Richard Mackenrodt

Azahrú


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fühlte, war seine eigene.

      Nachdem Luise ein paar Stammesmitglieder gemalt hatte, galt es auf einmal als schick, von ihr in Öl festgehalten zu werden, und viele andere standen ihr bereitwillig ebenfalls Modell. Nur Koumamá hatte daran kein Interesse. Und dabei war er derjenige, bei dem Luise besonders darum warb, ihn malen zu dürfen. Er strahlte eine Mischung aus Ruhe und Zufriedenheit aus, die sie furchtbar gerne auf die Leinwand bannen wollte.

      »Koumamá«, begann sie ein weiteres Mal, »ann ahi tannemert - sag mir bitte, was muss ich tun, damit du Ja sagst?« Ihr tamascheq klang gar nicht übel.

      »Nek wer ardêgh - ich möchte nicht«, antwortete er gelassen. »Auch wenn du mich noch hundertmal fragst.«

      »Ma fell - warum denn nicht?« quengelte sie. »Es tut doch nicht weh.«

      »Es muss genügen, dass ich nicht möchte«, sagte er.

      »Aber wenn du es erklärst, wirst du mich los.« Sie lächelte. »Wenn ich verstehe, warum du es nicht möchtest, habe ich etwas, das ich respektieren kann.«

      »Um mich zu respektieren«, sagte er, »musst du mich nicht verstehen.«

      Luise seufzte. »Du bist ein störrischer Knochen«, fügte sie auf Deutsch hinzu, um sofort wieder ins tamascheq zu wechseln. »Entschuldigung. Ich sollte so sprechen, dass du es verstehst.«

      »Warum bedauerst du den Gebrauch deiner eigenen Sprache?«

      »Es ist unfreundlich, Worte zu gebrauchen, die der andere nicht kennt.«

      »Es fällt mir auf«, sagte Koumamá, »wie oft ihr euch bei uns entschuldigt. Wir machen das nicht.«

      »Und wenn du etwas tust, das du bedauerst? Dann entschuldigst du dich doch auch.«

      »Nur wenn ich dem anderen schaden wollte und mich deswegen schlecht fühle.« Koumamá lächelte. »Ich möchte nicht gemalt werden«, sagte er, »weil ich glaube, ein Teil von mir wäre dann in deinem Bild. Als Führer dieses Stammes kann ich mir aber nicht erlauben, dass ein Teil von mir woanders ist. Ich brauche all meine Kraft für meine Leute.«

      »Das verstehe ich«, sagte Luise. »Und ich werde es respektieren.«

      Franz sprach mit den älteren Männern und Frauen des Stammes. Er wollte herausfinden, wie sich das Leben der Tuareg seit dem letzten Jahrhundert verändert hatte. Das war viel schwieriger, als er gedacht hatte, und das lag nicht an sprachlichen Problemen, denn Franz beherrschte tamascheq noch besser als Luise. Es hatte vielmehr damit zu tun, dass zurückliegende Dinge einen targi ganz einfach nicht interessierten. Historie verschaffte ihm nichts zu essen, sie sorgte nicht dafür, dass er ein Wasserloch fand, und sie schenkte ihm weder Kamele noch Weideplätze. Warum also sollte er sich damit beschäftigen? Ein targi brauchte nur zwei Worte, um zu umreißen, was in seinem Dasein wirklich wichtig war: Aman iman - Wasser ist Leben.

      4

      Franz sah, wie Luise hinter der Sanddüne stand und sich übergeben musste, und verlor seine letzten Zweifel an ihrer Schwangerschaft. Es würde ihm schwer fallen, in einigen Wochen schon wieder die Heimreise anzutreten. Er kam mit der Arbeit gut voran und hatte das Gefühl, Teil von etwas ganz Besonderem zu sein. Wenn sie zurück nach Deutschland reisten, würden sie die Tuareg und die Wüste wahrscheinlich nie wiedersehen. Sie würden ihr Kind bekommen und Eltern sein.

      Koumamá dagegen konnte die Geburt seines zweiten Kindes kaum erwarten. Dieses Mal sollte es unbedingt ein Sohn sein. Eine Tochter hatte er ja schon. Es war wichtig, dass es ein Kind gab, das ihn später einmal als Stammes- und Karawanenführer beerben konnte. Und Fatou war, so sehr er sie auch liebte, leider keine Frau, die allzu oft schwanger wurde. Andere Frauen im Stamm hatten vier oder fünf Kinder, Fatou dagegen bisher nur ein einziges, und das war für einen Stammesführer ganz einfach viel zu wenig. Sie war nun schon über 30. Das hier war möglicherweise schon das letzte Kind, das sie bekommen würde. Es musste ganz einfach ein Junge sein!

