Richard Mackenrodt

Azahrú


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sehr lange ziehen, bevor er ihn wieder viele Male zwischen Teekanne und Blechkanne hin- und herschüttete. Der zweite Sud war etwas weniger stark, aber dafür noch süßer als der erste. Das war für Franz jetzt aber kein Problem mehr. Auch er war nun erfasst vom Strudel der Sucht, der jeden packte, der je von diesem Tee kostete. Die beiden wussten zu diesem Zeitpunkt noch nicht, was für eine zentrale gesellschaftliche Bedeutung die Teezeremonie für die Tuareg hatte. Das Ritual unterlag strengen Regeln und schrieb drei Aufgüsse vor: Der erste hatte bitter zu sein wie das Leben, der zweite süß wie die Liebe und der dritte sanft wie der Tod. Die Tuareg pflegten diesen Brauch nach jeder Mahlzeit, aber auch dann, wenn sie geschätzten Besuch bekamen. Er stand in direktem Zusammenhang mit der kompromisslosen Gastfreundschaft, der sie sich verpflichtet fühlten. Wer drei Gläser shahid von ihnen bekommen hatte, stand unter ihrem persönlichen Schutz.

      Nach dem Essen unternahm Koumamá mit seinen Gästen einen Spaziergang durch das Zeltlager. Da waren die anderen Mitglieder des Stammes, verschleierte Männer, unverschleierte Frauen und bunt gekleidete Kinder. Luise wunderte sich über die unterschiedlichen Hautfarben, zwischen ganz hell und sehr dunkel gab es alle Schattierungen.

      »Das liegt daran«, sagte Franz, »dass sie früher Sklaven hatten, vom Stamm der Hausa in Nigeria. Sie haben sich mit den dunkelhäutigen Frauen vermischt.«

      »Was für ein schönes Volk sie sind«, bemerkte Luise. »Ob sie sich von mir malen lassen?«

      Auf einer kargen Wiese standen ein paar Dutzend Kamele und wurden von Frauen geweidet, deren Kinder auf dem Boden saßen und spielten. Fatou hatte Mariamá an der Hand und sprach mit einer von ihnen.

      »Sieh mal, sie ist auch schwanger«, sagte Luise. Franz sah sie nun auch, die Wölbung von Fatous Bauch. Und schon hatten die beiden Frauen ein gemeinsames Thema. Luise hatte keinerlei Scheu, sich mit Händen und Füßen zu verständigen, und es gelang ihr, mit Fatou eine Unterhaltung unter werdenden Müttern zu führen. Franz und Koumamá taten sich schwerer. Sie sahen ihren Frauen zu, wie sie miteinander lachten, sich Zeichen gaben und drauflos improvisierten - und hatten keine Ahnung, wie die beiden das anstellten.

      Am Nachmittag ließ Koumamá ein paar Kamele satteln. Er sah den Zeitpunkt gekommen, Franz und Luise zurück zu bringen. Sie stellten sich beim Erklimmen der Tiere besser an, als er erwartet hatte. Dennoch warnte er davor, dass ihnen beim Ritt durch die Wüste schlecht werden könnte. Fatou sah ihn skeptisch an. War ihm nicht klar, dass die beiden kein Wort verstanden von dem, was er sagte? Koumamá zuckte mit den Achseln. Was sollte er denn tun? Er beherrschte die Sprache der Fremden nun einmal nicht. Fatou zeigte auf eins der Kamele, beschrieb gestisch das Besteigen des Tieres, bewegte ihren Oberkörper ein wenig auf und nieder, um einen Ritt zu simulieren, und dann tat sie, als müsste sie sich übergeben.

      »Tannemert für die Warnung«, meinte Luise. »Wir sind bei der Überfahrt nicht seekrank geworden. Ich denke, wir schaffen das.«

      Koumamá fand zwar, seine Frau habe sich vor den Fremden lächerlich gemacht, aber er musste zugeben, dass ihre Bemühungen von Erfolg gekrönt waren. Er nahm noch zwei weitere Männer mit. Den Grund dafür begriffen Luise und Franz, als Koumamá sein Kamel nach einer Weile stoppte. Zuerst sahen sie gar nicht, dass da etwas aus der Düne ragte. Es war der linke vordere Scheinwerfer ihres Wagens. Der Rest war unter Sand begraben. Die Tuareg hatten Spaten und fingen an, ihn frei zu legen. Luise und Franz halfen mit den Händen. Ihm blutete das Herz, als er sah, dass das Stoffverdeck in Fetzen hing. Und das war nicht der einzige Schaden: Der smaragdfarbene Lack war stumpf und an vielen Stellen sogar weggeschmirgelt. Das Auto war ein Flickenteppich aus Blech, der gesamte Innenraum ein einziger Sandkasten. Franz hatte nur wenig Hoffnung, den Wagen wieder zum Laufen zu bringen. Aber dafür war jetzt ohnehin keine Zeit. Koumamá deutete zum Himmel. Bald würde die Dämmerung hereinbrechen. Er führte sie mit den Kamelen zu ihrem Zeltplatz in der Oase. Auch hier hatte der Sandsturm getobt, vom Zelt war nichts mehr zu sehen. Zum Glück hatte Franz nach der Ankunft eine Grube ausgehoben, in der er all ihre Habseligkeiten verstaut hatte. Die Grube war zwar randvoll mit Sand, aber die Sachen waren alle noch da - auch das Ersatz-Zelt, das Franz sofort aufbauen wollte. Koumamá signalisierte ihm, er möge das lassen. Seine Männer holten aus den Satteltaschen der Kamele Matten aus gegerbtem Leder, handgeknüpfte Seile und eine Vielzahl zugeschnitzter Äste. Nahezu wortlos fingen sie an, ein Tuareg-Zelt zu bauen, ein großes, hohes Mattenzelt mit aufwendiger Gerüstkonstruktion. Luise und Franz konnten nicht glauben, dass die Männer das für sie taten, einfach so, als wäre es völlig selbstverständlich. Keine Stunde, und das Zelt war fertig. Mit unübersehbarem Stolz führte Koumamá die Fremden hindurch. Er demonstrierte die Stabilität, indem er fest am Gerüst rüttelte.

