Rüdiger Marmulla

Lars' Diary


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kommt auf mich zu. Sie schaut mich sehr lieb an und sagt ganz zärtlich: „Ich habe dich gesehen. Ich verstehe dich. Es ist alles gut, Lars. Schäme dich nicht dafür.“

      Papa geht mit Heidi auf uns zu. „Und jetzt gehen wir Zum Standesämtchen. Kommt.“

      Es sind nur wenige Schritte. Die Sonne scheint warm auf den Römerberg. Wir können draußen sitzen. Lisa nimmt mir gegenüber Platz. Das ist sehr gut. Hanna und Johannes sitzen links von mir, Papa und Heidi rechts.

      Papa bestellt. Er hat alles im Kopf, ohne auf die Karte zu schauen: „Ich und Heidi nehmen zuerst eine frische Spargelcremesuppe mit Einlage und Sahnehäubchen. Dann nehmen wir ein Barbarie-Entenbrüstchen an Portweinsauce mit überbackenen Rahmkartoffeln und buntem Salat. Dazu trinken wir einen trockenen Iphöfer Domherrn aus Franken. Und zum Nachtisch nehmen wir dann die Heiße Liebe mit Vanilleeis und heißen Himbeeren.“

      Der Ober schaut verschmitzt. „Sehr gut mein Herr. Wie ich sehe, ist unsere Karte bereits fest in ihrem Gedächtnis.“

      Papa grinst. Heidi auch.

      Ich strecke meine Hand aus. „Ich nehme das auch, bitte.“

      Der Ober hakt nach: „Auch mit dem trockenen Iphöfer Domherrn aus Franken?“

      Ich schüttele den Kopf. „Nein. Mit einer großen Zitronenlimonade.“

      „Sehr wohl, junger Mann.“ Der Ober notiert sich alles.

      Lisa schließt sich mir an.

      Alle anderen bestellen auch.

      Lisas Onkel erzählt einen Witz aus der Klinik. „Der Professor fragt den nervösen Examenskandidaten ‚Kennen wir uns nicht?‘ Der Kandidat antwortet: ‚Ja, vom Examen im letzten Jahr.‘ – ‚Ach so, ja. Aber heute wird es schon klappen. Wie lautete denn damals die erste Frage, die ich ihnen gestellt habe?‘ – ‚Kennen wir uns nicht?‘“

      Alle lachen. Dr. Wunderlich korrigiert dann aber seinen Bruder: „Du weißt aber schon, dass man das zahnmedizinische Examen nur einmal wiederholen darf. Oder ist das in Regensburg anders?“

      „Na, so erzählt es sich aber besser. Es kommt ja mehr auf die Pointe an – nicht auf die Wirklichkeit. Oder hast du einen besseren Witz?“

      Lisas Vater setzt sich ganz aufrecht. „Der Professor beim Examen: ‚Sehen sie die Blätter da draußen? Welche Farbe haben die?‘ – Der Student antwortet: ‚Grün.‘ – Der Professor: ‚Gut. Wenn sie braun sind, dann sehen wir uns wieder.‘“

      „Der ist gut“, prustet Papa. „Ich habe auch einen. Mathematik-Examen. Der Professor: ‚Malen sie doch mal eine Skizze vom Sinus.‘ – Der Prüfling malt. Der Professor sagt: ‚Das sieht doch schon ganz gut aus.‘ – Der Prüfling: ‚Nein. Das sollte die x-Achse sein. Ich bin so aufgeregt.‘“

      Wieder lachen alle.

      Und da kommen auch schon die Getränke und kurz danach die Vorsuppen.

      „Guten Appetit, mein Junge“, sagt Hannah ganz lieb zu mir.

      Ich fühle mich wieder gut. Das ist heute unser großer Tag.

      14. Geburtstag

      Seit der Geschichte mit den Powercocktails, die Lisa und ich zu meinem zehnten Geburtstag zusammengemischt hatten, kommt die Hälfte meiner früheren Freunde nicht mehr zu mir. Damit hatten wir nicht gerechnet. „In jeden einfachen Kinderpowerdrink kann man mit etwas Alkohol mehr Pepp hineinbringen“ hatte Lisa damals gesagt. Leider war es dann doch etwas zu viel Pepp geworden.

      Patrick und Sven haben mir dennoch die Treue gehalten. Sie sind heute wieder dabei.

      Papa grillt wie jedes Jahr auf dem Balkon. Weil uns der gute Nudelsalat von Mama fehlt, hat Papa im besten Feinkostladen in der Schweizer Straße verschiedene Salate gekauft.

