Richard Mackenrodt

Azahrú


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Das sind doppelt so viele, wie ihr hier bei euch habt. Das ist ein Vermögen! Das macht aus einem armen Kerl einen schwerreichen Mann! Ihr findet mich in Agadez - sagt einfach, ihr sucht Major Gerhard Angermair von der SS, und man wird euch zu mir führen.«

      Die Männer hatten ihre Gesichter alle hinter dem tagelmust, aber ich bin mir sicher: Bei diesem Angebot musste der eine oder andere schon erst mal kurz schlucken.

      Es dauerte noch eine halbe Ewigkeit, bis man mich aus der Satteltasche krabbeln ließ. Mein Vater wollte sichergehen, dass die deutsch-französische Abordnung auch wirklich weitergezogen war. Mir tat alles weh, und ich war schweißgebadet. Aber vor allem war ich verwirrt. Hatte dieser Mann wirklich nach mir gesucht? Ich kannte ihn doch gar nicht. Oder etwa doch? Wie war es möglich, dass ich seine Sprache verstand?

      Die Männer drängten darauf, endlich aufzubrechen, weil die Sonne sich bereits dem Zenit näherte und es immer heißer wurde. Aber meinem Vater war klar: Zuerst musste er mit mir reden. Wir setzten uns auf eine Satteltasche, in den Schatten eines Kamels.

      »Ich hatte immer gehofft«, sagte er, »dieses Gespräch niemals führen zu müssen.«

      Mir war mulmig zumute. »Worüber reden wir denn? Was ist los?«

      »Azahrú, ich liebe dich, das weißt du. Oder, mein Sohn, das weißt du doch?«

      »Natürlich weiß ich das, Vater. Ich liebe dich auch.«

      »Deine Mutter liebt dich auch. Sag, dass du das weißt.«

      »Ich weiß es.«

      Er machte eine Pause. Dabei starrte er vor sich hin und konnte mich nicht ansehen. Er wusste nicht, wie er es über die Lippen bringen sollte.

      »Vater«, sagte ich. »Du machst mir Angst.«

      »Vor ein paar Jahren«, begann er, »hatte ich einen guten Freund. Seine Haut war hell wie deine, sein Haar hatte die Farbe des Wüstensandes.«

      »Wer war dieser Mann?«

      »Er hatte eine Frau. Sie war bemerkenswert. Sehr schön und sehr eigensinnig. Ich mochte sie genauso gerne wie ihn.«

      Er sah mich an, holte Luft, und dann sagte er den Satz, der mein Leben für immer veränderte.

       TEIL I: LUISE UND FRANZ

       Wildschwein im Büro des Direktors

      1

      Farbe zwischen den Borsten des Pinsels ist alles: Das Lachen einer hinreißenden Frau. Der Hinterhof einer Arbeitersiedlung. Der Sonnenaufgang über dem Meer. Die eiternde Wunde eines Leprakranken.

      Das war es, was Luise am Malen so liebte. Der Pinsel in der Ölfarbe gab ihr die Macht, die Leinwand zu bedecken, womit auch immer sie wollte. Nichts drückte vollkommene Freiheit besser aus als blütenweißer Stoff, der darauf wartete, in ein Bild verwandelt zu werden.

      »Franz, schau! Die Farben. Wie sie ineinander laufen!«

      Er sah hoch von all den aufgeschlagenen Büchern. Im Nu war sie auf seinen Schreibtisch gestiegen.

      »Meine Bücher!« lachte Franz. Luise setzte sich auf seine Lektüre und ließ links und rechts die Beine herunter baumeln.

      »Küss mich«, forderte sie. »Und zwar auf der Stelle.« Er tat es.

      »Wieso muss ich dich immer noch teilen mit so viel Druckwerk?« wollte sie wissen. »Dein Examen hast du doch in der Tasche. Mit Auszeichnung.«

      »Weißt du, als Ethnologe wird man nur ernst genommen mit einem Titel vor dem Namen. Also suche ich ein Thema für meine Promotion.« Luise zog eines der Bücher unter ihrem Po hervor. Beim schnellen Durchblättern fand sie Abbildungen von Sanddünen und Felsformationen. Sie verzog das Gesicht.

      »Deswegen kann ich mit Fotografien nichts anfangen«, sagte sie. »Mir fehlt die Farbe.«

      »Dann sieh dir mal das hier an.« Franz nahm ihr das Buch aus der Hand und schlug eine Seite auf, die er mit einem Lesezeichen markiert hatte. Darauf war ein Mann zu sehen. Das Tuch, das er sich um die Stirn geschlungen hatte, verdeckte auch Nase und Mund, nur ein schmaler Schlitz war frei. Die Augen waren tiefschwarz, trotzdem schienen sie zu glühen. Luises Albernheit verflog beim Anblick des Bildes.

