Heinz Plomperg

Alter Postplatz


Скачать книгу

schwarzen Schleim von sich, irgendein Feuerwehrmann labte sie mit einem Schluck Wasser, sie lehnte sich dankend und einigermaßen entspannt zurück. Eine Dame, den Pelz lose über das Hauskleid geworfen, - offenbar aus einer der umliegenden Wohnungen -, ging zwischen den Menschen auf und ab und bot Tee an, den ihr Dienstmädchen aus der silbernen Kanne in dickwandige Gläser einschenkte, die ein alter Diener im Korb hinterher trug. Ein Pfarrer stand da und malte ratlos Kreuzzeichen in die Luft.

      Dann sah Resi, - die Rücken zu ihr gewandt -, den Onkel Kommerzialrat, Nekowitsch und den Pagen Lorenz, den die Hälfte der Leute Laurent nannten, ebenso ratlos zwischen den Alleebäumen vor der Börse stehen. Betroffen blickten sie auf das immer noch brennende, rauchende Theater. Es befanden sich keine Menschen mehr auf den Balkonen und Fensterbrüstungen, aber zwischen Theater und Börse war immer noch überall Lärm und Geschrei.

      Ich hab jetzt nur zwei Möglichkeiten, dachte sie, entweder ich schlag´ mich allein zum Hotel durch ... Wird es sehr auffallen, dass ich nach Rauch stink´, und sie nicht? ... Oder ich geh´ in die Falknergasse zur Toni ... Oder aber ich schenk´ dem Onkel reinen Wein ein. Aber wie soll ich das machen, ohne dass der Nekowitsch oder der Lorenz was spitz kriegen?

      Resi raffte sich auf, griff nach ihrem Pelz, - alles andere hatte sie ja ohnehin verloren und näherte sich von hinten ihrem Onkel.

      Der fiel ihr um den Hals: „Resi, oh Resi, was bin ich froh!“, der Kommerzialrat hatte gar seinen Spazierstock fallen gelassen, der Zylinder fiel ihm in der Umarmung vom Kopf, „Verzeih´, mein Kind, wenn i´ so gach frag, aber wo is´ die Toni?“

      „Onkel, schicken´S die Leut´ weg“, flüsterte Resi ihm ins Ohr, „die Toni war nicht im Theater, die Toni hat ein Rendezvous.“

      Anton befreite sich aus Resis Umarmung, hielt sie fest, sah ihr tief in die Augen, die Resi begann zu weinen, „Oh Herr Onkel, ich bin an allem Schuld. Ich hätt´ das nie zulassen soll´n!“

      Der Kommerzialrat straffte sich und meinte, um Leichtigkeit bemüht, in Richtung Nekowitsch und Laurent: „Der Toni geht´s gut. Sie is´ mit der Resi raus´, aber dann haben sie sich verloren. Sie is´ sicher schon am Heimweg. Geht´s zum Hotel. Ich kümmer´ mich um die Resi.“

      Dann setzte er sich mit Resi auf die Stufen vor der Börse. „Kind, du musst mir jetzt alles beichten, ja?“ Resi nickte schluchzend.

      Da kam der Kadett: „Oh, was bin ich froh, mein Fräulein, dass ich Sie wiederfinde. Und man hat Sie gefunden, das is´ fein. Mein Fräulein, mein Herr, darf ich anbieten? Schärfster Slibowitz. Das tut jetzt gut.“, Und er winkte vorgeblich lässig mit einem silbernen Flakon, „Schickt der Papa.“

      Resi nahm dankend an und Anton tat desgleichen, dann erklärte Resi ihre Rettung, Anton wollte sich anerkennend erheben, aber der Kadett winkte ab, jetzt wirklich lässig, und meinte, er müsse jetzt wieder zu seiner Familie, überreichte Kupferwieser seine Visitenkarte. „Kalman Oistic von Castua“

      Anton verabschiedete den jungen Mann, sich nochmals bedankend. Dann zu Resi: „Also, von Anfang an.“, Resi nützte ihr ganzes Schluchzen nichts mehr.

      Etwa eine halbe Stunde später klingelte Kommerzialrat Anton Kupferwieser sehr energisch beim Seiteneingang des Palais Arlington in der Falknergasse.

      Er hatte Resi im Hotel abgeliefert, hatte kundgetan, die Toni befinde sich wohlauf, sei aber noch in der Wohnung eines Arztes am Schottenring, er ginge jetzt zu ihr.

      Er schickte alle leitenden Angestellten dankend nach Hause zum Schlafen und die luxuriösen Wildspezialitäten in den Personalspeisesaal, gab Order, der Potapova und ihren Leuten weiterhin Champagner, Cognac, was auch immer sie wünschten, in die Suiten und Zimmer zu bringen und ließ sich zugleich bei Madame entschuldigen. Dann küsste er Frau Schwaninger die Hand und expedierte sie und die Cilly mit Resi nach oben. Den beiden werd´ ich eh nix vormachen können, dachte er noch, ehe er ging, bestrebt allen anderen sehr wohl was vorzumachen.