      Lisa überreicht mir ihr Geschenk. Wie immer. Rotes Papier mit gelben Punkten. Auf Lisa ist einfach Verlass. Ich fühle. Es könnte diesmal ein Buch sein. Ich öffne das Papier. Ja. Es ist ein Tagebuch. „Diary“ steht ganz groß auf dem Deckel. Und ein kleines Schloss ist auch dran. Keiner weiß, dass ich heimlich ein Tagebuch schreibe. Aber wenn ich so weiterschreibe, dann brauche ich bald ein neues Buch. „Danke, Lisa. Das ist ein schönes Geschenk.“

      Lisa lächelt mich an. Sie ist so unendlich schön. Sie trägt jetzt fast nur noch Kleider. Heute ist es ein dunkelblaues Kleid mit kleinen weißen Blümchen drauf.

      Wir essen zusammen. Und ich fühle mich heute sehr gut.

      Rückblick

      Liebes Tagebuch,

      ich erinnere mich an so viele schöne Dinge. Mein Geburtstag war schön. Und die Konfirmation auch.

      Lisa ist in letzter Zeit so herzlich zu mir. Ich kann nicht vergessen, wie sie mir an unserem großen Tag Mut zugesprochen hat. Lisa ist sehr empfindsam. Bestimmt fühlt sie schon, dass ich sie liebe. Sie kennt meine Gedanken und meine Seele.

      Sie hat mir ein Tagebuch geschenkt. Irgendwann kommt der Tag, da werde ich ihr daraus vorlesen. Wir werden eine Familie sein und Kinder haben.

      Heute Nacht habe ich wieder von Lisa geträumt. Ich sah uns unter unserem Weidenbaum am Mainufer. Wir stiegen in einen Heißluftballon und flogen auf und davon. Weit, weit fort. Einem Regenbogen entgegen.

      Lisa und ich.

      Meine ganze Seele, alles in mir, sagt ja zu Lisa.

      Abfuhr

      „Lisa, wollen wir morgen zusammen ins Schwimmbad gehen?“

      „Nee, Lars. Ich fahre morgen auf die Wasserkuppe. Ich gehe segelfliegen.“

      „Und Sonntag? Wollen wir Sonntag schwimmen gehen?“

      „Ich bin das ganze Wochenende in der Rhön.“ Lisa sieht beschäftigt aus. Und jetzt sehe ich auch, dass sie dabei ist, ihre Tasche zu packen. Warum habe ich das nicht gleich erkannt? Sie packt weiter. Ich schaue ihr zu. Ja, jetzt weiß ich auch nicht, was ich sagen kann. Das wird ja ein ödes Wochenende ohne Lisa. Vielleicht sollte ich auch den Segelflugschein machen. Alt genug bin ich ja jetzt. Ich sage es. „Ich mache auch den Segelflugschein.“

      „Cool“, ist alles was Lisa darauf antwortet. Sie packt weiter. Merkt sie eigentlich, dass ich noch da bin? „Geh mal zur Seite. Ich muss mal an diesen Schrank.“

      Ich gehe zur Seite. Es kommt mir so vor, als sei Lisa schon weg. Hier, bei mir, ist sie jedenfalls nicht mehr. Ich schaue sie an. „Ja, dann…“

      Lisa merkt gar nicht, dass ich den Satz angefangen habe. „Mein Bahnticket muss ich noch aufs Handgelenk saven.“

      Ich setze noch mal an. „Ja, dann…“

      „Ja, Lars. Wir sehen uns dann am Montag in der Schule wieder. Mach’s gut.“

      Langes Wochenende

      Ein Wochenende ohne Lisa. Das kann ja ganz schön lang werden. Die Zeit zieht sich wie ein Gummiband. Ich stehe an meinem Fenster und schaue auf den Main. Inzwischen muss Lisa schon in der Rhön sein. Ich könnte ein bisschen Musik hören. Ja. Die Stadtratten. Ich streame Die Antwort über mein Handgelenk. Das Lied habe ich auf dem Schulfest gehört. Das Schulfest war auch ziemlich trist ohne Lisa.

      Noch eine Woche Schule. Dann kommen die Sommerferien. Papa will mit mir und Heidi nach Ascona fahren. Er hat an der Uferpromenade schon ein Hotel gebucht. Ich bekomme diesmal sogar mein eigenes Zimmer. Und Heidi bekommt auch ein eigenes Zimmer. Diesmal wollte sie mitfahren. Drei Wochen im Tessin. Letztes Jahr war es ja ganz schön dort. Aber da war ich noch nicht in Lisa verliebt.

      Da fällt mir ein, dass ich gar nicht weiß, was Lisa diesen Sommer macht. Wahrscheinlich fährt sie mit ihren Eltern wieder zu dem Berghotel auf der Seebenalp. Da fahren die Wunderlichs gern hin.

      Drei