Rüdiger Marmulla

Lars' Diary


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wird sie mit dem Wasserschlauch ausgespült.“

      „Ausgespült? Von was?“

      „Kotze, Kacke. Die ganze Batterie. Ich bin gegen Drogen. Fang‘ damit gar nicht erst an, Lars. Das musst du mir versprechen.“

      Jetzt klingt Lisa wie eine große Schwester. Ich weiß nicht, ob ich das gut oder schlecht finden soll. Gut finde ich, dass sie sich um mich sorgt. Schlecht finde ich, dass das so ein Gefälle in unserer Beziehung aufbaut. Ich will nicht ihr kleiner Bruder sein. Aber woher soll sie das auch wissen? Ich habe ihr noch nicht gesagt, dass ich auf sie stehe. Sie weiß nichts von meinen Gefühlen. Ich muss es endlich sagen. Aber in diesem Gedränge geht einfach gar nichts.

      „Sag mal, Lisa. Wollen wir aufs Restaurantschiff? Ich bekomme Hunger.“

      „Ja. Warum nicht? Ich könnte jetzt auch etwas essen.“

      Wir gehen die Treppe hinunter zur Mainpromenade. Über den Steg gehen wir auf das Schiff. Wir haben Glück. Zwei Plätze sind noch frei.

      „Ich weiß noch, wie wir hier als Kinder mit unseren Eltern gegessen haben. Kannst du dich auch erinnern, Lars?“

      Wie könnte ich das vergessen? Einen Moment denke ich an Mama. Sie war immer so schön neben Papa. Mama war die schönste Frau der Welt. Lisa ist die Einzige, die es mit ihr aufnehmen kann. Einen Moment werde ich sehr traurig. Ein oder zwei Tränen wollen aufsteigen und ich bekomme plötzlich einen Kloß im Hals. An etwas anderes denken. Ich will an etwas anderes denken. Ich will jetzt nicht weinen. Ich nicke. „Ja, Lisa. Ich erinnere mich.“

      „Bestellen wir Frankfurter Schnitzel mit Grüner Sauce und Bratkartoffeln?“

      „Ja. Wie immer. Zwei Portionen. Und für jeden eine große Cola.“

      Lisa winkt dem Ober zu und bestellt für uns.

      Am Nachbartisch wird es laut. Zwei Männer stehen auf. Der eine packt den anderen am Kragen. „Mache das nie wieder!“, schreit der eine. Komische Stimmung. Sie nehmen wieder Platz. Der Schreihals greift wieder zum Besteck und schaufelt sich sein Essen rein. Der andere tut so, als sei nichts passiert. Zwei Frauen sitzen auch dabei. Eine ist knallrot im Gesicht. Die andere schaut weg – in Richtung Main.

      Irgendwie passt die Atmosphäre hier nicht zu meinen zarten Gefühlen. Ich bringe kein Wort über die Lippen. Meine Liebe bleibt heute noch unausgesprochen. Es wird sich bestimmt eine bessere Gelegenheit ergeben. Ganz sicher.

      Unser Essen kommt schon zusammen mit den Getränken. Das ging jetzt wirklich schnell. Ich würde Lisa am liebsten ununterbrochen anschauen. Aber wenn ich sie dann anschaue, dann muss ich schnell wegschauen, weil sie so unendlich schön ist. Ich bekomme dann immer Herzklopfen.

      Ich lasse mir nichts anmerken. Und esse.

      Zufrieden

      Liebes Tagebuch,

      der Tag heute war sehr gut. Es war total schön mit Lisa. Nur ist der Flohmarkt eben kein geeigneter Ort für eine Liebeserklärung. Wohin kann ich mit Lisa gehen, so dass wir Ruhe haben?

      Wir könnten mit dem Fahrrad in den Frankfurter Stadtwald fahren, runter in Richtung Süden zur Oberschweinstiege. Ja. Auf der Fahrt könnten wir in Ruhe reden. In der Oberschweinstiege sitzt man auch nicht so eng gedrängt wie auf dem Restaurantschiff. Oberschweinstiege. Das ist eine richtig gute Idee. Ich werde Lisa fragen. Wir könnten am Ostermontag die Radtour dorthin machen.

      Ich fühle mich sehr mutig. Ich habe keine Angst, Lisa Komplimente zu machen. Sie wird mich nicht auslachen. Lisa hat ein gutes Herz.

      Vor zwei Wochen habe ich mitgehört, wie Markus mit seinem Kumpel auf dem Pausenhof gesprochen hat. Markus machte sich mal wieder wichtig: „Man muss einem Mädchen sagen, dass es hübsch ist. Man muss es aussprechen. Die Mädels wollen das hören. Und man muss sagen, dass man in sie verliebt ist. Das zählt.“

      So blöd dieser Markus ist – hier hat er Recht.

