schultern, denn ganz selbstverständlich gingen die Gräflichen davon aus, er würde in Mutters Fußstapfen treten und die gräflichen Haushalte mit der selben Verve „schupfen“, wie die Mutter es nun einmal tat.

      „Und wer wird mich heiraten?“, dachte Hannes. Unter den Zofen find ich täglich eine und unter den Hausmädchen täglich zwei, die ich haben könnt, unbedarfte Landeier, die kein Französisch können! Und ansonsten? Kleine Verkäuferinnen, wie die Kathi, Schneiderinnen oder Gouvernanten, gut da könnt ich mir wenigstens eine Schweizerin nehmen, die könnt wenigstens Französisch, kleine, alberne Weibsbilder, deren höchstes Ziel es sein könnte, irgendwann eines Tages Vorsteherin eines gräflichen Haushaltes zu sein.

      Hannes graute bei dem Gedanken und es schüttelte ihn förmlich in der Erinnerung an all jene Mädchen, die sich ihm nach allen möglichen Vorstadtbällen oder Heurigenabenden hingegeben hatten und noch hingeben würden, lediglich um durch ihn vielleicht einen Hauch gräflichen Glanzes zu erreichen. Nein, das waren nicht die Frauen, die er sich als Frau vorstellte.

      Und im Übrigen: wo stand denn, bitte sehr, geschrieben, dass er a tout prix bei den Grafen sein ganzes Leben verbringen sollte, müsste?

      In die Gastronomie einzuheiraten, war Hannes´ erklärtes Ziel und zwar relativ rasch. Er - Ende Zwanzig - wurde nicht jünger, vor allem aber würde es die Mutter nicht und gesünder auch nicht. Er musste eine geeignete Braut finden, bevor die Mutter sich zurückziehen würde, oder vielleicht auch müsste. Sonst pick´ ich bei den Grafen fest bis zum Ende, wie der alte Ferdinand! Jener war Ende des Vorjahres hochbetagt verstorben, während die Gräflichen Weihnachten im Prager Palais gefeiert hatten.

      Ich weiß, dass mich der alte Kupferwieser nicht mag, dachte er. Falsch, korrigierte er sich, er mag mich sogar, aber nicht als Bräutigam von der Toni. Ich bin ihm zu subaltern, ein Grafendiener, nichts weiter.

      Dabei, trotz all dem Geld, wo kommt er denn her? Er, der sich seit kurzem mit dem schönen Titel „Kommerzialrat“ schmücken durfte? Ich hab mir noch nie den Rücken im Weingarten krumm gemacht, wenn ich schon einmal gebuckelt hab, dann wenigstens in einem Salon voll rotem Brokat und weißgoldener Vertäfelungen.

      Ich werd´ kämpfen um die Toni, denn damit kämpf´ ich um meine Zukunft! Und wenn das heißt, dass ich der Resi Theaterkarten und Bonbonieren sonder Zahl zukommen lassen muss, dann soll es mir das wert sein.

      Theaterkarten, durchzuckte Hannes plötzlich eine Idee, Theaterkarten, das ist es! Die Resi lebt doch eh in einer Welt des Romans, der Bühne, der Oper, einer Welt der dramatischen Liebe, wie sie ihr ganz offensichtlich niemals gegeben sein würde!

      Ich erfind´ jetzt einfach was, entschied er. Ich besorg´ der Toni und der Resi ab jetzt alle möglichen Karten für alle möglichen, möglichst kitschigen Stücke, - sind halt von der Gräfin und die Gräfin kann halt nicht. Ich geh´ aber nie mit, mach´ das einfach zu einer Gewohnheit für die zwei, bring´ sie höchstens hin und hol´ sie wieder ab.

      Und irgendwann dann einmal hab´ ich die zwei soweit, dass die Resi allein ins Theater geht und die Toni dann ... allein zu mir kommt.

      Schließlich hab´ ich zwei schöne Zimmer in der Falknergasse und reichlich weit weg von den Zimmern der Mutter und kann mir alles aus der Küche und sonst woher aus dem Haus besorgen.

      Ich muss nur für gedämpftes Licht sorgen, einen kalten Aufschnitt, Cognac, einen dampfenden Samowar, eine Flasche Champagner vielleicht, mindestens aber guten, französischen Rotwein, die Toni ist ein Qualitätsmensch, die Toni erwartet ein gewisses Niveau, um die Toni zu erobern, muss ich hier noch einiges organisieren.

