Juna Aveline B.

Wege des Himmels


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können. Aber momentan sitze ich in meinem einsamen, kleinen Bürozimmer und habe das Gefühl, gemieden zu werden. Das ist ja auch verständlich – keiner weiß, wo ich auf einmal herkomme, was ich überhaupt machen soll und vor allem warum ich aus dem Etat vom Vertriebsbereichsleiter bezahlt werde. Natürlich frägt sich jeder, wie ich an diese Praktikantenstelle gekommen bin. Und ich vermute, dass eine Kollegin sogar Angst hat, ich könnte sie in den nächsten Monaten ersetzen. Aber im Moment weiß ich noch nicht, wie ich diese Missverständnisse aus dem Weg räumen kann, vor allem, da es sich ja auch nur um Vermutungen und Gefühle meinerseits handelt.

      Der Einzige, der wirklich vorbehaltlos sehr nett ist, ist der Hausmeister Richie. Er hat mir gleich in den ersten Tagen mein Namensschild an der Tür montiert. Und wenn ich für Frau Schmesser Werbemittel aus dem Keller holen soll, hilft er mir dabei immer und erzählt mit mir. Neulich hat er mir Fotos aus England gezeigt, seiner Heimat. Herrlich ist es da! Ich mag England ja schon immer sehr. Durch die Schüleraustausche und Urlaube dort, ist mir das Land noch mehr ans Herzen gewachsen. Richie ist wirklich gewöhnungsbedürftig, aber mir momentan der Liebste hier. Er ist schon älter und humpelt, was, wie er mir erzählt hat, eine Folgeerscheinung eines Schlaganfalls sei. Es ist wirklich bewundernswert, wie er sich ins Leben zurückgekämpft hat. Aber so sehe ich nur wieder, wie klein meine eigenen Probleme sind. Mir geht es gesundheitlich gut, ich habe eine Praktikantenstelle, bei der die Bezahlung auch stimmt, ich bin gerade mit meinem Freund in eine wunderbare Wohnung nach Berlin gezogen. Im Vergleich zu einem Schlaganfall, bei dem Patienten oft gegen Lähmungserscheinungen ankämpfen müssen, sind meine Probleme, dass ich mich isoliert fühle, mit der Arbeit nicht zufrieden bin und den Aufbau meiner Abschlussarbeit überdenken muss, geradezu lächerlich. Also werde ich auch gleich wieder an die Arbeit gehen und weiter im Internet nach Literatur recherchieren.

      Aber zuerst muss ich noch kurz von meinem Zahnarzttermin vorgestern berichten. Ich hatte ja gedacht, es sei noch mal eine Vorbesprechung. Pusteblume!

      Nix da, der hat gleich losgelegt, ohne noch mal zu fragen! Ich war aber auch so verdattert, dass ich nicht mehr viel mitbekommen habe und einfach alles über mich ergehen ließ. Beide Kieferseiten waren zum Schluss betäubt und meine Zunge auch. Ich hatte das Gefühl, richtig geschwollene Wangen zu haben und konnte kaum sprechen. Und dann wollte der arrogante Kerl mit einem fiesen Grinsen im Gesicht auch noch wissen, was ich denn noch vorhatte für den Tag. Denkt der, ich geh jetzt erst mal noch ne Runde gemütlich shoppen, um mich danach zuhause aufzustylen und auf die nächste Party zu gehen? Natürlich wollte ich nichts mehr machen. Ich war froh, dass ich den Morgen überstanden hatte, und wollte mich nur noch daheim im Bett verkriechen. Und niemanden mehr sehen und hören. Er als Zahnarzt musste doch wissen, dass ich kaum mehr sprechen konnte und er hätte auch bemerkt haben sollen, dass ich mit meinen Nerven ziemlich am Ende war – aber nein, bringt der mich noch in so eine peinliche Situation, dass ich ihm antworten muss und mich blamiere, weil ich kaum ein deutliches Wort aussprechen konnte und dabei wahrscheinlich auch noch gesabbert habe! Natürlich bin ich auch wieder rot angelaufen. Ein Gesicht wie eine Tomate hatte ich! Das war wieder typisch für mich. Wenn ich mich blamierte, dann richtig! Ich war wirklich richtig wütend auf ihn, aber insbesondere auch auf mich, weil ich ihn trotz seiner Arroganz anziehend fand.

      Als ich schließlich nach einer scheinbar ewig dauernden Busfahrt durch Berlin, während der ich mein Gesicht mehr oder weniger in meinen Schal hüllte, damit die Menschen meine geschwollenen Wangen nicht sehen konnten, zuhause angekommen war, zog ich mir meine Schlabberklamotten an und legte mich direkt ins Bett. Schlafen half bei mir fast immer. Nachdem ich drei Stunden teils gedöst, teils geschlafen hatte, machte ich mir den Fernseher an, döste aber gleich wieder weg. Irgendwann so gegen halb sechs machte sich mein Magen bemerkbar. Ich hatte den ganzen Tag noch nichts gegessen, morgens war mir vor Aufregung wegen des Zahnarzttermins schlecht und danach war mein Kiefer betäubt. Die Narkose hatte zwar nachgelassen, aber mein vollständiges Gefühl war noch nicht zurückgekehrt. Also beschloss ich, mir einen Joghurt zu nehmen, den brauchte ich nicht zu kauen sondern eigentlich nur schlucken, sodass da eigentlich nichts schiefgehen konnte. Auch wieder Pusteblume!