      »Wer ist das?«

      »Wir nennen sie Tuareg - die von Gott Verlassenen. Sie selbst bezeichnen sich als Imushaq - die Freien.«

      »Wo leben sie?«

      »Im Norden Afrikas. Sie ziehen herum, züchten Vieh und treiben Handel.«

      »Nomaden?«

      Franz nickte. Luise gab ihrem Mann einen Kuss. »Wann fahren wir hin?«

      Er erwiderte ihr Lächeln. Sie war eine erstaunliche Frau. Offen für einfach alles. Unerschrocken auf eine, wie Franz fand, manchmal beängstigende Weise.

      »Ich bin unzerstörbar«, sagte sie immer. »Mich kriegt keiner kaputt.«

      2

      Franz hatte das Büro nie zuvor betreten und war nicht gefasst auf das, was ihn erwartete. Der Raum war riesig. Überraschend dunkel. Und sehr unübersichtlich. Er war unterteilt durch mehrere Paravents, die erstaunlich hohen Wände behangen mit Teppichen, Gemälden und ausgestopften Köpfen von Hirschen, Füchsen, Bären und Tieren, die Franz nicht benennen konnte, weil er sie noch nie gesehen hatte. Sie alle starrten ausdruckslos ins Nichts, und dennoch fühlte er sich von ihnen beobachtet. Dominiert wurde der Raum aber von Porzellan. Auf dem Boden standen Vasen, mit und ohne Henkel - eine davon so ausladend, dass ein ausgewachsener Mann sich darin hätte verstecken können. Auf den Sideboards und in den Vitrinen drängten sich Schalen, Figuren, Salz- und Pfefferstreuer, Schnupftabakdosen - alles, was man aus Porzellan fertigen konnte, schien hier, bunt zusammengewürfelt, eine Heimat gefunden zu haben. Auch an den Wänden stilistisches Durcheinander, klassische Gemälde teilten sich eine Wand mit Originalen von Kandinsky und Franz Marc. Franz hielt die Luft an. War dies der Verkaufsraum eines exzentrischen Kunsthändlers, oder befand er sich tatsächlich im Büro seines Schwiegervaters, des erfolgreichsten deutschen Porzellanherstellers Hermann von Kramm?

      »Franz, mein Lieber, komm her«, rief es von irgendwo her. Franz konnte niemanden sehen. Schwer zu sagen, woher die Stimme überhaupt kam. Er entschied sich, an der ersten Reihe von Paravents vorbei zu gehen, bis er plötzlich jemandem Auge in Auge gegenüber stand, mit dem er nicht gerechnet hatte. Ein Wildschwein richtete sich in voller Körpergröße vor ihm auf und starrte ihn angriffslustig an. Franz begrüßte den Umstand, dass es ebenfalls ausgestopft war.

      »Bei den Gewehren rechts ab«, hörte Franz seinen Schwiegervater rufen. Er sah die Schusswaffen, die an der Wand hingen, und ging hindurch zwischen einer mehr als mannshohen Palme und einer massiven Bücherwand aus Mahagoni. Dahinter wurde es auf einmal heller. Das Herzstück des Raumes war erleuchtet von vielen kleinen elektrischen Lampen und wirkte wie das, was es sein sollte: das mit heiliger Bedeutung aufgeladene Refugium eines bedeutenden Mannes. Hermann saß in einem weißen Lederfauteuil und hantierte mit einem Gerät, das vor ihm auf dem Couchtisch stand. Es war schwarz und sah aus wie ein kleiner Ofen, nur ragte ein langes Rohr daraus hervor, mit einem Objektiv vorne dran.

      »Guten Tag, Schwiegervater«, sagte Franz und neigte höflich das Haupt.

      »Setz dich«, sagte Hermann. »Die Vorführung beginnt.«

      Franz nahm Platz in einem zweiten Sessel. Sein Gastgeber drehte mit der Hand am Objektiv herum. Hermann war ein kleiner, gedrungener Mann mit schütterem, graumeliertem Haar. Sein Sakko, das er über die Sessellehne gehängt hatte, war längst auf den Boden geglitten. Seine Hemdsärmel waren aufgekrempelt, er hatte eine zupackende Körpersprache, der man schnell entnahm, dass er keinen Widerspruch gewohnt war.

      »Afrika. Aufregender Kontinent. Möchtest du Tee?« Hermann deutete auf einen prachtvoll verzierten Samowar. Ohne die Antwort