Juna Aveline B.

Wege des Himmels


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mich auf, nahm meine Sachen vom Stuhl und folgte der Zahnarzthelferin zum Röntgen. Mein Gehirn befand sich noch immer im Panikzustand. Es fühlte sich an, als hätte irgendjemand den Ausschalter betätigt und nun fand ich den Einschalter nicht mehr.

      Schließlich saß ich im Bus auf dem Nachhauseweg, ließ den Termin Revue passieren und bekam mehr und mehr das Gefühl, als fehlten mir wichtige Informationen. Zweifelnd schlug ich meinen Terminkalender auf. Am 29.10. hatte ich um 9.15 Uhr wieder einen Termin bei diesem Doktor Bergmann. Das war direkt am Montag. Somit hatte ich gar keine Chance bis dahin die Meinung eines zweiten Arztes einzuholen. Warum dann aber der Termin?

      „Wahrscheinlich noch eine Vorbesprechung“ dachte ich mir. „Um die genauen Einzelheiten zu erläutern“.

      Ich grübelte noch eine Weile, auch über das Alter des Arztes, und kam zu dem Entschluss, dass es wohl ein guter Arzt sein musste, wenn er so jung schon als Zahnarzt arbeitete. Oder er war tatsächlich älter als ich ihn schätzte. Letztendlich beschloss ich, den Termin einfach auf mich zukommen zu lassen. Ich wusste zwar nicht, was mich erwartete, aber ich konnte im Notfall ja einfach aufstehen und gehen – besser gesagt wegrennen.

      Und es ist wohl besser, nicht weiter darüber nachzudenken. Das würde mir nur das bevorstehende Wochenende verderben. Morgen muss ich aber erst noch einmal arbeiten.

      Mal sehen welche Aufgabe Frau Schmesser diesmal zu erledigen hat. Frau Schmesser ist gerade nur ein Jahr älter wie ich und hat selbst ihr BWL-Studium gerade erst abgeschlossen. Ich weiß noch nicht genau, was ich von ihr halten soll. Sie verkörpert für mich die typische Berlinerin, vor allem, weil sie eben auch den typischen Berliner Akzent hat. Sie hat weißblonde Haare, denen man deutlich ansieht, dass sie gefärbt sind, dazu die Augen immer dunkel geschminkt. Ihr Kleidungsstil ist im Großen und Ganzen schon dem einer Bank angepasst, aber gleichzeitig auch hip, stylish, immer auf dem aktuellen Stand.

      Es bisher ist es leider selten, dass ich etwas Sinnvolles machen darf. Zurzeit muss sie ein Verkäufer-Event vorbereiten, welches nächste Woche in einem Hotel in Warnemünde stattfindet. Meine letzen Arbeitstage habe ich damit verbracht, Kofferanhänger zu drucken, auszuschneiden und in die entsprechenden Plastikhüllen einzuschieben. Das Anspruchsvollste an dieser Arbeit war der Abgleich der fertigen Kofferanhänger mit den Listen der teilnehmenden Verkäufer. Wahrscheinlich wird mich morgen wieder etwas in der Art erwarten.

      Hoffentlich wird die Arbeit noch etwas anspruchsvoller, wenn der Verkäufer-Event vorbei ist. Und wahrscheinlich ist dann Frau Schmesser auch weniger unter Zeitdruck, sodass sie mich endlich richtig einarbeiten und mir etwas mehr herausfordernde Arbeiten überlassen kann.

      Björn ist zurzeit mit seiner Arbeit ebenfalls unzufrieden. Er hat zu wenige Termine, folglich zu wenig Abschlüsse. Er bekommt zwar zunächst jeden Monat ein Fixum ausbezahlt, aber wenn Björn keine Geschäfte macht, ist das Vorschussguthaben wohl schnell aufgebraucht. Ich habe momentan aber leider den Eindruck, dass er von sich aus mehr machen könnte. Oft steht er gerade erst auf, wenn ich morgens die Wohnung verlasse, manchmal liegt er da sogar noch im Bett. Und viel länger als ich arbeitet er meistens auch nicht. Aber er muss wissen was er tut. Seit wir hier in Berlin sind, hat sich unser Verhältnis irgendwie abgekühlt. Vielleicht war es ein Fehler, mit ihm hier in diese Wohnung eingezogen zu sein. Manchmal habe ich den Eindruck, dass er mir vorwirft, nicht genug Geld zur Miete und so weiter beizusteuern. Das sagt er nicht offen, aber er vermittelt mir inzwischen öfter das Gefühl, dass es ihm nicht passt, das Meiste zahlen zu müssen. Die Hälfte von meinem Praktikantengehalt gebe ich ja immerhin dazu, und von der anderen Hälfte muss ich noch mein Handy, mein Auto und meine Wohnung in Ludwigshafen sowie einige Sparverträge bezahlen. Abgesehen davon bezahle ich auch den ein oder anderen Einkauf von meinem Konto. Mehr kann ich momentan wirklich nicht machen. Außerdem bleibt schließlich auch fast die ganze Hausarbeit an mir hängen. Kochen, Geschirr wegräumen, Staub saugen, Putzen, Waschen, … Manchmal hilft Björn wenigstens beim Wäsche machen. Ich hätte nicht gedacht, dass wir nach den mehr als 5 Jahren, die wir nun zusammen sind, Probleme wegen Geld bekommen könnten. Mein Geld, dein Geld… Wir wollten uns doch hier eine gemeinsame Zukunft aufbauen, da ist es doch unsinnig weiter so strikt zu trennen, oder? Oder ich dachte falsch. „Bei Geld hört die Freundschaft auf“ heißt ja ein Sprichwort – aber hört dann auch die Beziehung und die Liebe auf? Vielleicht habe ich mich da auch einfach nur zu sehr hineingesteigert und mir sein Verhalten zu arg zu Herzen genommen. Ich sollte nicht so empfindlich sein.

