Juna Aveline B.

Wege des Himmels


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spielen zu können ohne den Schulstress im Rücken zu haben, es hat einfach nur Spaß gemacht. Die Zeit als Profi war toll und das Gefühl im Spiel einzigartig, aber irgendwie hat mir immer etwas gefehlt. Mit der Zeit bekam ich langsam das Gefühl regelrecht zu verblöden. Ich war geistig überhaupt nicht mehr gefordert. Deswegen habe ich nach zwei Profijahren auch angefangen, Zahnmedizin zu studieren. Inzwischen bin ich stolzer Absolvent der Charité und habe direkt nach dem Abschluss in einer Zahnklinik angefangen zu arbeiten. Meine Freundin Magdalena, die auch Zahnmedizin studiert hat und schon seit einem Jahr dort arbeitet, hat mich zum Glück vorgeschlagen. Sie ist wirklich ein Goldstück. Und ich bewundere ihre Leistungen, schließlich hatte sie an der Charité sogar ein Stipendium. Und nach dem Abschluss als Zahnärztin hat sie sich einmal beworben und bekam den Job, so gut ist sie!

      Heute ist aber mein freier Tag, keine Arbeit heute, und natürlich ist jetzt ausgerechnet das Wetter nicht so toll. Ich war an der Charité und habe mich für Humanmedizin eingeschrieben. Ab Herbst werde ich also wieder studieren – zunächst meine Doktorarbeit in Zahnmedizin schreiben und gleichzeitig mit Humanmedizin anfangen. Später möchte ich als plastischer Chirurg arbeiten, nein, nicht um irgendwelchen dummreichen Tussies Fett abzusaugen oder die Brüste zu vergrößern. Ich will Unfall- und Brandopfern, deren Gesicht entstellt wurde, helfen und deren Gesichter rekonstruieren oder dank Hautverpflanzungen die Narben von Brandwunden verkleinern. Manchmal denke ich mir selbst, dass das ein ziemlich komischer Berufswunsch ist für einen Arzt. Ich meine Notärzte retten Leben, Gynäkologen helfen Babies auf die Welt, Kardiologen kümmern sich um die Herzen der Menschen - und ich als plastischer Chirurg rette keine Leben und ich helfe auch keinen Babies auf die Welt. Aber ich finde, das Gesicht eines Menschen ist dessen persönliche Identifikationskarte. Ärzte können Menschen anhand ihrer DNA identifizieren, aber Menschen identifizieren sich über ihr Gesicht. Die Frisur mag sich ändern, Männer legen sich einen Bart zu oder rasieren sich, selbst die Augenfarbe wechseln manche dank ihrer Kontaktlinsen öfters – aber die Gesichtszüge, die Formen von Augen, Nase und Mund bleiben auch über Jahre hinweg unverändert. Selbst wenn wir Menschen Jahrzehnte lang nicht mehr gesehen haben, können wir sie anhand ihrer Gesichtszüge wiedererkennen und identifizieren. Über unser Gesicht drücken wir Gefühle aus, Zuneigung, Liebe, Freude, Spaß, aber auch Wut, Trauer, Entsetzen. Durch das Gesicht eines Menschen schließen wir unterbewusst auf bestimmte Eigenschaften, die wir diesem Menschen zuordnen. Sinnlichkeit, Güte, Wärme, Freundlichkeit, Aufgeschlossenheit, Intelligenz genauso wie Hartherzigkeit, Verbitterung, Unfreundlichkeit. Das Gesicht ist der Schlüssel zur täglichen Kommunikation unter den Menschen. Ein Mensch ohne Gesicht ist kein Mensch. Ein Mensch, der sein Gesicht verloren hat, hat seine persönliche Identifikationskarte verloren, seinen Platz in dieser Gesellschaft, in dieser Welt. Verbrannte Haut am Arm oder an den Beinen kann man verdecken – aber nicht Verbrennungen im Gesicht. Oftmals bewegen sich Menschen, deren Gesicht durch Verbrennungen oder einen Unfall entstellt ist, kaum noch in der Gesellschaft, meiden die Öffentlichkeit und bleiben in ihrem sicheren Umfeld, wo sie sich nicht den neugierigen, fragenden, erschrockenen, angeekelten und mitleidigen Blicken anderer Menschen aussetzen müssen. Ich möchte diesen Menschen durch plastische Operationen helfen, ihr Gesicht zu rekonstruieren, damit diese Menschen ihre persönliche Identifikation wiederfinden, damit sie einen Weg aus der gesellschaftlichen Isolation finden. Und irgendwie schenke ich den Menschen damit ein neues Leben.

      Wer kann das schon, einem Menschen ein neues Leben zu schenken? Manchmal denke ich darüber nach, ob ich viele Fehler mache im Leben. Ich denke eigentlich nicht, dass ich viele Fehler mache, im Gegenteil, bei mir ist bisher alles besser verlaufen als bei den meisten anderen Menschen. Ich hatte immer mehr Glück. Aber wenn doch einmal etwas schief läuft, wenn ich eine falsche Entscheidung treffe, muss ich dann für immer mit diesem Fehler leben und werde ich die Konsequenzen jeden Tag aufs Neue zu spüren bekommen, oder erhalte ich dann eine neue Chance und kann diesen Fehler bald zurücklassen und vergessen? Oftmals hört man Menschen reden, hätte ich doch nur dies oder das getan, jetzt ist es zu spät für jenes… Wird es mir auch einmal so gehen oder bekomme ich die Möglichkeit zu sagen, ich habe zwar dies oder das getan und es war falsch oder hat nicht funktioniert, aber dafür habe ich jenes bekommen und das war mindestens genauso gut.

