Juna Aveline B.

Wege des Himmels


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wo ich hin wollte.

      Die erste Zeit im Praktikum war eine richtige Katastrophe. Mein Betreuer wollte mich auf einmal doch nicht betreuen und so war ich die ersten zwei Septemberwochen überhaupt nicht arbeiten. Jetzt werde ich wohl im Bereich Verkaufsförderung eingesetzt, der Bereich, der die Unterstützung des Außendienstes mit Werbemaßnahmen sicherstellen soll und der von Frau Schmesser betreut wird. Die unverhofft freie Zeit konnte ich aber gut nutzen, um zum einen die Wohnung noch weiter einzurichten und die letzten Umzugskartons auszuräumen und zum anderen um mich näher mit meiner Abschlussarbeit zu beschäftigen. So wie sie ursprünglich angedacht war, ist sie definitiv nicht umzusetzen. Da habe ich mir echt was eingebrockt. Ich habe echt das Gefühl, Björns Chef, Herr Bauer, hat mir das Angebot mit der Abschlussarbeit in Verbindung mit dem Praktikum nur gemacht, damit Björn nicht mehr so oft in die Pfalz fährt, mehr hier in Berlin ist und damit auch mehr arbeiten kann. Eigentlich wollte Herr Bauer mir helfen mit der Abschlussarbeit – aber dass das so nicht funktioniert, wie er sich das gedacht hat, hätte er wissen müssen. Ich komme mir ein wenig hintergangen vor. Ich kann doch nicht über Mitarbeiter eines anderen Unternehmens schreiben. Auch wenn beide Unternehmen im gleichen Konzernverbund sind, sind es doch rechtlich selbständige Gesellschaften und somit kann ich mit meinem Vertrag bei der einen Gesellschaft nicht zur anderen Gesellschaft gehen und Informationen über Unternehmensinterna für meine Abschlussarbeit fordern. Das geht ganz klar nicht.

      Und nun überlege ich, in welche Richtung ich umschwenke und wie eine solche Abschlussarbeit ausschauen könnte. Aber momentan bin ich wie blockiert. Scheinbar waren der Umzug, die Ungewissheit mit meinem Praktikum und die Einsicht, dass ich ein neues Thema brauche doch ein bisschen viel. Und ich vermisse natürlich meine Freunde. Mit Melanie telefoniere ich oft – wobei mich das leider meistens vom Arbeiten abhält, weil sie oft morgens anruft, wenn bei ihr im Geschäft noch nicht viel los ist. Schnell ist dann eine Stunde vergangen. Und mich anschließend zu motivieren, um wieder an die Arbeit zu gehen, fällt mir echt schwer. Oft denke ich dann „Ruf erst mal deine E-Mails ab, mal schauen, ob was wichtiges gekommen ist“. In 90% der Fälle ist natürlich keine wichtige E-Mail dabei und leider bleibt es meistens nicht bei den E-Mails. Youtube, wer-kennt-wen, oder facebook können nämlich tatsächlich stundenfüllendes Entertainment bieten. Das ist wohl eine Schwäche von mir: Selten habe ich meine Zeit effizient genutzt. Ich war schon immer mehr Tagträumen nachgehangen als Hausarbeit zu machen oder für die Schule zu lernen. Und ich lasse mich nur allzu gern von der Arbeit ablenken, früher von Filmen oder interessanten Fernsehsendungen, Romanen, Zeitschriften oder einfach nur von Musik. Heutzutage ist das Internet als mein persönlicher Zeitfressfeind dazugekommen. Nebenbei hänge ich auch so wie jetzt beim Tagebuchschreiben meinen Gedanken nach. So gesehen bin ich keine gute Studentin. Die Selbstorganisation klappt meist erst, wenn ich wirklich wenig Zeit zur Verfügung habe, um eigentlich zu viele Dinge zu tun. Ich studiere auch nicht, weil es immer mein Kindheitstraum war, BWL zu studieren. Was für ein gestörtes Kind wäre ich gewesen! Mein Leben hat seinen Lauf genommen, und jetzt bin ich gelandet wo ich bin.

      Meine Kindheitsträume hatten immer etwas mit Pferden und Tieren zu tun. Als Kind gab es kaum ein Pferdebuch, das ich nicht gelesen hatte. Ich wollte unbedingt reiten lernen, aber meine Mutter hielt das immer für viel zu gefährlich. Vielleicht auch deshalb, weil ich Unfälle magisch anzog. Das hat sich bis heute übrigens nicht gebessert. Als ich zehn war, durfte ich dann schließlich doch noch reiten lernen. Aber das war doof. Immer hat mich meine Mutter passend zur Reitstunde in den Reitstall gefahren und anschließend sind wir direkt wieder nach Hause gefahren. Ich wäre jedes Mal gerne noch länger bei den Pferden geblieben.

