Richard Mackenrodt

Azahrú


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Männer kannten Abdel Aziz und grüßten ihn freundlich, andere glotzten nur finster. Vor allem das Auto erregte Aufsehen. Kinder liefen nebenher, um es sich genauer anzusehen, und berührten es mit den Händen.

      »Ich heiße Luise«, sagte sie zu einem Mädchen. »Und du?«

      »Sie kann dich nicht verstehen«, meinte Franz.

      »Das weiß ich, Schlaumeier«, erwiderte Luise. »Aber fängt Verständigung nicht immer an mit einem ersten Satz?«

      »Jamina«, sagte das Mädchen auf einmal. Franz, und mehr noch Luise, starrten die Kleine staunend an, die jetzt stehen blieb und ihnen hinterher winkte.

      Am zweiten Tag wurden die Wege holpriger. Sie waren müde von der Nacht im Zelt, das Abdel Aziz für sie errichtet hatte. Der steinige Untergrund war leicht abschüssig gewesen, und so hatten sie sich am Morgen mitsamt ihren Decken in einer Ecke des Zeltes wiedergefunden.

      »Die letzten Anzeichen der Zivilisation verschwinden«, sagte Franz. Sie hatten schon seit Stunden keinen Menschen mehr gesehen. Auch die Pflanzenwelt, die im Landesinneren von Anfang an nicht sehr üppig gewesen war, wurde immer karger.

      Am dritten Tag wurde Luise krank. Sie bekam Halsschmerzen, musste ständig niesen, der Kopf tat ihr weh. Franz schlug schon zur Mittagszeit vor, das Zelt aufzuschlagen, aber das wollte sie nicht.

      »Es ist nur eine Grippe«, krächzte sie leise. »Die kriegt mich nicht kaputt.«

      Am vierten Tag fing die Erkältung an abzuklingen. Dafür rebellierten bei Luise nun Magen und Darm. War sie wirklich robust genug für diese Reise? War es leichtfertig von ihm, sie mitgenommen zu haben?

      »Mach dir mal keine Sorgen«, sagte sie, »das ist nur Montezumas Rache.«

      »So nennt man das in Lateinamerika«, korrigierte Franz. »In Afrika spricht man vom Fluch des Pharao.«

      Luise lächelte, obwohl sie kaum die Kraft dazu hatte. »Du bist so ein Besserwisser«, sagte sie. »Das wird ein verdammt kluges Kind.«

      In der Nacht litt Luise unter Schüttelfrost, und am nächsten Morgen verfügte Franz - gegen ihren Protest - einen Ruhetag. Abdel Aziz wurde unruhig. Mit ein paar Brocken Italienisch verständigte er sich mit Franz darauf, dass er mehr Geld bekommen sollte als ursprünglich abgemacht, wenn die Reise länger dauern würde als geplant. Allzu viel Zeit dürfe man sich ohnehin nicht lassen, gab er zu verstehen und klopfte auf die Wasserschläuche. Jetzt waren die noch prall gefüllt - aber der nächste Brunnen war auch noch einige Tagesreisen entfernt.

      Ein paar Tage später wurde der Sand immer weicher und tiefer, und damit für die Autoreifen zu einem Problem. Abdel Aziz hatte bereits ein Drittel der Luft entweichen lassen, weil das Fahrzeug dann besser zu manövrieren war. Trotzdem blieb Franz damit immer wieder stecken. Abdel Aziz band dann stets mit stoischer Geduld ein Kamel an den Wagen und zog ihn wieder heraus.

      An einem besonders heißen Nachmittag erklommen sie einen felsigen Hügel, und auf dem Kamm bot sich ein Anblick, der ihnen den Atem raubte: Da waren sie endlich, die Sanddünen der Sahara, die ihre weit geschwungenen Bögen in die Wüste malten!

      Am nächsten Morgen schlich Luise schon bei Sonnenaufgang aus dem Zelt. Sie war hingerissen von den Formationen der Dünen, und der Pinsel flog nur so über die Leinwand. Es dauerte eine ganze Weile, bis sie den blau verschleierten Mann entdeckte, der auf einem schneeweißen Kamel saß und vom höchsten Dünenkamm zu ihr hinunter blickte.

      »Franz«, rief sie mit gedämpfter Stimme. Er trat aus dem Zelt und sah ihn auch.

      »Ein blauer Ritter der Wüste«, sagte Franz. »Ein targi

      »Sollten wir Angst haben?« wollte Luise wissen.

      »Früher haben manche von ihnen von Überfällen gelebt. Aber das ist lange her. Glaube ich.« Sie drehten sich beide um, weil hinter ihnen ein Geräusch zu hören war. Aber es handelte sich nur um Abdel Aziz, der sich inzwischen auch aus seinen Decken geschält hatte. Sie wandten sich dem Tuareg wieder zu, aber er war verschwunden. Als wäre er nie da gewesen.