      Als er den Platz überquerte, am Hauptportal des Palais vorbei, hatte er den Eindruck, auch dort sei eine gewisse Unruhe ausgebrochen. Der Wagen stand angespannt vor dem sperrangelweit offenen Tor, die Einfahrt war hell erleuchtet, in beiden Ecksalons brannte Licht und andauernd schien irgendwer die wenigstens beiläufig beleuchteten Gesellschaftsräume hin und her zu durchqueren.

      Allein, er konnte sowieso nicht den Haupteingang benutzen, konnte nicht die Gräflichen heraus läuten, denn Hannes Wotruba bloßzustellen, hieße auch, seine Tochter bloßzustellen. Er musste lange und oft läuten, in der Falknergasse, bis ihm endlich ein verschüchtertes Dienstmädchen öffnete. „Kupferwieser, Kommerzialrat Kupferwieser, vom Hotel nebenan. Ich muss sofort zum Hannes Wotruba.“

      Die Nachricht vom Brand war mit einiger Verspätung im Palais eingetroffen.

      Lothar, der Kutscher, hatte im Wagen vor dem Theater ganz nach Kutscherart vor sich hin gedöst, als mit einem Male rund um ihn das Chaos ausgebrochen war.

      Vorsichtig hatte er zunächst – ganz nach Kutscherart - sein Gespann in die gegenüber liegende Nebenfahrbahn vor der Börse geführt, wo er in sicherem Abstand auf die Baroness und den Rittmeister warten wollte.

      Später hatte er einem Dienstmann die Zügel in die Hand gedrückt und direkt vor dem Theater Aufstellung genommen, bis er von den Feuerwehrleuten zurückgewiesen worden war. Nach einer angemessenen Zeit der Ratlosigkeit und als niemand mehr aus dem Theater kam und all die hustenden und aufgeregten Menschen rund um ihn allmählich von Kutschern und Angehörigen aufgelesen worden waren, war er schließlich zum Palais zurück gekehrt und hatte sich beim Grafen melden lassen.

      Der saß noch immer mit dem Franz beim Schach.

      Bevor der Graf noch viel sagen konnte, hatte der Franz die Situation schon im Griff, schickte ein Mädchen nach der Gräfin, nach Mademoiselle und Frau Wotruba, schickte den Burschen des Rittmeisters und einen der Hausdiener zum Theater und befahl Lothar, sich mit der Kutsche vor dem Palais in Bereitschaft zu halten.

      „Ich bin sicher, die Baroness und der Rittmeister haben in einer benachbarten Wohnung Zuflucht gefunden. Der Rittmeister wird uns sicher bald einen Dienstmann mit einer Nachricht schicken.“, meinte Franz noch zum Abschluss, dann blickte er Graf Ludwig fragend an, „Herr Graf... ?“

      „Ja ja, schon gut. Passt alles so. Danke, Franz. Wir schon gut werden. Werden schon heimkommen.“, er sprach seltsam abgehakt, wie man es noch nie von ihm gehört hatte, „Es muss wer beim Theater sein, aber es hat doch kan´ Sinn, wenn wir alle zugleich hinrennen, oder?. Wenn ich nur wüss´t, wen man fragen könnt´?“

      Lothar schlug vor, noch jemanden zur nächsten Polizeiwache Am Hof zu schicken, dort sei doch auch die Feuerwehr, dort solle man Vermisstenanzeige machen und die Adresse hinterlassen.

      „Danke, Lothar, ausgezeichnete Idee.“, lobte der Graf, „Franz, das soll der Hannes machen.“

      Vorher aber kamen noch die Damen, die Gräfin, Louise und die Wotruba. Letztere bot in Nachthemd und Schlafrock einen so ungewohnt unkorrekten Anblick, es schien ihr wirklich nicht gut zu gehen, wenn sie sich so früh schon zu Bett begeben hatte. Louise war außer sich und Gräfin Eugenie so fassungslos, dass sie es nicht über sich brachte, die Fassung auch wirklich zu verlieren.

      Graf Ludwig schickte Franz noch um Kaffee für alle und beorderte die Wotruba ins Bett, niemand könne im Augenblick etwas tun. Man müsse abwarten und beten.

      Das Tête-à-tête der beiden jungen Leute hatte sich zunächst ganz nach Hannes´ Geschmack entwickelt, auch wenn die Toni sich nach einem kurzen Blick ins Schlafzimmer wieder darauf besonnen hatte, eine Dame zu sein und im Fauteuil Platz genommen hatte, wo sie etwas unangreifbarer war als auf der Couch.

      Sie tranken weiterhin Champagner, aßen reichlich und unterhielten sich über Gott und die Welt.

      Toni erlaubte Hannes zu rauchen und traute sich selbst über eine Zigarette zu, was ihr aber nicht schmeckte.

      Ob er es wagen könnte, sich ihr beim nächsten Mal Einschenken auf einen Kuss zu nähern?

      Der Samowar dampfte,