      Jetzt kommt mir auf einmal ein ganz unguter Gedanke. Was ist, wenn Markus mir zuvorkommt? Das darf nicht passieren. Ich rufe Lisa an. Jetzt. Sofort. Ich frage sie jetzt gleich nach der Radtour am Ostermontag.

      Anruf

      Ich melde mich bei Lisa und aktiviere sofort meinen Avatar über ihrem Display, als sie den Anruf entgegennimmt.

      „Ja, Lars. Was gibt es denn?“

      „Ich mag mit dir am Ostermontag eine Radtour machen. Was denkst du?“

      „Naja. Warum nicht? Passt schon. Ostermontag habe ich noch nichts vor.“

      „Doch. Jetzt hast du was vor, Lisa.“

      Sie hört an meiner Stimme, dass ich jetzt breit grinse. „Gute Nacht, Lars.“

      „Gute Nacht, Lisa.“

      Heute werde ich gut schlafen.

      Oberschweinstiege

      Um elf Uhr hole ich Lisa ab. Mein Fahrrad habe ich schon startklar gemacht, es steht draußen vor dem Haus.

      Dr. Wunderlich öffnet die Tür. „Lisa kommt gleich. Ihr macht also einen Ausflug. Gute Idee. Wenn ich heute keinen Rufdienst hätte, dann könnte ich mit meiner Frau auch mitkommen.“

      Gott sei Dank, dass Lisas Vater Rufdienst hat. Ich sage aber kein Wort dazu.

      „Hi, Lars. Ich bin so weit.“ Lisa trägt heute ein gelbes Sommerkleid. Sie erscheint hinter ihrem Vater in der Tür und ist wundervoll.

      Wir gehen nach unten. Lisa holt schnell ihr Fahrrad aus dem Keller. Dann geht es los. Über die Radwege der Stadt kommen wir sicher zum Stadtwald. Wir fahren entspannt nebeneinander. Der Moment ist perfekt. Wie fange ich an? Ich sollte sagen, dass ich in sie verliebt bin, und dass sie die schönste Frau der Welt ist. Oder sollte ich besser sagen, das schönste Mädchen der Welt? Ich sage einfach, dass niemand so schön ist wie sie. Das ist besser. Ich schaue Lisa an, während ich so nachdenke.

      Da platzt es aus Lisa heraus: „Was glotzt du mich die ganze Zeit so romantisch an, so als ob du mir eine Liebeserklärung machen wolltest? Lass das, Lars.“

      Mir bleiben meine zurechtgelegten Worte regelrecht im Hals stecken. Mit einem Mal fehlt mir aller Mut. Ich schaue weg. So wollte sie es ja. In der Oberschweinstiege bestellen wir beide eine Handkästrilogie und eine Limo. Aber alles ist auf einmal so fad.

      Im Rahmen meiner Möglichkeiten

      Liebes Tagebuch,

      ich will nicht aufgeben und will durchhalten. Ich muss mich daran gewöhnen, Dinge anzufangen und dann auch zu beenden.

      Ich will das mit Lisa und meiner Liebeserklärung jetzt durchziehen. Egal, wie sie reagiert.

      Da geht mir auf, wie gerne ich Lisa umarmen, streicheln und küssen würde. Ich würde gern ihr Haar fühlen und mit ihr Hand in Hand spazieren gehen.

      Vor einem halben Jahr habe ich mir noch ausgemalt, wie es wäre, eine Freundin zu haben und von den anderen Jungs dafür beneidet zu werden.

      Seit ich weiß, dass es Lisa ist, für die ich brenne, wurde mir klar, dass ich lieben – und nicht beneidet werden – möchte.

      Ehrenhaft

      Deutschunterricht bei Frau Goreck. Manche sagen „Gehrock“. Einige sagen „Schlafrock“. Ich lasse das. Papa sagt, der Name ist Teil der Würde eines Menschen. Die darf man nicht antasten.

      Markus steht vorne am Medienboard. Wir konjugieren das Wort „fechten“ im Präsenz, aktiv. „Ich fechte“ hat Markus schon an das Medienboard geschrieben. Mit hochgezogenen Augenbrauen wartet Frau Goreck auf die zweite Person, Singular. „Du…?“

      Esther tippt an ihrem Handgelenk „Du fechtest“ ein. Sofort erscheint ihr Text vorn am Medienboard.

      Ein ohrenbetäubendes