      3

      Wer mehrere Wochen in der Wüste unterwegs ist, ohne einen einzigen Strauch weit und breit, der glaubt nicht mehr daran, dass hinter der nächsten Düne glitzerndes Wasser darauf warten könnte, seine müden Augen zu blenden. Geschichten von Seen und Palmengärten mit zwitschernden Vögeln hält er für Märchen. Und doch gibt es diese Orte, mitten im Nichts aus Sand und Fels. Luise eilte aus dem Wagen, rannte auf das Wasser zu und lief hinein, mit ihren staubigen Kleidern. Sie griff nach ihrem Strohhut und warf ihn von sich. Er landete am Ufer des Teiches, wo er Franz vor die Füße rollte. Der wollte wissen, ob Abdel Aziz das Wasser für unbedenklich hielt. Der Araber formte als Antwort seine Hände zu einer Schale, tauchte sie hinein und trank einen kräftigen Schluck.

      Abdel Aziz lud das Gepäck von den Kamelen und errichtete ein letztes Mal das Zelt, bevor Franz ihn bezahlte. Die Anreise war beendet. Hier würden sie nun bleiben. Sie gaben ihrem Reiseführer die Hand, er wünschte ihnen viel Glück, bestieg das Leitkamel, und so trat seine kleine Karawane die Heimkehr an nach Tripolitanien. Der Araber hatte sich in den vergangenen Wochen nicht anmerken lassen, dass er seine Kunden für ganz und gar wahnsinnig hielt. Alleine mitten in der Wüste, mit einem Auto, aber ohne jede Erfahrung? Diese Leute waren reich! Warum taten sie sowas? Sie konnten andere für sich arbeiten lassen, den ganzen Tag die Füße hoch legen und das Leben genießen. Stattdessen ließen sie sich hier aussetzen, im Nirgendwo, und setzten leichtfertig ihr Leben aufs Spiel! Aber er musste das ja nicht verstehen. Er hatte dadurch ein kleines Vermögen verdient, mit dem er seine Familie ein gutes halbes Jahr lang würde ernähren können - was wollte er mehr? Luise sah Abdel Aziz und den Kamelen nach, bis sie verschwunden waren. Ein bisschen mulmig war ihr jetzt schon zumute. Nun gab es niemanden mehr, der sich auskannte. Keinen, der ihnen beistehen konnte, wenn Besucher hinter den Dünen auftauchten. Franz legte eine schmale Metallkassette auf den Kühler des Wagens und öffnete die Verschlüsse. Darin lag eine Pistole, mit einem langen, schmalen Lauf und einem breiten, rotbraunen Holzgriff.

      »Die hat dein Vater mir gegeben«, sagte er. »Damit ich dich beschützen kann.«

      Luise lächelte. »Kannst du überhaupt damit umgehen?«

      »Natürlich nicht.«

      »Aber ich.« Luise griff nach der Waffe. »Seine Smith & Wesson Straightline. Wenn er die hergibt, macht er sich wirklich Sorgen.«

      »Wir werden sie nicht brauchen«, sagte Franz. »Aber man schläft ruhiger.

      »Wir haben genug Verpflegung«, erwiderte Luise, »eine gute Landkarte und ausreichend Benzin.« Sie schloss die Arme um ihn und hielt ihn fest. Lange standen sie so da. Und wussten nicht, dass sie von aufmerksamen Augen beobachtet wurden…

       Die Tuareg

      1

      In der ersten Nacht fanden sie kaum Schlaf. Sie saßen noch sehr lange vor dem Zelt und schauten in die Sterne. Wie viel mehr es hier am Himmel zu sehen gab, und mit welcher Leuchtkraft die Sterne auf sich aufmerksam machten!

      Der Morgen begrüßte sie mit völliger Windstille. Franz formte mit der Hand eine Vertiefung in den Sand und entfachte mit ein paar abgestorbenen Zweigen ein kleines Feuer - so hatte Abdel Aziz es ihm gezeigt. Er braute eine Kanne Kaffee, dazu aßen sie getrocknete Datteln. Während Franz den Wagen betankte, schlang Luise sich ein Tuch um den Kopf. Es sollte aussehen wie bei den Tuareg, aber dafür war das Tuch zu kurz. Außerdem fand Luise, dass Blümchenmuster auf einem Turban albern waren, und so brach sie den Versuch schließlich ab. Hier in der Nähe sollte es einen Tuareg-Stamm geben, zumindest hatte Abdel Aziz etwas von einem Lagerplatz gesagt, den sie ab und zu benutzten. Er hatte ein Kreuz auf die Landkarte gemalt, einige Kilometer südwestlich ihres Lagers. Franz, der das Fahren in den Dünen mittlerweile ganz gut beherrschte, fand die deutlich karger bewachsene Nachbar-Oase zwar auf Anhieb, aber sie war verlassen.

      »Was glaubst du«, wollte