Richard Mackenrodt

Azahrú


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eine Leinwand zu bemalen, schlecht gelaunt abbrach und den Pinsel von sich schleuderte. Franz‘ Fantasie wanderte weiter durch die Wüste, in Richtung Nordost, bis nach Tripolis und von dort über das Mittelmeer, hinüber nach Europa. Von Italien nach München schien es auf einmal nur ein Katzensprung zu sein. Er sah den Marienplatz vor sich und das Sendlinger Tor und stellte fest, dass er nichts davon vermisste. Es gab ein paar gute Freunde, die er gerne mal wiedergesehen hätte, und er fragte sich, wie es ihnen wohl gehen mochte, aber sonst fehlte ihm nichts, und das überraschte ihn. Der stechende Schmerz in der Hand stieß sein Bewusstsein zurück in die Wüste. Er sah noch den kleinen, sandfarbenen Körper mit den beiden Scheren, den vielen Beinen und dem nach oben gebogenen Schwanz, der sich mit raschen Bewegungen im Sand eingrub. Ein Skorpion hatte ihn gestochen, aber sein Finger fühlte sich an wie von einem Messer durchstoßen. Die Kinder sprangen auf und liefen davon. Koumamá reagierte sofort und entfernte Franz‘ Hochzeitsring vom betroffenen Finger.

      »Der Finger schwillt schnell an«, erklärte er. »Auf den doppelten Umfang.«

      Franz geriet in Aufregung. »Was geschieht mit mir?« wollte er wissen. »Kann ich sterben?«

      »Du bist ein hochgewachsener Mann in guter Verfassung. Ein Kind könnte sterben. Du nicht.« Koumamá hakte Franz unter und wandte sich an die Jungs. »Nach meinem kleinen Vortrag: Wer von euch findet den Weg auch ohne mich? Wer traut sich das zu?«

      »Ich!« rief der kleine Lassad. »Alles, was du gesagt hast, hab ich mir genau gemerkt. Und ich würde den Weg sowieso finden.«

      »Lassad, Ibrahims Sohn«, sagte Koumamá. »Du führst die Jungs zurück zum Lager. Sagt meinem Bruder Bescheid. Wir brauchen ein mehari. Jetzt geht schon!«

      Lassad atmete tief ein. Er spürte die Verantwortung. Sie machte ihn stolz. Dann rannte er los, und die anderen Jungs, zum Teil viel größer als er, liefen hinterher.

      Franz fing bald an, stark zu schwitzen, die Kräfte verließen ihn. Wenn er seinen Speichel hinunter schluckte, schmerzte die Kehle. Koumamá schleppte ihn von Düne zu Düne, Schritt für Schritt.

      »Ich habe lange keinen Skorpion mehr gesehen«, sagte er. »Du hast großes Pech gehabt.«

      Franz bat Koumamá anzuhalten und ihn auf den Boden hinunter zu lassen, denn er musste sich übergeben. Er konnte kaum mehr sprechen und bekam nur noch schwer verständliche Wortfetzen zusammen.

      »Nimm den Schmerz an, mein Freund«, sagte Koumamá. »Wenn du dich widersetzt, leidest du noch mehr. Aber wenn du die Pein in Ruhe auskostest, löst sie sich auf. Füge dich, und sie fließt durch dich hindurch.« Franz nickte schwach und versuchte es. Koumamá sah ein, dass es keinen Sinn mehr hatte, Franz noch weiter durch die Wüste zu schleppen. Er flößte ihm ein wenig Wasser ein und stellte sich vor die Sonne, um ihm Schatten zu spenden. Franz dämmerte vor sich hin und bekam kaum noch mit, wie er später auf das mehari gehievt wurde. Koumamá setzte sich hinter ihn und hielt ihn fest, damit er nicht aus dem Sattel rutschte.

      Man bettete ihn in sein Zelt, und Fatou behandelte ihn mit Heilkräutern. Als er am Morgen des nächsten Tages erwachte, fühlte er sich noch schwach, aber der Schmerz war verschwunden und die Sinne wieder klar. Luise strich ihm über die Haare und küsste ihm vorsichtig die Stirn. Sie ließ ihn wissen, dass sie es sich anders überlegt hatte. Sie wollte sich nicht mehr querstellen, sondern mit ihm zusammen, wenn es in ein paar Wochen Zeit dafür war, die Heimreise nach Deutschland antreten. Sie habe eingesehen, dass hier auf eine Frau in ihrem Zustand zu viele Gefahren lauerten. Sie berichtete ihm, wie fürsorglich Fatou sich um ihn gekümmert und ihn mit Tees und Salben und Räucherstäbchen versorgt hatte. Die halbe Nacht habe sie hier verbracht, an seiner Seite, bis sie endlich sicher gewesen war, dass ihm keine Gefahr mehr drohte. Franz musste lächeln und berichtete, dass Koumamá ihn als Freund bezeichnet hatte.

