Heinz Plomperg

Alter Postplatz


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ausgeräumt, um ein junges Mädchen zu beeindrucken?“

      „Oh, mein Lieber, ich hätte noch zu ganz anderen Kalibern gegriffen, das sei uns gewiss!“

      Man näherte sich einander fast bis zu einem Kuss, da zog sich Toni wieder in die bequemen Polster ihrer Couch zurück: „Sagen´S´, das ist doch net´ Ihr einziges Zimmer, oder?“

      Im Hotel war Maître Brix eben beim Wild angelangt, - präsentierte zum Beispiel Trappe a´la daube, Wildschweinkoteletts mit Trüffeln und Sauce a´la Cumberland, Hirschrücken mit Madeirasauce, Filets sautés von Fasanen, Chaud-froid vom Reh, sowie Hasenfilets mit Pfeffersauce und Pilzen, Pastetchen a´la Russe, Erdäpfel- und bayrische Knödel, Kroketten, Speckfisolen, Rotkraut, gebackene Erbsen, Croutons, serbisches Kraut, Schwarzwurzelsalat und ein ganz neues Kompott aus Preiselbeeren und Orangen, - als in der Halle eine gewisse Unruhe ausbrach, die sich bald in den Salon im Mezzanin fortsetzte.

      Einer der Pagen, der Lorenz hieß, sich besonderer Protektion vom Nekowitsch erfreute, der ihn seinerseits stets Laurent nannte - und entsprechend gutaussehend war - platzte plötzlich in die geruhsame Vorkostrunde.

      „Es brennt,“ stieß er atemlos hervor, „es brennt, die Potapova is´ grad´ vom Theater retour! Meineherrn, es brennt!“

      „Laurent,“ räsonierte Nekowitsch nasal „Was brennt, wo brennt´s?“

      „Die Potapova?“, rätselte Löschnig, „Die is´ doch im Ringtheater, oder net´?“

      „Ja eben,“ stieß Lorenz, oder Laurent hervor, „Das Ringtheater brennt!“

      „Waaas?“, Kupferwieser, eine Erdäpfelkrokette halb im Mund, erbleichte.

      „Es hat g´heißen „Alles gerettet“, aber des stimmt net´, ich weiß es vom Baron, der was mit der Potapova reist.“, Laurent bemühte sich, wieder Schriftdeutsch zu werden, „Es is´ ein Feuer ausgebrochen im Theater, dann sind soundsoviel Leute raus´ und dann hat wer gerufen, „Alles gerettet“ , weil keine Leut´ mehr raus´ ´kommen sind. In Wirklichkeit gibt´s aber soundsoviel Tote, weil alle möglichen Leut ´leicht noch drin´sind! Herr Kommerzialrat, Entschuldigung, es will sicher niemand wen nervös mach´n , aber die Potapova ist retour, aber sonst net wer …?“

      „Schon gut, danke, Lorenz,“ Anton Kupferwieser, Hotelbesitzer und Kommerzialrat wirke plötzlich sehr sachlich, „Is´der Baron Lichtenstern noch in der Halle?“

      Lorenz bejahte dies und meinte noch, von der ganzen Entourage der Potapova sei der Baron der einzige, der noch einigermaßen bei Sinnen sei, alle anderen hätten sich völlig aufgelöst auf ihre Zimmer zurück gezogen und außerdem hätten alle so entsetzlich nach Rauch gestunken ...

      Kupferwieser ging nach unten, seine leitenden Angestellten im aufgeregtem Gefolge. Er wirkte würdevoll und ganz Herr seiner selbst, in Wirklichkeit war er wie gelähmt.

      Baron Lichtenstern saß in der Halle, einen Whisky in der Hand und erzählte eben einer aufgeregten Schar an Hotelgästen und Personal von seinen Erlebnissen.

      „Das Feuer brach ganz plötzlich aus, links im Parkett, eine Frau in der ersten Reihe verwandelte sich sofort in eine lebende Fackel. Und dann brach da unten ein unglaublicher Tumult aus, alles drängte zu den Türen, aber die Türen öffneten sich nur nach innen. Die Menschen müssen sich dort schrecklich verkeilt haben, Wir waren glücklicherweise im Ersten Rang, wir sind über den Balkon entkommen, über Leitern und Sprungtücher. Aber unten und oben auf den Galerien herrschte unvorstellbares Chaos, es wurde plötzlich finster und ...“

      Der Baron brach ab, wiewohl man ihm anmerkte, dass es ihm gut tat, wieder und wieder vom Erlebten zu sprechen.

      Kupferwieser baute sich vor ihm auf.

      „Verzeihen Sie, Herr Baron, Sie waren im Ersten Rang?“

      Was der Baron bejahte, dessen ganze jugendliche Lebhaftigkeit plötzlich von ihm gewichen war. Und wie Lorenz oder Laurent wahrheitsgemäß berichtet hatte, stank er entsetzlich nach Rauch.