      Und manchmal denke ich mir, ich hätte vielleicht auch Philosophie studieren sollen, soviel wie ich manchmal über die Welt und ihre Geschehnisse grüble  – nein, Unsinn, der Arztberuf ist genau das richtige für mich!

      Irgendwie freue ich mich schon richtig darauf, bald wieder zu den Studenten zu gehören. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass mit dem Abschluss als Zahnarzt und dem ersten festen Job nun auch das ernste Leben begonnen hat. Meine Beziehung zu Magdalena ist seitdem nicht mehr nur eine Studentenliebe sondern eine feste Partnerschaft. Zu Anfang unserer Beziehung war sie sehr darauf bedacht, selbständig zu sein, und der berufliche Erfolg war ihr mehr als wichtig. Inzwischen bekomme ich jedoch immer öfter das Gefühl, dass sie wahrscheinlich bald heiraten will und auch über eine Familiengründung nachdenkt. Das ist meine Marle.

      Ich aber habe das Gefühl, dass für mich gerade jetzt mit dem Studium ein Stück Freiheit zurückkommt. Natürlich wird es stressig, wenn ich weiterhin arbeiten gehen will, und das Tischtennis spielen werde ich auch noch mehr reduzieren müssen, aber das Gefühl, wieder Student zu sein, ist ein sehr gutes und wiegt den Stress wieder auf.

      Heute Abend treffe ich mich noch mit Alex und Robin. Marle will später nach der Arbeit auch noch vorbeikommen. Alex ist mein bester Kumpel. Wir kennen uns schon seit wir Kinder waren. Er ist manchmal echt verrückt. Nachdem er mit seinem Abschluss als Volkswirt keine Arbeit gefunden hat, hat er mit Pokerspielen im Internet begonnen. Damit hat er tatsächlich richtig gut Geld verdient. Aber inzwischen hat er sich doch entschlossen, seine Eltern in ihrem Immobilienmaklerbüro zu unterstützen. Mit Pokerspielen verdient er sich aber immer noch ein Taschengeld hinzu, wie Alex es nennt.

      Robin kam schließlich zu Alex in die Klasse, als er mit seiner Mutter neu nach Berlin gezogen war vor etwas mehr als 10 Jahren. Und nun will er uns seine neue Freundin vorstellen. Miriam heißt sie und arbeitet als Tierpflegerin im Zoo. Ich frage mich, wo er die Frauen nur immer kennenlernt. Ich glaube, Robin hatte nie eine Beziehung, die länger als zwei Monate gedauert hat. Selten, dass ich überhaupt mal eine davon kennenlernen durfte. Aber jetzt meinte Robin, dass er das erste Mal wirklich an eine Zukunft mit einer Frau glaube. Etwas in diese Richtung hat er tatsächlich nie gesagt bisher. Es scheint ihm wirklich ernst zu sein. Ich bin schon sehr gespannt auf nachher. Wir wollen hier um die Ecke zum Schlachtensee gehen und picknicken. Hoffentlich hält das Wetter einigermaßen. Marle hat extra heute Morgen schon einen Nudelsalat vorbereitet und mir einen Zettel an den Kühlschrank geklebt. „Hey Lukas, Salat steht im Kühlschrank. Sehen uns dann heute Abend. Hab einen schönen Tag! Kuss, Marle“ Magdalena ist wohl in jeder Hinsicht meine perfekte Partnerin. Sie nimmt mir alle Arbeit im Haushalt ab und kümmert sich auch um Rechnungen und was sonst noch alles zu organisieren ist. Sie kocht und achtet darauf, dass immer viel frisches Obst und Gemüse im Haus ist. Was würde ich nur ohne sie machen? Sie ist intelligent, sieht gut aus – nicht nur das – sie ist wahnsinnig sexy. Ich liebe ihre blonden Haare, ihre schlanke Figur und ihren Schmollmund. Wenn sie wütend ist, sieht er noch verführerischer aus. Kann sich ein Mann mehr wünschen als eine solche Frau?

      Meine Eltern sind auch begeistert von ihr. Inzwischen ist sie schon fast wie eine eigene Tochter für sie. Nur meine Schwester Raphaela ist nicht so überzeugt von uns. Nicht dass sie Marle nicht leiden könnte – im Gegenteil, die beiden verstehen sich ganz gut. Aber Raphaela meint immer „Euch beiden fehlen die Fehler, ihr seid zu perfekt. Zwischen euch knistert es nicht.“ Ich habe ihr schon so oft widersprochen, aber sie will mir nicht glauben.

      An meinem Geburtstag vor ein paar Tagen hat mich meine Mutter beiseite genommen und gefragt, wann ich Marle denn nun endlich heiraten und mit ihr eine Familie gründen möchte. Aber so weit bin ich noch nicht. Ich könnte auch nicht sagen, wann der richtige Zeitpunkt dafür kommt. Gibt es den richtigen Zeitpunkt zum Heiraten überhaupt? Woher weiß ich, ob es der richtige Zeitpunkt ist? Jedenfalls denke ich, solange ich mir noch solche Fragen stelle, ist es wohl noch nicht der richtige Zeitpunkt. Wir sind jetzt schon seit zweieinhalb Jahren ein Paar, wir ergänzen uns wirklich perfekt und uns verbindet nicht nur unser Beruf, aber ich zweifle daran, ob ich schon bereit bin zum Heiraten. Ich glaube, das Gefühl, Heiraten zu wollen, entsteht im