      Luise porträtierte einen Tuareg, der vor ihr auf dem Kamel saß und versuchte, das Tier ruhig zu halten. Er hatte sich herausgeputzt, seine besten Sachen angezogen, und nun blickte er so stolz und würdevoll drein, wie er nur konnte.

      »Alkhêr ghâs - sehr gut, Hamzat, du machst das wirklich ausgezeichnet«, sagte sie.

      »Kann ich das Bild mal sehen?« wollte er wissen.

      »Erst wenn es fertig ist. So lange musst du dich noch gedulden.« Luise drehte sich um, weil sie hörte, wie jemand angelaufen kam. Es war Mariamá, und sie war völlig außer Atem.

      »Mutter ist umgefallen!« rief die Kleine. »Und Vater ist nicht da!«

      »Hamzat, du darfst es dir doch schon ansehen!« rief Luise und rannte hinter Mariamá zum Zelt von Fatou. Tarishat, eine der ältesten Frauen, war schon bei der Frau des Stammesführers. Sie wusste, was zu tun war, wenn eine Frau in den Wehen lag. Tarishat gestattete Luise, bei der Geburt mitzuhelfen, schickte Mariamá aber hinaus. Koumamá war inzwischen auch gekommen, durfte aber ebenfalls nicht hinein. Das war Frauensache, da hatte er nichts zu suchen. Er strich nervös um das Zelt herum, bis Franz kam und ihn in ein Gespräch verwickelte, um ihn auf andere Gedanken zu bringen. Luise tat alles, was Tarishat ihr an Handreichungen befahl, und vor allem sprach sie Fatou Mut und Durchhaltevermögen zu.

      Als Koumamá den ersten Schrei des Babys vernahm, meinte er: »Es klingt wie ein Junge, oder? Franz, ist das ein Junge?« Franz konnte es nicht sagen. »Ist es ein Junge?« rief Koumamá ins Zelt hinein, aber er bekam keine Antwort. Endlich kam Tarishat mit dem Baby auf den Armen heraus.

      »Dein Kind ist gesund«, sagte sie. »Und deiner Frau geht es gut.«

      »Ist es ein Junge?« war alles, was er wissen wollte.

      »Sie ist wunderschön«, sagte die alte Frau.

      Koumamá legte den Kopf in den Nacken und blickte in den Himmel. Er atmete tief durch.

      »Sieh sie dir wenigstens an«, forderte Tarishat ihn auf.

      Koumamá wandte sich ab und ging davon, ohne auch nur einen Blick auf seine zweite Tochter geworfen zu haben.

      »Koumamá!« rief Franz. »Sieh doch, wie hübsch sie ist.«

      Aber Koumamá verschwand wortlos zwischen den anderen Zelten, fort von seiner Frau, die gerade ein gesundes Kind auf die Welt gebracht hatte, und die, von einem Weinkrampf geschüttelt, in Luises Armen die bittersten Tränen ihres Lebens vergoss.

      5

      Zwei Tage und zwei Nächte blieb Koumamá verschwunden. Fatou stillte ihr Baby, aber ihre Tränen wollten nicht trocknen. Franz und Luise kehrten erst am Tag nach der Geburt zu ihrem Zelt zurück, und wieder einmal tat Luise, was sie am besten konnte. Zwar hatte Koumamá es ihr untersagt, aber das war jetzt gleichgültig, denn er hatte sich abscheulich benommen.

      »Wahre Kunst kommt aus dem Bauch«, sagte sie und begann wütend den Pinsel zu schwingen. Nur die hereinbrechende Nacht konnte sie Stunden später zum Aufhören bewegen. Sie aß etwas und schlief ein paar Stunden, um im Morgengrauen schon wieder an der Staffelei zu sitzen und bis zur Mittagszeit ihr Werk zu vollenden.

      Als Luise und Franz mit den Kamelen im Lager eintrafen, verbreitete sich gerade die Nachricht, dass Koumamá gesehen worden war, wie er von den Bergen des Aïr zu Fuß zurück kehrte zu seinem Stamm. Die Tuareg spürten, dass etwas in der Luft lag, das sich bei seiner Ankunft entladen würde. Koumamá kam und ging wortlos an ihnen allen vorbei auf sein Zelt zu.

      »Sie will dich nicht sehen«, sagte Fatous ältere Schwester.

      »Ich gehe zu meiner Frau, wann immer ich will«, erwiderte Koumamá. Tarishat kam aus dem Zelt.

      »Sie trennt sich von dir«, sagte die alte Frau. »Aber sie ist nicht bereit, dir die Kinder zu überlassen.«

      Genau da lag das Problem, wenn Tuareg-Eltern sich voneinander trennen wollten. Der Frau gehörte das Zelt. Darum hatte der Mann auszuziehen, wenn sie die