Richard Mackenrodt

Azahrú


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als sie selbst fünf Jahre alt gewesen war. Seitdem war Isabella stets ihre unangefochtene Lieblingspuppe gewesen. Sie hatte schon lange keine Puppen mehr - mit Ausnahme von Isabella, die sie auf alle Reisen mitnahm. Bis gestern hatte Luise angenommen, sie würde sich niemals von ihr trennen. Dann war ihr die Idee gekommen, Fatou die Puppe zu schenken, für ihr Baby. Und auf einmal war es überhaupt nicht mehr schwer, sich von der kleinen, langjährigen Begleiterin zu trennen. Fatou war sehr berührt. Natürlich verstand sie, was Luise meinte, als sie erst auf die Puppe zeigte und dann auf Fatous runden Bauch. Fatou faltete die Hände vor der Brust und sagte: »Tannemert nek hullan hullan.«

      »Gern geschehen«, erwiderte Luise. »Sehr gern sogar.«

      Luise begriff, dass die Frauen im Stamm eine angesehene Stellung hatten, und das überraschte sie. Sie hatte damit gerechnet, dass Tuareg-Frauen, wie bei anderen islamischen Völkern, nicht viel zu sagen haben würden. Zwar waren auch hier die Männer die Versorger und Beschützer, aber der Wohnbereich gehörte den Frauen. Sie waren die Herrinnen der Zelte. Sie bestimmten, wie das Zelt auszusehen hatte und was hinein gehörte. Und vor allem auch wer hinein gehörte. Wenn eine Frau sich von ihrem Mann trennen wollte, hatte er das Zelt zu verlassen und sich eine neue Bleibe zu suchen. So forderte es der Brauch.

      Franz wollte Koumamá bitten, ihm zwei Kamele zu verkaufen. Er hatte inzwischen gelernt, dass die Tuareg dieses Tier mehari nannten, und hielt zwei Finger hoch. Ob Koumamá das Aneinanderreiben von Daumen und Zeigefinger mit Geld in Verbindung bringen würde, wusste er nicht. Er stellte sich auf ein langwieriges, schwieriges und von diversen Pantomimen begleitetes Unterfangen ein - aber Koumamá wusste sofort, was er wollte. Er hatte sich selbst schon gefragt, wie die beiden Europäer sich wohl fortbewegen wollten. Natürlich war er bereit, ihm zwei Kamele zu überlassen. Er schrieb einen Preis in den Sand. Franz war klar: Für zwei Kamele war diese Forderung viel zu niedrig. War Koumamá nur Tauschgeschäfte gewohnt und hatte kein Gefühl fürs Geld? Nein, er machte seinem Gast einen Freundschaftspreis. Franz durchschaute das aber und verdoppelte die Zahl, die im Sand geschrieben stand. Koumamá sah sich die Zahl eine Weile an, als würde sie ihm eine Geschichte erzählen. Dann nickte er und ging mit Franz zu den Kamelen. Das Geschäft war geschlossen.

      Koumamá zeigte Franz, wie man die Beine der mehara durch ein dünnes Seil so miteinander verband, dass sie zwar weiden, aber keine großen Schritte machen konnten. Auf diese Weise würde er sie stets schnell wiederfinden.

      Nach der Rückkehr zu ihrem eigenen Zelt beobachtete Franz, wie Luise die Satteltaschen mit allen möglichen Dingen füllte.

      »Dein Abendkleid, der silberne Füllfederhalter und die goldene Uhr?«

      »Das möchte ich ihnen schenken.«

      »Wieso?«

      Ihr Blick war verständnislos. »Wie kannst du das fragen?«

      »Wir sollten es nicht übertreiben.«

      »Franz, sie haben uns das Leben gerettet! Mir, dir und unserem Kind!«

      »Sie sind bescheidene Menschen. Sie wollen nicht, dass wir sie mit Reichtümern überhäufen.«

      »Lass mich nur machen«, sagte sie.

      Franz wusste: Es war sinnlos, Luise von etwas abhalten zu wollen, das sie sich in den Kopf gesetzt hatte. Als sie fertig war, bestieg sie das Kamel und sagte trotzig: »Du brauchst ja nicht mitzukommen.«

      Natürlich begleitete er sie trotzdem.

      Luise breitete ihre Mitbringsel auf dem Teppich vor dem Zelt von Fatou und Koumamá aus. Stolz fing sie an, den Füllfederhalter zu erklären, aber der Stammesführer und seine Frau wollten von den Sachen nichts wissen. Koumamá ging wortlos davon. Mariamá, die sich als Einzige dafür zu interessieren schien, wurde von ihrer Mutter an der Hand genommen und ins Zelt geführt.