      In den Sommerferien sind wir früher jedes Jahr nach Borkum gefahren. Und dort gab es auch einen Reitstall. Ich durfte sogar einen Reitkurs mitmachen. Aber das Beste war, dass der Reitstall für mich endlich erreichbar war – er lag gerade 500 Meter von unserem Campingplatz entfernt und ich konnte jeden Tag mit dem Fahrrad hinfahren. Von da an haben mich meine Eltern eigentlich nur noch zum Essen und zum Schlafen gesehen – die übrige Zeit verbrachte ich im Reitstall. Ich stand morgens freiwillig um halb acht auf, um im Reitstall mitzuhelfen und um die Pferde von der Koppel zu holen. Anschließend half ich beim Putzen und Satteln, schaute bei den Reitstunden zu oder half auch bei den Reitstunden aus, indem ich mal das Pferd oder Pony eines blutigen Anfängers bei den Reitstunden führte. Dann wurden die Pferde für die Mittagspause wieder abgesattelt. Nach der Mittagspause ging es dann weiter mit Putzen, Satteln, Saubermachen, bei Reitstunden aushelfen und was noch alles anfiel. Als abends der Reitbetrieb für den Tag zu Ende war durften wir die Pferde wieder absatteln und sie ohne Sattel auf die Koppel reiten. Das war das Größte für mich. Zuhause hatte ich nie die Gelegenheit, ohne Sattel auf einem Pferd zu sitzen. Aber erst so spürt man ein Pferd richtig, lernt seine Bewegungen, seine Eigenheiten kennen. Man erlebt, wie man eine ganz andere Verbindung zu dem Pferd aufbaut.

      Den Borkumer Strand sah ich in der Zeit entweder nur abends oder vom Pferd aus bei einem der vielen tollen Ausritte. Auch wenn das inzwischen schon so lange her ist, kann ich mir keinen schöneren Urlaub vorstellen. Es gibt immer noch nichts Tolleres als den Strand entlang zu galoppieren, zu fühlen, wie der Wind die Mähne des Pferdes und meine Haare zerzaust, wie sich das Salz aus der Luft auf die Haut legt und man mit jedem Galoppsprung mehr und mehr das Gefühl bekommt, zu fliegen.

      Ich liebe Tiere, nicht nur Pferde, sondern Hunde, Katzen, Esel, Kühe, Schafe… Am liebsten hätte ich einen ganzen Bauernhof voller Tiere.

      Und etwas, das ich überhaupt nicht verstehen kann, ist Tierquälerei. Egal in welcher Form, ob nun Tiere zu sportlichen Höchstleistungen gequält, teilweise vielmehr geschlagen werden, ob man sie auf viel zu engem Raum zusammenpfercht, sie mästet, damit sie schneller das Schlachtgewicht erreichen oder was auch immer.

      Wie können Menschen nur so grausam sein? Aber so sind die Menschen nun mal – Kinder hänseln andere Kinder im Kindergarten oder in der Schule, Erwachsene lästern über andere Leute, Menschen intrigieren zum eigenen Vorteil und handeln egoistisch. Und manchmal scheint es wirklich einfacher, so zu handeln, als den ehrlichen Weg zu gehen. Man scheint manche Ziele schneller zu erreichen oder unerreichbare Dinge scheinen erst über die verschlagenen Wege möglich zu werden.

      Ich weiß nicht, wie oft auch ich schon durch meine Entscheidungen und mein Handeln andere Menschen verletzt habe. Aber vielleicht ist es gar nicht so wichtig, was man bisher alles falsch gemacht hat, wenn man das Falsche erkennt und sich dann entscheidet, in Zukunft andere Entscheidungen zu treffen oder anders zu handeln. Oft verletzt man ja andere Menschen auch durch etwas, was man gar nicht in dem Sinn gemeint oder beabsichtigt hat, wie es von dem Anderen wahrgenommen wird. Aber das passiert, das sind typische Missverständnisse, dazu sind wir Menschen. Aber wir können miteinander reden, alles klären und uns versöhnen.

      Wenn wir uns jedoch absichtlich verletzend verhalten und bewusst Menschen oder eben auch Tieren wehtun, kann ich das nicht verstehen. Gerade Tiere können uns nicht sagen, was sie denken und können sich dazu auch nicht wehren, wenn ihnen Unrecht geschieht. Dass es Menschen gibt, die sich an Schmerzen von Tieren und deren Hilflosigkeit ergötzen, ist mir unbegreiflich.

      So, liebes Tagebuch, ich gehe nun besser mal wieder an die Arbeit, wende meine Gedanken erfreulicheren Dingen zu und recherchiere noch ein wenig nach geeigneter Literatur für meine Abschlussarbeit. Und ich muss noch nach einer guten Zahnklinik suchen. Ich habe nämlich immer noch in zwei Zähnen Füllungen, die nun schon älter sind und unbedingt ausgewechselt werden sollten. Das könnte an sich auch ein Zahnarzt machen, aber ich möchte die Eingriffe in Vollnarkose durchführen lassen, damit ich von alldem nichts mitbekomme. Die Prozedur möchte ich mir gerne ersparen. Ein Zahnarzt hat mich einmal getestet, indem er mit dem Bohrer nur in meinem Mund war, aber keinen Zahn berührt hat. Trotzdem bin ich unter Schmerzen zusammengezuckt. Worauf er meinte, dass die Schmerzen lediglich aufgrund meiner starken Angst eingebildet seien. Allein schon beim Gedanken daran, dass diese zwei relativ großen Füllungen ausgetauscht werden sollen, wird mir schlecht vor Angst. Aber zum Glück gibt es in Berlin ja alles; also werde ich auch eine Zahnklinik finden, deren Ärzte mich tief schlummern lassen, während sie den Bohrer ansetzen.

      PS: Zahnklinik gefunden, habe im Internet recherchiert und eine Zahnklinik gefunden, von der ich gleich gewusst habe, wo sie sich befindet und wie ich dort hinkomme. Dann habe ich dort angerufen und gesagt, was mein Problem