      Aber momentan geht uns einfach die Nähe zwischen uns verloren. Wenn Björn zuhause ist, verkriecht er sich meistens in seinem Zimmer, setzt sich an seinen Computer und spielt Fußball Manager. Seit wir zwei Fernseher haben, verbringen wir auch die Abende teilweise getrennt voneinander – er im Wohnzimmer mit einer seiner Bud Spencer – Filme oder mit Miss Marple, ich im Bett mit einem meiner Lieblingsfilme. Ich habe es früher immer gemocht, mit ihm Arm in Arm auf der Couch zu liegen und in seinen Armen einzudösen. Aber hier in Berlin gibt es das auf einmal nicht mehr, wo ich doch genau jetzt seine Nähe brauche. Teilweise fühle ich mich schon sehr verloren in dieser großen Stadt. Ich kenne niemanden mit dem ich mich ab und zu zum Kaffeetrinken und Erzählen verabreden könnte oder mit dem ich am Wochenende ausgehen könnte, ins Kino oder tanzen. Mit Björn habe ich bisher kaum etwas unternommen. Ein einziges Mal sind wir sonntags in den Grunewald gefahren. Da er aber nicht gerne läuft, war ihm der Spaziergang zu lang, während er für mich zu kurz war. Nur in seine FCK-Kneipe geht Björn regelmäßig, um bloß kein Spiel vom 1. FC Kaiserslautern zu verpassen. Ich schaue zwar auch gerne Fußball und mein Pfälzer Herz schlägt natürlich auch für Fritz Walters Verein, aber alleine würde ich niemals in diese dunkle, stickige Kneipe gehen.

      Aber ich bin ja auch erst seit acht Wochen hier. Vielleicht lerne ich ja doch noch neue Leute kennen, auch wenn ich die meiste Zeit entweder auf der Arbeit, in der Bibliothek oder zuhause am PC verbringe.

      Ich muss Björn wahrscheinlich einfach mehr Freiraum geben. Wir sind es nicht mehr gewohnt, dass wir unser Leben teilen, nach dem letzten Jahr, indem wir uns nur an den Wochenenden gesehen haben. Es fühlt sich nicht richtig an – ich will ihn festhalten, aber er scheint sich losreißen zu wollen.

      Es ist echt verzwickt. Freiraum, Nähe, Aufmerksamkeit, Loslassen… Ich weiß nicht, wann ich ihm was geben soll. Und ich weiß nicht, ob ich ihm das geben kann, was er braucht. Momentan brauche ich nämlich auch.

      Noch nie war ich bisher in der Situation, dass mir meine Arbeit wirklich keinen Spaß gemacht hat, dass ich überhaupt nicht mit meinem Chef zurechtkam und dass ich so stark isoliert war. Dazu kommt die verzwickte Situation mit meiner Abschlussarbeit. Das raubt mir Kraft und Energie. Manchmal habe ich das Gefühl, ich falle, spüre den Gegenwind, sehe aber den Abgrund nicht, nicht wie tief ich falle, nicht wo ich aufschlage. Suche nach etwas, woran ich mich festhalten kann, irgendetwas, das mich auffängt, mich hält und entdecke Björn. Ich rufe ihm zu – „Hilf mir!“ Aber da merke ich, dass er selber fällt, dass er selbst gehalten werden muss. Er sieht mich an und fordert, ihm die Hand zu reichen. Ich strecke meine Hand aus, weiß aber, ihn nicht auffangen zu können. Ich erreiche ihn nicht einmal. Er ist zu weit weg.

      Sind wir wirklich schon soweit voneinander entfernt? Nein, das denke ich nicht. Wir werden einfach nur Zeit brauchen, um uns an die neue Situation, an die wiedergewonnene Nähe, zu gewöhnen.

      Sonntag, 28. Oktober 2007

      Ein wunderschöner, herbstlicher Sonntagmorgen. Magdalena schläft noch. Sie hat gestern Abend wohl doch zu viel getrunken. Es ist selten, dass ich sie so erlebe, aber sie hatte soviel Spaß! Nachdem ich gestern Abend noch einen Einsatz im Tischtennis hatte, wobei meine Mannschaft leider verloren hat, waren wir mit Robin und Miriam unterwegs, Alex ist später auch noch dazu gekommen. Robin und Miriam sind ein tolles Paar! So lange war er wirklich mit noch keiner Frau zusammen! Die beiden scheinen sich manchmal nur mit Blicken zu verständigen. Sie lachen zusammen und sind ausgelassen, aber wenn sie sich berühren, entsteht eine unbeschreibliche Spannung zwischen den beiden, die auch für andere nicht zu übersehen ist.

      Wir haben die halbe Nacht durchgemacht, haben so viel getanzt, dass nicht nur unseren Frauen die Füße wehtaten, und genossen die leckeren Cocktails oder Longdrinks