Richard Mackenrodt

Azahrú


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Sonne von einer Wolke verdunkelt wurde. Das war hier ein seltenes Schauspiel. Ein leichter Wind kam auf, der innerhalb weniger Augenblicke so stark wurde, dass Luise ihren Hut festhalten musste.

      »Die Wolke«, sagte sie. »Sie ist gelb. Und sie geht runter bis zum Boden.«

      Franz begriff endlich: »Das ist gar keine Wolke!« Das letzte Wort musste er schon schreien. Sand peitschte ihnen in die Gesichter, als würden sie mit Nadeln beschossen. Die Körner gruben sich in die Augenhöhlen. Aber man hätte sowieso nichts mehr sehen können. Sie riefen gegenseitig ihre Namen, oder besser: Sie versuchten es. Denn den Mund öffnen hieß, ihn mit Sand zu füllen. Franz tastete blind nach seiner Frau, hin und her. Er fand sie nicht. Luise war verschwunden. Bis er über sie stolperte, denn sie hatte sich auf dem Boden zusammen gekauert, um dem Sturm weniger Angriffsfläche zu bieten. Er fiel aufs Gesicht, aber der Schmerz war zweitrangig, da sich ohnehin schon alles anfühlte wie von Schmirgelpapier bearbeitet.

      »Gehen wir zum Wagen!« Franz brüllte Luise mitten ins Gesicht, aber sie konnte ihn weder hören noch sehen. Er zog sie hoch und zerrte sie mit sich. Sie bewegten sich in die falsche Richtung, weg vom Auto. Ihre Nasen waren mit Sand verstopft, sie bekamen kaum noch Luft. Luise sackte zusammen, sie verlor das Bewusstsein. Franz ließ sie vorsichtig auf den Boden hinunter. Er riss sich das Hemd vom Leib und schlang es um Luises Kopf, um sie wenigstens ein wenig zu schützen. Dann spürte er, dass auch ihm die Sinne zu schwinden drohten. Er durfte nicht ohnmächtig werden! Sonst würden sie unter dem Sand begraben werden! Aber er hatte keine Chance. Die Natur war einfach stärker. Das war sie doch immer. Der Mensch vergaß das nur manchmal. Und ab und zu verhängte er damit das Todesurteil gegen sich selbst. Franz sank langsam auf Luises Körper und dämmerte der Besinnungslosigkeit entgegen, als feste, kräftige Hände nach ihm griffen. Er bekam schon kaum mehr mit, dass er hochgehoben wurde, und als man ihn auf ein Kamel hievte, baumelten seine Gliedmaßen umher wie die einer Puppe.

      Das nächste, was er wahrnahm, war der frische, leichte Duft von dem feuchten Tuch auf seinem Gesicht. Er bewegte sich zur Seite und spürte all die Abschürfungen. Das Tuch fiel herunter. Die Augen brannten. Vor ihm im Zwielicht saß ein kleines Mädchen mit dunkler Haut und geflochtenen Zöpfen. Es sah ihn neugierig an, sagte etwas, das er nicht verstand und schien auf eine Antwort zu hoffen. Da erschien Luise hinter dem Kind. Ihr Haar war zerzaust, aber sonst sah sie aus, als wäre nichts gewesen.

      »Na, Langschläfer«, sagte sie. »Da bist du ja wieder.«

      »Wo sind wir?« fragte er.

      »Im Zelt des Stammesführers, wenn ich das richtig verstehe.«

      »Bei den Tuareg?«

      Luise nickte. »Ohne sie wären wir jetzt tot.«

      »Dann bist du wohl seine Tochter«, sagte Franz zu dem kleinen Mädchen.

      »Sie heißt Mariamá«, sagte Luise. »Sie hat dir immer wieder das Kräutertuch auf die Stirn gelegt und mit deinen Füßen gespielt. Die findet sie lustig, weil sie so groß sind.«

      »Danke, Mariamá«, sagte Franz und setzte sich auf. Das Mädchen lächelte stolz. Eine Matte wurde beiseite geschoben. Dadurch konnte Franz kurz sehen, dass draußen schon wieder die Sonne schien. Eine dunkelhäutige Frau kam herein, sie war unverschleiert und hatte ein ausdrucksstarkes, ebenmäßiges Gesicht.

      »Das ist Fatou«, sagte Luise. »Die Frau des Stammesführers.«

      Franz erhob sich, auch wenn das weh tat. »Ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken soll«, begann er. »Wir stehen tief in Ihrer Schuld.«

      »Sie versteht dich nicht«, sagte Luise.

      »Ich weiß«, erwiderte er. »Aber fängt Verständigung nicht immer an mit einem ersten Satz?«

      Fatou sagte etwas, mit ruhiger, melodischer Stimme, dann sah sie Franz erwartungsvoll an.