      Beim dritten Löffel merkte ich auf einmal einen harten Brocken in meinem Mund voller Joghurt. Komisch! Ich schluckte den Joghurt und spuckte das harte Ding aus. Es war eines der zwei Provisorien! Ich hätte schreien können, aber wenn ich den Mund auch nur ein Stückchen aufmachte, merkte ich ein eisiges, schmerzliches Ziehen in dem nun offenen Zahn, sodass ich meinen Mund besser geschlossen hielt, um keine Luft an den Zahn zu lassen. Ich rannte zum Telefon und rief Björn an, der mich erst mal beruhigen musste. Zum Glück hatte er gleich Feierabend und war schon fast auf dem Heimweg. Dann rief ich in der Zahnklinik an und dank deren langen Öffnungszeiten konnte ich gleich noch vorbei kommen, damit sie mir ein neues Provisorium einsetzen konnten. Also zog ich mich schnell wieder an und wartete, dass Björn kam, da er mich hinfahren wollte, damit ich nicht wieder den Bus nehmen musste. In meinem nervlichen Zustand wäre das wahrscheinlich wirklich keine gute Idee gewesen.

      Zum Glück hatte mein gutaussehender, arroganter Zahnarzt, der nicht einmal Provisorien einsetzen konnte, schon Feierabend, sodass sich ein anderer Arzt um mich kümmerte.

      Der 29.10.2007 gehört damit offiziell in meine Liste der wenigen schwarzen Tage in meinem Leben! Ich könnte mich darüber noch immer aufregen, aber es ist wohl besser, nicht weiter darüber nachzudenken, sondern den Tag abzuhaken und möglichst schnell zu vergessen. Ein Psychologe würde jetzt wahrscheinlich sagen, dass ich schlimme Erlebnisse aufarbeiten muss und nicht verdrängen darf – aber bei mir klappt das Verdrängen bisher ganz gut. Also werde ich mich nun anderen Gedanken widmen, nämlich denen, die meiner Abschlussarbeit dienen.

      Montag, 05.November 2007

      Am Wochenende waren Benjamin und Nathalie zu Besuch. Es war richtig schön! Benjamin ist 24 Jahre alt, genau wie ich, und Nathalie ist 22. Sie sind so ein hübsches Paar. Benjamin mit seinen strubbeligen Locken und den zu lose sitzenden Jeans auf den abgelaufenen Chucks ist fast einen Kopf größer als Nathalie, bei der der gleiche Look trotzdem ordentlich ausschaut. Die beiden sind donnerstagabends angekommen, sodass wir den ganzen Freitag zum Sightseeing zur Verfügung hatten. Da Björn aber keine Zeit oder keine Lust hatte, sich freizunehmen, war ich den Freitag zunächst allein mit Benjamin und Nathalie unterwegs. Wir waren am Alex, der Weltzeituhr, am roten Rathaus, weiter durch das Nikolaiviertel zum Berliner Dom, entlang Unter den Linden zum Brandenburger Tor, vorbei am Reichstag zum großen Stern und schließlich weiter zum KDW und Ku`Damm. Und vieles davon sind wir gelaufen. Im Subway am Ku’Damm machten wir schließlich Mittagspause, damit sich unsere schmerzenden Füße erholen konnten, und Björn stieß zu uns. Damit landeten wir anschließend noch in einem Sportgeschäft mit ausschließlich Fußballtrikots und Fanartikeln.

      Es tat gut, Benjamin und Nathalie da zu haben über das Wochenende und mal wieder mit Freunden zu reden, die nicht über 600 Kilometer entfernt am anderen Ende der Telefonleitung waren. Benjamin und Nathalie sind nun auch schon ziemlich lange ein Paar, obwohl Benjamins Ex noch Björn und mich verkuppelt hat. Benjamin ist schon länger mit Björn befreundet und Benjamins Jugendliebe Susanne war bei mir in der Schule.

      Nachdem wir nach dem schriftlichen auch den mündlichen Teil der Abiturprüfungen hinter uns gebracht hatten, lud ich einige Freunde und Bekannte zum Grillen ein. Da meine Eltern mal wieder verreist waren, konnten wir im Garten ungestört feiern. Aber irgendwie verlief der Abend komisch – nach und nach sagten mir immer mehr Leute ab. Schließlich waren wir nur zu siebt, darunter Benjamin und Susanne. Während ich etwas enttäuscht, aber durch meinen langsam aber sicher steigenden Alkoholpegel ganz gut gelaunt, den Grill anwarf, meinte Susanne auf einmal: „Schade, dass so wenig Leute gekommen sind! Björn hat uns vorhin noch angerufen und gefragt, was wir heute machen. Er wollte mit uns ein Bier trinken gehen, aber wir hatten dir ja schon zugesagt. Jetzt sitzt er ganz alleine daheim…“

      Ohne Nachzudenken entgegnete ich ihr: „Ruf ihn an. Er kann doch auch mit uns Grillen. Ein Bier bekommt er hier auch!“

      Und weil ich inzwischen doch neugierig geworden war, wen ich da gerade noch zu meiner Grillparty eingeladen hatte, begann ich Benjamin ein wenig über Björn auszufragen, während Susanne mit ihm telefonierte und ihm erklärte, wie er den Weg zu mir fand. So erfuhr