Rüdiger Marmulla

Lars' Diary


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hat sich ihren Konfirmandenspruch selbst ausgesucht. Typisch Lisa eben.

      Papa hat erzählt, dass wir mit Lisas Familie und unseren Gästen auf dem Römerberg essen werden. „Zum Standesämtchen“ heißt das Restaurant. Und dann schaute Papa für einen kleinen Moment ganz traurig. Aber dann hellte sich seine Miene wieder auf.

      Ich fragte Papa, ob Heidi auch kommt. Und er sagte, sie komme, wenn ich einverstanden sei. Aber an Papas Augen sah ich, dass er sich freuen würde, wenn sie kommt. Na, und Hannah wird sich auch freuen, schließlich sind die beiden seit Heidis Seelsorgedienst im Diakonissenkrankenhaus miteinander befreundet.

      Passt schon.

      Wie kann ich Lisa sagen, dass ich sie liebe? Oder besser: wo?

      Die Teestunde war prinzipiell ideal. Aber Papa hängt meist zuhause. Das passt dann nicht so. Ich muss mit Lisa ungestört sein. Und wenn ich sie dann küssen werde, sowieso.

      Palmengarten. Der Palmengarten ist eine Lösung. Ich werde Lisa fragen, ob sie am Samstag vor der Konfirmation mit mir in den Palmengarten geht. Genau. So mache ich das. Am besten rufe ich sie jetzt noch an und frage sie.

      Palmengarten

      „Hallo Lisa. Wir können los.“ Ich hole sie zuhause ab.

      „Hi, Lars. Macht es dir etwas aus, wenn meine Eltern, mein Onkel und meine Tante mitkommen? Sie sind zu meiner morgigen Konfirmation schon heute aus Regensburg angereist.“

      Nein sagen kann ich nicht. Irgendwie blöd. Naja. Ich sage: „Ja. Das ist in Ordnung.“

      „Du machst aber ein Gesicht, als hättest du in eine saure Zitrone gebissen, Lars.“

      Ich lächele, so gut ich kann.

      „Mein Onkel ist Zahnarzt an der Uniklinik. Mein Vater zieht ihn immer auf und sagt, aus ihm sei nichts geworden. Mein Vater sagt immer, mein Onkel sei ja kein richtiger Arzt. Und dann sagt mein Onkel immer, er wisse wenigstens, was er tut. Im Gegensatz zu meinem Vater.“

      „Was? Ein Chirurg weiß nicht, was er tut?“

      „Na, kennst du nicht den Witz über Chirurgen, Internisten und Psychiater?“

      „Nö, Lisa.“

      „Jetzt kennen wir uns schon ein ganzes Leben und ich habe dir den Witz noch nicht erzählt? Er ist total elementar. Willst du ihn hören?“

      „Ja. Mach mal, Lisa.“

      „Also: Ein Chirurg kann alles und weiß nichts. Und ein Internist weiß alles und kann nichts. Und weißt du, wer nichts weiß und nichts kann?“

      „Nein, Lisa.“

      „Der Psychiater.“

      „Ach.“

      „Und weißt du, Lars, wer alles kann und alles weiß?“

      „Nee.“

      „Der Pathologe. Aber der kommt immer zu spät.“

      „Mensch. Die Mathematikerwitze von meinem Papa gefallen mir besser. Darf ich auch einen Witz erzählen?“

      „Mach mal, Lars.“

      „Zwei Mathematikstudenten sprechen miteinander. Der eine: ‚Wie spät ist es?‘ – Der andere: ‚Donnerstag!‘ – Dann wieder der erste: ‚So genau wollt ich's gar nicht wissen. Nur, ob Sommer- oder Wintersemester…‘“

      „Ha, ha, ha. Auch nicht schlecht, Lars.“

      Inzwischen erscheint auch Lisas Familie in der Tür. Wir gehen los. Jetzt wird der Palmengartenbesuch doch so ganz anders, als erhofft.

      Und weil Lisa und ihr Onkel sich so intensiv unterhalten, kann ich Lisa auch gar nicht loseisen. Ich komme mir auch vor wie ein Pathologe. Ich bin auch immer zu spät.

