Rüdiger Marmulla

Lars' Diary


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schreibe Lisa gleich eine Nachricht. Oh. Sie ist nicht online. Wahrscheinlich hat sie während des Segelflugs den Receiver an ihrem Handgelenk abgeschaltet. – Mensch, ist dieses Wochenende lang.

      Letzte Schulwoche

      Ich warte vor dem Haus auf Lisa. Auf dem Schulweg könnte sie mir erzählen, wie ihr Wochenende war. Mensch, wie habe ich mir diesen Montagmorgen herbeigesehnt. Da kommt sie. „Hallo, Lisa.“

      „Hi, Lars.“

      „Wie war es in der Rhön?“

      „Alles cool. Ich bin mehrmals aufgestiegen. So viel bin ich noch nie gesegelt.“

      „Wenn ich mich ranhalte, dann schaffe ich es dieses Jahr auch noch, den Segelflugschein zu machen.“

      „Ja. Dann musst du dich in der Segelflugschule anmelden. Ich kann dir mein Lernmaterial geben.“

      „Ja, Lisa. Gern.“ Wir gehen zur Schule. Ich frage nach ihrem Sommerurlaub. „Wo fahrt ihr dieses Jahr in den Ferien hin? Wieder in die Schweiz?“

      „Meine Eltern schon. Ich fahre in die Nähe von Stuttgart. Segelfliegen.“

      „Allein?“

      „Ohne meine Eltern. Ja. Sie fahren dieses Jahr ohne mich weg.“

      Lisa hat mich nicht gefragt. Sie hat mich nicht gefragt, ob ich mit ihr gehe. Ich hätte ja auch bei Stuttgart eine Segelflugschule buchen können. Dann wären wir zusammen gewesen. Mit einem Mal fühle ich mich ganz alleingelassen.

      Ascona

      Der Clown macht an der Uferpromenade lustige Zaubertricks. Heidi, Papa und ich schauen dem bunt kostümierten Mann gespannt zu. Als er anfängt, auf hohen Stelzen zu laufen und so schwankt, habe ich Angst, dass er hinfällt. Aber er scheint die Sache doch sicher im Griff zu haben.

      Die Sonne steht dicht über dem Bergrücken. Ein frischer Wind kommt vom Lago Maggiore. Papa liebt die Piazza. „Auf, jetzt gehen wir in die Grotto Baldoria. Ich habe Hunger.“

      „Ich auch“, pflichtet Heidi bei. Sie hakt sich bei Papa ein, während wir die schmale Gasse zu dem Restaurant hochlaufen. Wir haben reserviert. Anders wäre hier kein Platz zu bekommen. Die Grotto Baldoria ist bis auf den letzten Platz belegt. Einige Leute, die mit uns eintreffen, müssen auf morgen vertröstet werden, weil sie sich nicht angemeldet haben.

      Salami wird ausgeteilt. Wir schneiden uns alle ein schönes Stück ab. Ich trinke eine Limonade, Papa und Heidi nehmen einen Rotwein.

      Ich schaue auf mein Handgelenk. Ich habe schon seit Tagen nichts mehr von Lisa gehört. Dabei schreibe ich ihr jeden Tag. Offline. Lisa ist offline. Auch am Abend? Ich stütze gelangweilt meinen Kopf auf den linken Arm.

      Der junge Mann, der uns den nächsten Gang bringt, muss mich mehrmals ansprechen, bis ich reagiere. Gelangweilt stochere ich im Salat. Eigentlich schmeckt es hier sehr gut. Aber ohne Lisa ist alles nichts.

      Isole di Brissago

      Am nächsten Vormittag fahren wir mit dem Schiff auf die Insel, die vor Ascona im Lago liegt. Die Sonne scheint herrlich. Ich muss meine Kappe tragen, damit ich keinen Sonnenstich bekomme – wie letztes Jahr.

      Auf dem Schiff sind auch ein paar Mädchen in meinem Alter. Keine ist so schön wie Lisa. Keine nimmt es mit ihr auf.

      Da. Mein Handgelenk beginnt zu flashen. Lisas Avatar erscheint über meinem Display. Sie sieht gut aus. „Hi, Lars. Hier ist alles super. Mir geht es gut. Ich hoffe bei dir ist auch alles OK. Danke für deine Nachrichten. Liebe Grüße von deiner Lisa.“ Lisas Avatar verschwindet wieder in meinem Handgelenk. Ich schaue auf den Messenger. Das war eine gespeicherte Nachricht. Sie hat sie heute Morgen aufgezeichnet. „Von deiner Lisa“ hat sie gesagt. Wie schön. Meine Lisa. Ich bin so glücklich, von ihr zu hören. Lisa denkt an mich. Und ich denke an Lisa.