      »Ich glaube«, sagte Luise, »sie möchte wissen, ob du Hunger hast. Sie hat gekocht, und es schmeckt fantastisch.«

      »Vielen herzlichen Dank«, sagte Franz.

      »In ihrer Sprache heißt das tannemert«, bemerkte Luise.

      Franz sah sie staunend an: »Gibt es irgendetwas über diese Leute, das du noch nicht weißt?«

      Fatou ging voraus, Luise und Franz folgten ihr nach draußen. Das Sonnenlicht brannte heftig in seinen Augen, aber das machte der Duft nach gebratenem Fleisch mehr als wett. Ein Mann saß am Feuer vor dem Zelt, auf einem Teppich im Sand. Sein Gesicht war verschleiert, und er schob gerade eine Teekanne in die Glut.

      »Das ist Koumamá«, sagte Luise.

      Der Stammesführer deutete neben sich auf den Teppich. Franz und Luise setzten sich stumm dazu. Er schöpfte mit einem großen Löffel Suppe aus dem Topf, der im Feuer stand, und reichte Franz die volle Schale.

      »Tannemert«, sagte Franz. Koumamá ließ sich nicht anmerken, ob er es schätzte, in seiner Sprache angesprochen zu werden.

      »Das schmeckt sehr gut«, sagte Franz, nachdem er gekostet hatte.

      »Ekrar«, erwiderte Koumamá.

      »Ich weiß nicht, was das heißt«, meinte Luise. »Zu mir hat er es auch schon gesagt.«

      »Ihre Sprache nennt sich tamascheq«, erwiderte Franz. »Aber dafür gibt es kein einziges Wörterbuch.« Sie bemerkten, dass Koumamás Blick auf ihnen ruhte.

      »Ich glaube«, sagte Luise, »er findet es unhöflich, dass wir uns in einer fremden Sprache unterhalten.«

      »Ekrar?« wollte der Stammesführer wissen. Der Tonfall ließ eindeutig auf eine Frage schließen. Nur: Was hatte sie zum Inhalt? Koumamá sah Franz fragend an.

      »Ekrar«, sagte Luise schließlich, ohne auch nur zu ahnen, was es heißen könnte. Koumamá schöpfte ein weiteres Mal aus dem Topf und füllte Franz‘ Schale.

      Nach dem Essen gab es Tee. Aber nicht einfach so. Dem Genuss ging eine langwierige Prozedur voraus. Koumamá schüttete den zubereiteten Sud aus großer Höhe zielsicher in eine Blechkanne, um ihn anschließend aus ebensolcher Höhe zurück in die Teekanne zu befördern. Das wiederholte er mehrere Minuten lang, immer und immer wieder. Dadurch entstand eine Menge Schaum.

      »Shahid«, sagte Koumamá.

      »Shahid« sagte auch Luise.

      Koumamá stellte drei kleine Gläser in den Sand und füllte sie vorsichtig mit nichts als nur diesem Schaum. Dann schob er die Teekanne zurück in die Glut, um den durch das Hin- und Hergießen erkalteten Tee wieder zu erhitzen. Endlich wurde er in die Gläser gegossen, wo er sich mit seinem Schaum wieder vereinigte. Koumamá reichte seinen Gästen die vollen Gläser. Sie bedankten sich höflich und lächelten freundlich. Koumamá lächelte nicht.

      »Bismillah«, sagte er.

      »Das ist arabisch«, wusste Franz. »Es heißt Im Namen Allahs«.

      »Bismillah«, sagten Luise und Franz, fast wie aus einem Mund. Vorsichtig kosteten sie den Tee. Er war sehr stark. Und so süß, dass es Franz erst einmal schüttelte. Er versuchte aber, sich nichts anmerken zu lassen. Schließlich wollte er es sich mit seinem Gastgeber nicht schon beim ersten Treffen verscherzen. Bereits beim zweiten Schluck änderte er, zu seiner eigenen Überraschung, die Meinung. So übel war der Tee gar nicht. Beim dritten Schluck schmeckte ihm das Gebräu, und als die Tasse leer war, hoffte er auf eine zweite.

      »Er ist köstlich!« rief Luise. »Ich liebe ihn!«

      Koumamá musterte sie. Derart expressive Gefühlsbekundungen am Lagerfeuer war er nicht gewohnt. Um selbst trinken zu können hatte er seinen Schleier ein wenig herunter gezogen. Deswegen sahen sie, dass auch er sich nun den Anflug eines Lächelns nicht verkneifen konnte. Als ihm klar wurde, dass seine Gäste das bemerkten, schob er den Stoff rasch wieder hoch, und seine Augen wurden ernst. Auch Luise nahm schnell wieder Haltung an. Sie wusste: Der Kontakt mit diesen Leuten war für Franz sehr wichtig, also wollte sie sich benehmen.

      Koumamá