      Ich könnte Lisas Onkel ja auch einen Witz erzählen. „Sie haben mit meinem Papa etwas gemeinsam.“

      „Ja, Lars? Was denn?“

      „Sie können beide Wurzeln ziehen. Allerdings kann mein Papa auch die Wurzel aus einer Unbekannten ziehen. Sie aber nur aus Personen mit gültiger Krankenversicherung.“

      Jetzt schaltet sich Lisa ein: „Wenn es um Abrechnungspositionen geht, kennt mein Onkel keinen Spaß.“

      „Oh. Das wusste ich nicht.“ Ich dackele schweigsam neben den beiden her.

      Zu Mittag essen wir im Café Siesmayer. Hier ist alles ganz schick, und man muss am Eingang warten, bis man einen Platz angewiesen bekommt.

      „Na, Lars. Zeig mal deine Zähne.“

      Was will ihr Onkel jetzt? Ich ziehe meine Lippen auseinander wie ein Pferd, das lacht.

      „Ah. Habe ich doch recht gesehen. Ein kleines Diastema mediale. Wahrscheinlich sollte mal dein Oberlippenbändchen durchschnitten werden. Dann schließt sich das wieder. Vor allem jetzt, in der Pubertät.“

      „Dia… was?“

      „Diastema mediale. Die beiden mittleren Oberkieferfrontzähne stehen auf Lücke.“

      „Ich finde das ganz süß.“ Lisa lächelt mich an.

      Unser Essen kommt. Meine Zähne werden jetzt für andere Zwecke gebraucht. Diastema hin oder her. Ich öffne meinen Mund jetzt nur noch zum Essen und Trinken. Vielleicht auch zum Sprechen. Falls ich nicht gerade einen Witz erzählen will. Aber nicht mehr für eine zahnärztliche Untersuchung. Stinkt mir sowieso, dass ich mit Lisa nicht allein bin.

      Der große Tag

      Vor der Alten Nikolaikirche stehen schon Hanna und Johannes, als Papa, Heidi und ich eintreffen. Kurz darauf sehe ich auch Lisa mit ihren Eltern und Verwandten kommen. Und dann sind auch schon Oma und Opa da. Wir gehen zusammen in die Kirche hinein. Der Kirchenraum ist heute voll besetzt.

      Pastor Albert betritt die Kanzel ganz festlich. Die Predigt handelt von dem klugen Mann, der sein Haus nicht auf Sand, sondern auf Felsen baut. Nach der Predigt gehen wir Konfirmanden alle nach vorn. Wir sind exakt 31 Konfirmanden. Die Taufpaten lesen einzeln unsere Konfirmandensprüche vor. Hannah stellt sich zu mir nach vorn. Sie sieht sehr lieb aus. Ich fühle, dass sie ein Teil unserer Familie geworden ist. Ich fühle mich ihr ganz nah, so als wäre sie meine Omi. Das ist schwer zu beschreiben. Und doch unglaublich schön.

      Hannah liest.

      7 Gesegnet ist der Mann, der sich auf den Herrn verlässt und dessen Zuversicht der Herr ist. 8 Der ist wie ein Baum, am Wasser gepflanzt, der seine Wurzeln zum Bach hin streckt. Denn obgleich die Hitze kommt, fürchtet er sich doch nicht, sondern seine Blätter bleiben grün; und er sorgt sich nicht, wenn ein dürres Jahr kommt, sondern bringt ohne Aufhören Früchte.

      Ich glaube, ich habe den längsten Spruch von allen Konfirmanden. Als Hannah mit dem Lesen fertig ist, nimmt sie mich liebevoll in den Arm. Das fühlt sich sehr warm und geborgen an.

      Nachdem alle Bibelsprüche vorgelesen worden sind, kommt ein Fotograf und macht Bilder von uns.

      Auf einmal muss ich an Mama denken. Wie gerne hätte ich sie heute dabeigehabt. Warum denke ich ausgerechnet jetzt an Mama? Jetzt, bei diesem Bild? Jetzt, wo ich vorne stehe und alle mich sehen? Eine Träne kommt aus meinem Auge, vielleicht auch zwei. Ich verstehe das selbst nicht, warum das jetzt passiert.

      Der Fotograf ist fertig. Wir nehmen wieder Platz. Und nicht viel später ist der Gottesdienst aus.

      Markus schubst mich beim Rausgehen aus der Kirche. „Du Null hast geweint.“

      Das lasse ich nicht auf mir sitzen. „Schon die Mathematik zeigt uns, dass man Nullen nicht übersehen darf.“

      Markus schubst mich nochmal. „Klar doch. Eine Null kann bestehende Probleme verzehnfachen.“

      „Warte ab, Markus. Ich werde dich auch noch multiplizieren.“

      Markus