      „Na, ist alles OK, Lars?“, will Papa wissen.

      „Ja. Alles super.“

      „Machst du bitte ein Foto von mir und Heidi, Lars?“

      „Ja.“ Das Bild gelingt mir. Ich sende es sofort Papa und Heidi.

      Und schon kommen wir auf der Insel an. Heute habe ich Hunger für zwei. Wir setzen uns auf die große Terrasse und blicken auf den botanischen Garten.

      „Ich nehme wieder eine gute Maronensuppe. Und danach den Seehecht, Papa.“

      „Also, im Gegensatz zu gestern hast du ja heute wieder einen richtig guten Appetit.“

      „Ja, Papa.“ Ich lächele. Ich fühle mich phantastisch.

      Der Ober nimmt unsere Bestellung auf. Kurz nachdem die Getränke gekommen sind, hat Papa eine tolle Idee: „Ich mache einen kleinen Film von uns mit meiner Minidrohne. Was denkt ihr?“

      „Ja, das wird eine schöne Erinnerung werden“, sagt Heidi.

      Papa lässt die Drohne aufsteigen und schaltet kurz danach auf Handbetrieb. Er sieht simultan den Film auf seinem Handgelenk. „Und jetzt komme ich näher. Schau nur Heidi, wie schön.“

      Heidi blickt auf Papas Hologramm über dem Display. Dann kommt sie ins Stocken. „Und was ist das für ein strohfarbener Dschungel, der um die Drohne wirbelt?“

      Eine Frau am Nachbartisch schreit auf. „Eeeh, da ist irgendwas in meinem Haar. Eeeh, ist das ekelig. Ist das ein Ungeziefer?“ Das müssen auch Deutsche sein.

      Der Mann, der mit der Frau sitzt, versucht, mit der Speisekarte das Ungeziefer aus ihrem Haar zu vertreiben. Er fächert mit der Karte hin und her. Dann schreit er auf: „Das ist ja eine Drohne. Welcher Idiot hat hier eine Drohne losgeschickt?“

      Papa hält seine Hände, mit denen er die Drohne steuert, sofort unter den Tisch. Schnell schaltet er auf Automatiksteuerung um.

      Zu spät. Die Drohne hat sich fest im Haar der Frau verfangen. Ihre Haare verwirbeln zu einer Art Dutt. Sie sieht ganz unglücklich aus. Der Mann schlägt ihr mit der Karte auf den Kopf. Aber die Drohne fällt nicht aus dem Haar. Die Frau schreit nochmal auf. „Abschneiden. Ich werde die Haare abschneiden müssen. Wir kriegen das Ding da nie mehr raus.“

      Der Mann läuft immer wieder um die Frau. „Wenn ich diesen Trottel erwische, dem die Drohne gehört…“

      Unser Essen kommt.

      Wiedersehen mit Lisa

      Nach drei Wochen im Tessin sehe ich Lisa wieder. Endlich. Ich habe sie zum Tee eingeladen. Papa und Heidi sind zusammen zur Saalburg gefahren, um dort spazieren zu gehen. Ideale Bedingungen. Heute werde ich es Lisa endlich sagen können. Ich liebe sie so sehr. Ich werde nie mehr in meinem Leben einen Menschen so sehr lieben wie Lisa. Heute ziehe ich das durch.

      Es klingelt. Lisa. „Hallo!“

      „Hi, Lars. Es riecht hier ja schon nach Earl Grey. Super.“

      Wir gehen in mein Zimmer. Meine beiden Sitzkissen habe ich ganz dicht zusammen gestellt. Lisa schiebt ihr Kissen erst einmal von meinem fort. Dann nimmt sie Platz. Ich habe für jeden ein Schokoladencroissant besorgt. Lisa liebt Schokoladencroissants. „Perfekt, Lars. Du kennst mich.“

      „Wie war dein Urlaub? Du musst ja jeden Tag gesegelt sein.“

      „Ja. Das bin ich.“

      „Erzähle mal.“

      „Ich bin jetzt am Himmel richtig zuhause. Der Segelflugschein ist ja nur der Anfang. Ich habe sogar einen Tandemsprung gemacht.“

      „Mit dem Fallschirm?“

      „Na, klar mit Fallschirm. Ohne ist ja nicht so ratsam. Und wie war es im Tessin?“

      „Schön. Ich kenne da ja schon alles. Ich habe dich vermisst. Ich möchte dir sagen, dass…“

      Über Lisas Handgelenk