      „Was können Sie mir vom Zweiten Rang sagen? Baron, meine Tochter und meine Nichte sind dort!“, der Kommerzialrat packte den Baron am Frackrevers, da fiel ihm Frau Schwaninger in den Arm.

      „Der Zweite Rang hat auch einen Balkon nach draußen.“, versuchte sie ihn zu beruhigen, wiewohl sie wusste, dass es nur ein kleiner Balkon an der Ecke war.

      Der Kommerzialrat ließ den verschreckten Baron los und starrte seine Freundin verständnislos an.

      „Es wird am besten sein,“ schaltete sich Frl. Amon ein, „wenn wir einen Wagen zum Theater schicken und ansonsten abwarten.“

      „Einen Wagen, ja,“ der Kommerzialrat war nicht mehr Herr seiner Stimme, „einen Wagen, sofort! Schwaninger, sie bleibt da, Nekowitsch, Lorenz, ihr kommt´s mit. Ich muss weg! Und Cognac und Wodka in die Zimmer der Potapova, frei Haus! Und einen Doktor. Einen Arzt, rasch. Der Neuländer soll kommen und sich die Leut anschau´n. Und bleiben, bis ich wieder da bin.“

      Als das Feuer ausbrach und die Panik unten im Parkett und im Parterre losging, war Resi zunächst völlig erstarrt, absolut konsterniert. Die Dame neben ihr schrie auf, das Mädchen saß da, mit weit offenem Mund, der Herr umarmte die Dame, die Tochter fiel ihm angsterfüllt um den Hals. Der Sohn, der Kadett, erhob sich und sagte tonlos: „Der Balkon, wir müssen zum Balkon.“, dann sah er Resi an und meinte, seltsam förmlich, „Mein Fräulein, wollen Sie sich uns bitte anschließen?“

      Ehe Resi noch nicken konnte, hatte der junge Mann alle drei Pelze der Damen im Griff und öffnete die Logentür. Im selben Moment wurde es vor der Tür, in den Gängen stockdunkel, während im Zuschauerraum das Feuer immer heller loderte und die Menschen panisch und blöde schrieen.

      Auch die Dame und das Mädchen kreischten entsetzt, aber da herrschte der Kadett sie an: „Still! Hört mir zu! Ich kenn´ das Haus, ich weiß den Weg. Wir müssen zum Balkon am Eck. Ich geh ´voraus. Maman, Sie haltet sich an meiner Hose fest, die Lena haltet sich bei Ihnen an, Papa, Sie schieben mir die Lena und achten auf das Fräulein und Sie, mein Fräulein, halten sich am Papa fest. Keine falsche Scham, meine Liebe, ich will nicht grob erscheinen, aber – zum Kuckuck - halten Sie sich an seiner Hose fest.“, der Kadett lachte beinahe, während er bereits husten musste, wegen des Rauchs und zu brüllen hatte, wegen des absurden Geschreis im Parterre und in den Gängen.

      „Mes amis, vor allem eines: achtet nicht auf die andern. Wir sind rücksichtslos und denken nur an uns!“

      Und dann bugsierte sie alle der junge Kadett, - ganz so, als hätte er nie in seinem Leben etwas anderes getan, oder geübt - , durch eine Dunkelheit voll jammernder, wimmernder, namenloser, drängender und tobender Gestalten, nach draußen, während sich hinter, neben, unter und über ihnen hundertfach Wahnsinn und Tod brüllend breit machten.

      Endlich auf dem Balkon angelangt, half der Kadett seiner Mutter, seiner Schwester und danach Resi auf die Leiter, bevor sein Vater und er sich darauf schwangen.

      Ächzend und keuchend fiel Resi einem Feuerwehrmann in die Arme, der sie vorsichtig vis-a-vis zur Börse geleitete, auf deren Stufen ein improvisiertes Lazarett eingerichtet worden war, durch die Arkaden wenigsten einigermaßen vor Wind und Schnee geschützt.

      Dort saß sie jetzt, - ihren Pelz im Arm, ohne Handtasche, ohne Schal und Handschuhe. Der Pelz und die Federn ihres Haarschmucks rochen scheußlich versengt, konstatierte sie, verblüfft ob der eigenen Sachlichkeit.

      Ihren Retter verlor sie aus den Augen. Dafür bemerkte sie, dass allmählich niemand mehr aus dem Theater heraus kam. Irgendwer lief mit den Worten „Alles gerettet!“ durch die Gegend, aber sie schenkte dem keine weitere Aufmerksamkeit.

      Sie hatte gesehen, wie eine Frau in der ersten Reihe sich in eine lebende Fackel verwandelt hatte, sie hatte gesehen, welches Chaos sich daraufhin im Parkett und im Parterre entwickelt hatte und sie wollte gar nicht an all die armen Menschen in den oberen Galerien denken, die so plötzlich der Dunkelheit in den Gängen ausgeliefert waren.

      Sie wollte