      Bei der anschließenden Heimreise war Luise sehr niedergeschlagen. »Ich habe mich aufgeführt wie eine reiche Idiotin, die Lollis an schmutzige Straßenkinder verteilt«, lamentierte sie. »Ich habe sie zu Almosen-Empfängern degradiert. Ich habe sie beschämt und alles kaputt gemacht!«

      Franz ritt hinter ihr her und sagte nicht viel.

      »Und du hast es gewusst und mich nicht davon abgehalten!« rief sie. »Warum hast du es mir nicht verboten?«

      »Manche Dinge versteht man nur, wenn man sie erlebt«, sagte er.

      »Tu nicht so verdammt klug!« schimpfte sie. Dabei fuhr sie zu ihm herum, verlor das Gleichgewicht und kippte aus dem Sattel. Das Kamel war gut zwei Meter hoch. Das ist eine Menge, wenn man direkt auf den Kopf fällt, selbst wenn es weicher Sand ist, der einen bremst. Franz sprang vom Kamel und stürzte dabei selbst, aber das spielte keine Rolle. Vorsichtig drehte er Luise auf den Rücken und strich ihr den Sand aus dem Gesicht. Sie schien bewusstlos zu sein, aber sie atmete.

      »Luise«, sagte er atemlos, und seine Stimme kippte dabei fast ins Falsett. »Kannst du mich hören?«

      Ihre Augen waren geschlossen, aber ihre Hände tasteten nach seinen Schultern und zogen sie zu sich her, so dass er das Gleichgewicht verlor und auf ihren Oberkörper sank. Ihre Arme schlossen sich um ihn und hielten ihn fest.

      »Ohne dich bin ich nichts«, flüsterte sie.

      »Das ist nicht wahr«, sagte er. »Das ist überhaupt nicht wahr.«

      »Dem Kind ist nichts passiert«, fügte sie hinzu und schob seine Hand unter ihre Bluse auf den Bauch. »Mich kriegt man nicht kaputt, aber der Kleine ist noch von einem ganz anderen Kaliber.«

      »Du glaubst, es wird ein Junge?«

      »Er wird etwas ganz Besonderes«, sagte sie.

      2

      Luise wollte die Kränkung, die sie den Tuareg zugefügt hatte, wieder gutmachen. Sie würde sie zu sich nach Hause einladen, zu einem Festessen. Daran war nichts Beschämendes, damit zeigte man dem anderen nur seine Wertschätzung und bot ihm seine Freundschaft an. Ohne die entsprechenden Sprachkenntnisse war das aber schwer zu vermitteln, und Luise bezweifelte, dass ihre pantomimischen Fähigkeiten dafür ausreichen würden. Also besann sie sich auf das, was sie am besten konnte, und malte ein Bild. Genau genommen wurden es sechs Bilder auf drei großen Leinwänden, eine Art Bildergeschichte ohne Text. Der erste Teil zeigte Luise und Franz, wie sie vom Sandsturm überrascht wurden. Auf dem zweiten wurden sie von den Tuareg gerettet. Auf dem dritten tranken sie Tee mit Koumamá. Das vierte zeigte, wie die Tuareg das Zelt für Luise und Franz errichteten. Auf dem fünften näherte sich eine große Anzahl von Tuareg dem Zelt von Luise und Franz, die ihre Gäste mit offenen Armen erwarteten. Und auf dem sechsten und letzten Bild saßen alle vor dem Zelt um ein Feuer herum und feierten, es wurde Musik gemacht, ein paar von ihnen tanzten ausgelassen. Franz war von den Bildern begeistert. Luise hoffte eigentlich nur, sie würden ihren Zweck erfüllen.

      Am folgenden Tag ritten sie in das Lager und stellten die Bildergeschichte auf. Fatou und Koumamá kamen aus ihrem Zelt und trugen ernste, undurchdringliche Mienen zur Schau. Mariamá hatte das Zelt offenbar nicht verlassen dürfen und lugte zwischen den Ledermatten hervor. Während der amenokal und seine Frau die Bilder betrachteten, wurden andere Stammesangehörige neugierig und kamen hinzu. Manche fanden die Darstellungen erheiternd und zeigten mit den Fingern darauf. Luise fing an zu schwitzen, sie fühlte sich wie damals im Internat, wenn die Ordensschwester ihre Bilder begutachtete. Einmal hatte die einen dicken Malerpinsel genommen, ihn in schwarze Farbe getaucht, alles großzügig übertüncht, was ihr nicht gefiel, weil sie es zu anstößig fand, und dann gesagt: »Kindchen, jetzt ist es ein schönes Bild.«

      Fatou wandte sich ihrem Mann zu. Sie tauschten einen stummen Blick. Dann nickte Koumamá und sagte: »Nek ardêgh

      Luise deutete auf das letzte Bild mit der großen Feier. »Wann?« fragte sie. »Wann möchten Sie kommen?«

      »Tîfaut«, antwortete Koumamá.

      Luise sah Franz fragend an. »Was heißt das?«

      Er schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung.