Rüdiger Marmulla

Lars' Diary


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wollte einmal auf dem Pausenhof ihr „Uuuaaarrrggg“ nachstellen. Überflüssig, zu sagen, dass er kläglich scheiterte. Damit der Ausruf klingt, braucht man einfach mehr Masse.

      Also, das war eindeutig nicht die Antwort, die Frau Goreck hören wollte. Da geht mir auf, dass wir zuhause noch nie das Wort „fechten“ konjugiert haben. „Segelfliegen“ konjugiert sich eindeutig einfacher. Was haben die Leute auch für eigenartige Sportarten? Ich kenne niemanden, der … Ja, wie denn jetzt?

      „Ich konjugiere euch jetzt das Wort ‚fechten‘. Und ihr müsst mir zusagen, dass ihr euch das ein Leben lang merken werdet.“ – Frau Goreck schaut jetzt vielwissend. Sie ist mit dem Lehrerbegleitmaterial uns gegenüber immer irgendwie im Vorteil. „Markus! Schreib!“ Dann holt Frau Goreck tief Luft und konjugiert: „Ich fechte. Du fichst. Er ficht. Habt ihr’s?“

      Markus schreibt. Über mein Handgelenk mache ich mir einen Screenshot vom Medienboard. Mal schauen, ob Papa „fechten“ richtig konjugieren kann.

      „Du kannst dich wieder setzen, Markus.“

      Markus kommt an meinem Platz vorbei. Und. Stolpert.

      Frau Goreck schreit auf: „Lars, du hast dem Markus ein Bein gestellt. Das habe ich genau gesehen.“

      „Nein“, ist alles, was ich entgegnen kann.

      Frau Goreck besteht auf ihrer Beobachtung. „Ich habe ganz genau gesehen, wie du dein Bein ausgestreckt hast.“

      Jetzt meldet sich Markus zu Wort. „Frau Goreck?“

      „Ja, Markus?“

      „Der Lars hat mir kein Bein gestellt. Ich bin über eine Tasche gestolpert.“

      „Hinsetzen. Abschreiben!“ Frau Goreck geht auf den Fall nicht weiter ein. Stattdessen displayed sie eine neue Aufgabe auf der Medienwand. Sie hätte sich eigentlich bei mir entschuldigen können. Meine Würde ist auch unantastbar. Eigentlich. Aber ich sage besser nichts. Pädagogik hin oder her. Wer weiß, was sie außer dem Wort „fechten“ noch für mich aus dem Hut zaubern würde.

      In der kurzen Pause gehe ich zu Markus. „Danke, dass du mich verteidigt hast, Markus.“

      „Ich habe nur die Wahrheit gesagt und die Sache richtiggestellt, Lars.“

      Ich finde das sehr … ja, wie? … Ehrenhaft. Ich finde das sehr ehrenhaft.

      Aber bevor ich das aussprechen kann, kommt mir Markus mit einem Grinsen zuvor: „Dass ich Lisa klarmachen werde, ist auch die Wahrheit. Du wirst schon sehen.“

      Da geht mir auf, dass ich es Lisa immer noch nicht gesagt habe. Mir wird eiskalt. Markus darf mir auf keinen Fall zuvorkommen.

      Teezeit

      Heute Nachmittag habe ich Lisa zum Tee eingeladen. Sturmfreie Bude. Papa ist bei der Schülernachhilfe in der Alten Nikolaikirche. Ich bin nicht wie sonst mitgegangen.

      Ich weiß, dass Lisa Earl Grey mag. Ich habe den Tee ganz frisch im Teeladen an der Neuen Kräme gekauft. Dort, wo es schon vor dem Geschäft so gut nach Tee und Gewürzen riecht. Einen Beutel Frankfurter Freches Früchtchen habe ich auch gekauft. Den schenke ich Lisa. Passt irgendwie. Riecht auch sehr gut. Nach Brombeeren.

      Ich habe die beiden Sitzkissen am kleinen Glastischchen in meinem Zimmer ganz nah zusammen gestellt. Der Tee ist gekocht. Alles ist vorbereitet. Lisa kann kommen.

      Es klingelt.

      Ich habe Herzklopfen. Heute ist der Tag. Ich prüfe den Sitz meiner Haare im Flurspiegel. Ist OK. Ich öffne. „Hallo Lisa.“

      „Hi, Lars. Da bin ich.“

      Ich schließe die Tür.