      »Weißt du, mein Schatz«, sagte er, »wahrscheinlich hätte mir kein Arzt der Welt besser helfen können. Ich fühle mich schwach. Aber irgendwie merkwürdig erfrischt. Und fast schon euphorisch. Als wäre etwas ganz Wunderbares geschehen.«

      »Fatou hat Kräuter«, sagte Luise, »die es in sich haben. Das kannst du glauben.«

      »Und ich glaube auch«, erwiderte Franz, »dass eine Frau hier gut aufgehoben ist, wenn sie ein Kind bekommen möchte.«

       Bilder in den Bergen

      1

      »Der asshaq ist«, begann Koumamá, »wie ein Fels, den die Götter einst in den Sand gerammt haben. Was wir tun, und warum, ist durch ihn geregelt.«

      Franz begann zu verstehen. Der asshaq war so etwas wie ein Ehrenkodex, definierte Wertvorstellungen und Ideale.

      »Er ruft uns auf zu Haltung. Disziplin. Wenn der Tag schwer ist, und die Nacht sogar noch schlimmer - wir lassen uns trotzdem nicht gehen. Weil der asshaq uns sagt: Auf jede Nacht folgt ein Morgen, mit neuen Möglichkeiten. Also halten wir den Rücken gerade, und unser Blick bleibt klar.«

      Franz dachte bei sich, dass man das sehen konnte. Das Erscheinungsbild der Tuareg mochte oft einfach sein. Aber es war immer voller Würde.

      »Vor allem aber«, fuhr Koumamá fort, »lehrt er mich eines: Die Welt verdient meine Achtung. Ein Mensch. Ein Tier - ob es mich bedroht oder ich es essen will. Eine Pflanze - ob sie mich sticht oder meine Krankheit heilt. Ein Sandkorn, ein Stein. Alles ist Teil des Ganzen. So wie ich.«

      Mit ihren Bildern hätte Luise längst eine Ausstellung abhalten können, so viele waren es geworden. Ihre Schaffenskraft explodierte. Die Leinwände waren ihr längst ausgegangen, aber das machte nichts, sie hatte entdeckt, dass es sich auf Ziegenhäuten auch gut malen ließ. Koumamá war noch immer ihr Lieblingsmotiv. Inzwischen hatte er seine Gegenwehr längst aufgegeben und fühlte sich sogar geschmeichelt, dass sie so wild darauf war, ihn zu bannen beim Zubereiten von shahid, beim Feuermachen, beim Ritt auf dem mehari oder beim Schärfen seiner takuba.

      Fatou spürte wohl, dass die Frau aus Europa für ihren Mann an Bedeutung gewann. Dass er sie zu beeindrucken versuchte. Dass sein Lächeln etwas Werbendes an sich hatte, wenn es Luise galt. Aber sie spürte: Seine Verehrung war voller Respekt. Also blieb sie gelassen, wenn die beiden zusammen saßen und sich gegenseitig zum Lachen brachten. Fatou wusste: Männer waren eitle Vögel und zeigten einer Frau gerne ihre Federn. Wenn man sie ließ, waren sie auch im Zelt der Familie gut zu haben.

      Franz tat sich nicht so leicht mit der enger werdenden Freundschaft zwischen der Künstlerin und ihrem Modell. An manchen Tagen bekam er Luise kaum zu sehen, weil sie mit Koumamá in die Dünen ritt, um ihn dort zu malen. Ein andermal verschwanden sie in den Bergen und kehrten erst am späten Abend zurück. An einem weiteren Tag durchquerte Koumamá mit ihr ein wadi und zeigte ihr, wie man darin ein Wasserloch aufspüren konnte. Luise brachte von den Ausflügen stets ein neues Bild mit. Das war immerhin ein Beweis für ihre künstlerische Arbeit, genügte aber bald nicht mehr, um Franz zu beruhigen. Er spürte Eifersucht in sich aufsteigen. Er ertappte sich dabei, wie er sich vorstellte, Luise könnte im Schutz der Dünen in Koumamás Armen liegen. Franz kämpfte dagegen an, sagte sich, dass seine Frau ihn liebte, ein Kind von ihm bekam, und dass Koumamá ein Freund war, dem nichts ferner lag als unüberlegte Handlungen. Aber wenn die Eifersucht sich erst einmal ins Gemüt gefressen hat, lässt sie sich mit Argumenten nicht mehr abspeisen. Dann hat sie Hunger auf mehr.

      Fatou erriet die Sorgen, die Franz sich machte. Sie sah es ihm an, wenn er Luise und Koumamá hinterher blickte, beim Aufbruch in die Wüste, mit Farben und Ziegenhäuten in den Satteltaschen.

      »Wir können nur von Menschen betrogen werden«, sagte sie unvermittelt, »denen wir vertrauen.«

      Franz fühlte sich ertappt. »Was meinst du?« fragte er.

      »Du bist eifersüchtig.«

      »Du etwa nicht?«

      »Würde er mich betrügen«, meinte Fatou, »wäre ich die erste, die es wüsste. Keinen Wimpernschlag lang könnte er mir etwas vormachen. Darum weiß ich, dass die Gefahr nicht