      »Tannemert reicht nicht aus, um Ihnen zu danken«, sagte Franz.

      »Ar essaghat«, erwiderte Koumamá. »Alwaq olâghan.« Er und seine Begleiter bestiegen die Kamele. Es war schon fast dunkel, und es dauerte nicht lange, da war von den Kamelen und den Männern nichts mehr zu sehen.

      Franz entzündete eine Petroleumlampe, die wohliges Licht im Zelt verbreitete. Luise legte ihren Kopf auf seinen Schoß. So lagen sie zusammen auf einer Decke und ließen ihre Blicke über das so atemberaubend schnell zusammen gezimmerte Skelett ihres Zeltes schweifen.

      »Daran hängen sie alles Mögliche auf«, sagte Luise. »Das mache ich auch.«

      »Mein Professor hat gesagt: In Afrika braucht man keine Pläne zu machen. Denn es kommt sowieso alles ganz anders.«

      »Bisher dachte ich, das schönste Geschenk, das mir jemand gemacht hat, war der Wagen, den wir von Papa zur Hochzeit bekommen haben. Aber dieses Zelt ist tausendmal schöner.«

      »Der wesentliche Unterschied«, fügte Franz hinzu, »ist der, dass das Zelt einen Sandsturm überlebt.«

      »Der Wagen ist kaputt, oder?«

      »Ich sehe ihn mir morgen an«, sagte Franz. »Wenn im Motor und im Tank kein Sand ist, kriege ich ihn wieder hin.«

      Das hatte er auch wirklich vor. Am nächsten Tag. Und am Tag darauf auch wieder. Es hat dann über zwei Wochen gedauert, bis er sich zu dem Wagen auf den Weg gemacht hat. Er hat ihn aber nicht gefunden. Franz Kapellmann hat den Mercedes SSK, den er von seinem Schwiegervater bekommen hatte, nie mehr wiedergesehen. Das lag auch daran, dass ihm schon am nächsten Tag klar geworden war: Was sie brauchten, waren Kamele! Mit Hilfe eines Kompasses gelang es ihnen schließlich, den Lagerplatz ihrer Retter wieder zu finden. Mariamá sah die beiden als erste und lief strahlend auf sie zu.

      »Ma idjân!« rief sie.

      »Hallo Mariamá!« freute sich Luise und ergriff die Hand des kleinen Mädchens. Die Kleine zog ihre neue Freundin zum Zelt ihrer Eltern. Die Bewohner des Lagers, an denen sie vorüber kamen, nickten nur, ohne sich groß zu wundern. Heute war die Anwesenheit der beiden Fremden schon keine Überraschung mehr.

      »Assalam aleikum«, sagte Koumamá, als er die beiden sah. Fast schien es, als habe er sie bereits erwartet.

      »Aleikum assalam«, antwortete Franz.

      »Aleikum assalam«, sagte auch Luise. »Mal sprechen sie Arabisch, dann wieder nicht«, raunte sie ihrem Mann zu.

      »Sie mischen die beiden Sprachen«, erklärte er. »Ich muss ein tamascheq-Wörterbuch schreiben. Man kann sie nur richtig begreifen, wenn man sie auch versteht.«

      Natürlich gab es wieder Tee. Koumamá schob die Kanne in die Glut. Er wollte etwas von ihnen wissen, aber sie ver-standen ihn nicht. Doch Koumamá hatte dazugelernt. Er formte mit den Händen über dem Kopf einen großen Bogen und legte dann den Kopf auf die aufeinander gelegten Hände.

      Franz verstand. Er lachte. »Wie wir geschlafen haben im neuen Zelt? Sehr gut! Ausgezeichnet!«

      Auch wenn der Schleier seinen Mund bedeckte: Kouma-más Augen verrieten ihn! Er lächelte. Und er versuchte erst gar nicht, schnell wieder ernst zu werden.

      Luise war inzwischen zu Fatou ins Zelt gegangen, denn sie wusste, es würde eine Weile dauern, bis der Tee soweit war. Sie hatte ihr etwas mitgebracht: eine alte Porzellanpuppe mit großen, blauen Augen, kirschrotem