      „Riecht gut nach Tee, Lars.“

      „Ja. Ich habe Earl Grey gekocht. Und ich habe noch eine Überraschung für dich.“

      „Überraschungen mag ich.“ Lisa grinst mich an. Sie betritt mein Zimmer. Bevor sie sich setzt, schiebt sie erst einmal ihr Sitzkissen von meinem fort.

      Hm.

      „Was für eine Überraschung ist es denn?“

      Ich reiche ihr das verpackte Geschenk.

      Lisa öffnet es. „Oh. Ein Frankfurter Freches Früchtchen. Das riecht gut. Danke, Lars.“

      Ich schenke uns den Earl Grey ein. Ich habe seit Weihnachten ein eigenes Teeservice. Das kommt heute zum ersten Mal so richtig zum Einsatz. Es ist aus dunkelblau getöpfertem Ton.

      Wir trinken.

      Der Moment ist gut. Jetzt ist der Zeitpunkt. Bevor ich meinen Mund aufmachen kann, spricht Lisa.

      „Unsere Konfirmation ist nächstes Wochenende. Kennst du schon deinen Konfirmandenspruch?“

      „Nein. Ich habe Hannah gebeten, mir einen auszusuchen.“

      „Kommen Hannah und Johannes auch nächstes Wochenende aus Heidelberg?“

      „Ja. Das ist doch selbstverständlich.“

      „Mein Vater sagt immer, dass Hannah früher eine ganz patente Diakonisse war. Sie konnte richtig anpacken und war sich für nichts zu schade.“

      „Ja. Ich glaube auch, dass sie das Diakonissenkrankenhaus echt vorangebracht hat.“

      „Ich habe mir meinen Konfirmandenspruch selbst ausgesucht.“

      „Und, Lisa?“

      „Mit meinem Gott kann ich über Mauern springen. Psalm 18,30.“

      Ich lache. „Der passt zu dir. Obwohl, wenn ich es recht überlege, dann müsste es heißen ‚Mit meinem Gott kann ich über Mauern segeln.‘“

      Jetzt lacht auch Lisa.

      „Lisa?“

      „Ja, Lars?“

      „Ich wollte dir sagen, dass…“

      Plötzlich.

      Die Wohnungstür wird geöffnet.

      Lachen.

      Papa.

      Das andere Lachen – das muss Heidi sein.

      Schon jetzt? Es ist doch gerade erst vier Uhr.

      Es klopft an meine Tür. Papa. „Hallo Lisa, hallo Lars.”

      „Ihr seid schon da?“

      „Ja. Heute ist doch ab 16.00 Uhr das Konfirmandentreffen mit Pastor Albert. Seid ihr zwei da nicht dabei?“

      Lisa schlägt sich auf die Stirn. „Vergessen. Total vergessen. Komm, Lars. Wir schaffen das noch.“

      Wir lassen den Tee zurück. Und ich muss auch von meiner romantischen Stunde mit Lisa ablassen. Ein anderes Mal. Wir eilen zur Alten Nikolaikirche. Ich komme ganz außer Atem. Keine Zeit für Gefühle. Keine Zeit für Romantik. Keine Zeit für Lars Krönleins Herzensanliegen. Wir kommen nur wenig zu spät.

      Über das Leben

      Liebes Tagebuch,

      Pastor Albert ist ein lässiger Typ. Heute sprachen wir über unsere Konfirmation. „Confirmare“ ist lateinisch und heißt „bestätigen“. Wir bestätigen den Glauben an Jesus Christus, den anfangs unsere Taufpaten für uns aufgebracht haben. Meine Taufpatin ist Hannah. Damals, als ich getauft wurde, war sie noch Diakonisse, hier im Krankenhaus Sachsenhausen in der Schifferstraße. Ich weiß 100%ig, dass Hannah all die Jahre und bis heute für mich gebetet hat.

      Ich werde nicht vergessen, wie down und niedergeschlagen Papa war, bevor er nach dem Tod Mamas zu Hannah und Johannes nach Heidelberg gefahren ist. Er hat mir keine Einzelheiten gesagt. Nur so viel, dass Hannah für ihn zum Wegweiser wurde. „Hannah hat mir gezeigt, wer wirklich das Leben ist und wer echt trösten kann", hat Papa damals festgestellt.