      Während Hannes so vor sich hin überlegte, so im September 1881, saß er übrigens im Arbeitszimmer des Grafen Ludwig, trank dessen Cognac und hatte ganz selbstherrlich seine Füße auf dessen Schreibtisch gelagert, während jener samt Gattin beim Grafen Garfield in der Bukowina zur Jagd weilte und die Mutter außer Haus war.

      Theaterkarten, das war es, das war wichtig, um die Resi zu beschäftigen, ganz einfach! Hannes genehmigte sich noch einen tüchtigen Schluck und nahm sich vor, ab morgen mehr in die Kulturseiten der Zeitungen des Grafen Einblick zu nehmen. Was für ein Glück, dass die Arlingtons nicht besonders interessiert waren an der Theaterlandschaft Wiens und ihm und der Mutter fallweise auch tatsächlich Karten überließen, für Vorstellungen zu denen sie eingeladen waren.

      Hannes musste nur dafür sorgen, dass diese Karten künftig hauptsächlich bei ihm landeten und tunlichst verhindern, dass die Mutter mit Mademoiselle Louise oder sonst wem jene Gaben in Anspruch nahm. Hannes entschied, den nächsten Cognac aus der Karaffe in der Bibliothek zu entnehmen, um Mutter wie Grafen ob seines eigenen Bedarfs weiterhin im Unklaren zu lassen.

      Den ganzen Sommer war er mit mäßigem Erfolg hinter der Toni her gewesen, jetzt im Herbst aber, wo die Theater wieder geöffnet hatten, würde er diese Politik der kleinen Schritte verwirklichen. Außerdem musste er natürlich die wöchentlichen Gewohnheiten des Herrn Kommerzialrates mehr in Augenschein nehmen.

      Hannes versicherte sich der Bundesgenossenschaft vom Franz, der zur Zeit ein Gspusi mit einem der Stubenmädchen aus dem Hotel hatte, da sich im „eigenen“ Haus offenbar im Moment kein lohnenswertes Opfer für ihn finden wollte.

      Die Cilly, Franzens Auserwählte bediente nämlich auch in den privaten Räumen der Kupferwiesers und wohnte auch hier am Platz. Hannes gab Franz zu verstehen, er würde darüber hinweg sehen, falls die Cilly ihre freien Abende hier im Palais bei ihm verbringen würde. Dafür fragte Franz sie ganz nebenbei über die Gewohnheiten des Kommerzialrats aus. Noch lieber wäre es Hannes gewesen, er hätte den Franz für die Resi interessieren können, aber die Cilly, mit ihren barocken Formen und dem lustigen, böhmischen G´sichterl war halt mehr nach seinem Geschmack.

      Der Cilly war es einerlei, denn ein Verhältnis mit einem Grafendiener erschien ihr allemal lohnenswerter als sich vielleicht mit einem der Kellner im Hotel einzulassen.

      So ging es dahin, in jenem Herbst, die Cilly plapperte mit dem Franz, der Franz gab alles Wissenswerte an Hannes weiter und Hannes wusste über jede Abwesenheit des Kommerzialrats Bescheid, oder wann immer jener besonders in Anspruch genommen war. Solcherart konnte er die Zeitpunkte seiner scheinbar so zufälligen Begegnungen mit der Toni immer besser planen und die Theaterabende immer gezielter platzieren.

      Die neue Theaterleidenschaft seiner Tochter fiel Anton nicht unangenehm auf. Die Toni verfügte zwar noch über keine definierte Position im Haus, da sie überall aushalf, um alles kennenzulernen, jedoch zahlte ihr Vater bereits ein festes Gehalt und sie war dazu angehalten, ihre privaten Vergnügungen und den Grundstock ihrer Garderobe davon zu bestreiten. Außerdem war es ganz in Antons Sinne, dass seine Tochter ausging, denn ihm persönlich machte dies schon lange keine rechte Freude mehr. Auch schien ihm, dass jener Hannes sich die letzten Monate deutlich zurück genommen hatte und verbuchte vorerst alles zwischen den beiden als kleine Sommerliebelei.

      In der nächsten Ballsaison geh´ ich mit ihr mehr aus, nahm er sich vor. Schließlich gab es einen Gastgewerbeball genauso wie einen Kaffeesiederball und das waren die geeigneten Orte, um für Toni den geeigneten Mann zu finden.

      Kupferwiesers ganzer Stolz war, seine Speisekarte jeden Monat neu zu gestalten, jeweils der Saison gemäß. Nur wenige Gerichte blieben das ganze Jahr über Standard. Jeweils zur Monatsmitte wurde das Gros des Angebots gewechselt, die sogenannte „Monatskarte“ richtete sich also nicht ganz nach dem Kalender.

      „Die Gastronomie