Richard Mackenrodt

Azahrú


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einigen Jahren habe ich dort gejagt, in Deutsch Südwest. Auf Einladung des Kaisers.« Hermann drückte auf einen Schalter, all die kleinen Lampen erloschen auf einen Schlag, und für einen Moment wurde es stockdunkel. Er schaltete das Gerät auf dem Tisch ein, das mit lautem Brummen ein Licht aufflammen ließ. Das Objektiv war auf eine große Leinwand gerichtet, die vom Boden bis zur Decke ragte. Sie zeigte nun das überlebensgroße Schwarzweiß-Abbild des um gut 15 Jahre jüngeren Hermann, in Safari-Kleidung, mit einem riesigen Gewehr in der Hand, das Franz noch gerade eben an der Wand hatte hängen sehen. Hermann stand auf dem Foto neben einem toten Löwen und machte ein strenges Gesicht.

      »Die ersten Tage waren ein großer Spaß«, fuhr er fort. »Dann kam die Diarrhoe. Den Kaiser hat sie auch erwischt. Aber wir hatten noch Glück.« Er nahm die Bildplatte aus dem Diaprojektor und ersetzte sie durch eine andere. Das zweite Foto zeigte einen halbwüchsigen Jungen mit matten Augen und schweißnasser Stirn: »Malaria«, sagte Hermann. Auf dem nächsten Bild war ein aus der Nase blutender Mann mit geschlossenen Augen, kalkweißem Gesicht und strähnigem, nassem Haar zu sehen. »Gelbfieber.« Dann ein Foto von einer jungen, blonden Frau. »Das war Margarethe, eine Nichte des Kaisers. Hübsch, nicht wahr?« Hermann schob ein weiteres Dia in den Schacht. »So sah sie aus, nachdem ein namenloses Virus sie dahingerafft hatte.« Auf dem nächsten Foto war dieselbe junge Frau abgebildet, aber ihr ausgemergeltes Gesicht war eine Kraterlandschaft, übersät von aufgeplatzten Wunden, und ihre toten Augen starrten stumpf ins Nichts.

      »Unsere Delegation umfasste 32 Personen. Bei der Ankunft in Afrika. Als wir zwei Monate später wieder nach Hause kamen, waren wir nur noch 26.«

      »Es gibt Impfungen«, sagte Franz.

      Hermann machte den Projektor aus und schaltete die Lampen wieder ein. »Ein Bediensteter wurde von einem Nashorn angegriffen. Ein einheimischer Lastenträger wurde das Frühstück einer Löwenfamilie. Die Fotos erspare ich dir, sonst magst du den Tee nicht mehr trinken.«

      »Wir reisen in den Norden von Afrika«, erwiderte Franz. »Dort gibt es solche Tiere nicht.«

      »An der Nordküste stehen ein paar sehr schöne, zivilisierte Hotels«, meinte Hermann. »Traumhafte Strände. Macht ein bisschen Urlaub, reitet auf Kamelen umher, und dann kommt ihr wieder zurück. Aber eine Forschungsreise in die Wüste? Für mehrere Monate? Das ist da alles völlig unerforscht.«

      Franz lächelte. »Das möchte ich ja gerade ändern.«

      »Aber nicht mit meiner Tochter«, gab Hermann zur Antwort. »Dann reist du alleine.«

      »Bei allem Respekt«, erwiderte Franz vorsichtig, »ich glaube, Luise ist fest entschlossen.«

      Hermann bewegte kurz den Kopf ein wenig hin und her, als justiere er dessen Sitz auf dem Hals. »Sie ist mein einziges Kind«, sagte er. »Sie wird einmal die Firma übernehmen. Ich lasse sie nicht unter Wilde und Kannibalen.«

      3

      Er war der Hoflieferant des Kaisers gewesen, nun war es der Reichstag der Weimarer Republik, der von seinen Tellern aß. Als Geschäftsmann war Hermann von Kramm längst eine lebende Legende, aber bei seiner Tochter stieß er an Grenzen. So sehr er sie liebte, so wenig Einfluss hatte er auf sie. Nach ihrer Verlobung mit dem jungen Ethnologen Franz Kapellmann hatte er gehofft, dieser feine, ruhige Mann würde die wilde Luise ein wenig zähmen können. Aber mit diesem Ziel war Franz gar nicht angetreten. Und es gab wohl sowieso niemanden, der das hinbekommen hätte. Als sie ihrem Vater erzählt hatte, dass sie Franz nach Afrika begleiten würde, hatte Hermann vom ersten Moment an gewusst, dass es ihm nicht gelingen würde, sie abzuhalten. Aber er musste es doch wenigstens probieren!

      An einem verregneten Oktobermorgen bepackten Luise und Franz den smaragdfarbenen Mercedes SSK und starteten vom Münchner Süden aus in Richtung Italien. Luises Vater winkte zum Abschied, sein junger Neffe Gerhard stand daneben und hielt den Regenschirm. Gerhard Angermair war Luises Cousin, und er machte sich seine ganz eigenen Gedanken: Vielleicht würde Luise in der Fremde ja tatsächlich etwas zustoßen? Dann würde er später einmal die Manufaktur erben! Natürlich sprach er solche Überlegungen nicht aus, er war ja schließlich nicht verrückt. Aber der Gedanke, seinem Onkel als Industriemagnat irgendwann einmal nachfolgen zu können, gefiel ihm schon sehr gut. Andererseits war Onkel Hermann erst Ende 50, stand voll im Saft, und man musste damit rechnen, dass es noch einige Jahre dauern würde, bevor er auch nur anfangen würde, an den Rückzug aus seinen Geschäften zu denken.

       Sand, nichts als Sand

      1

      Öl und Verwesung, danach stank der Hafen von Tripolis, als das Schiff dort einlief. Luise füllte ihre Lungen dennoch bis zum Äußersten und deutete mit den Fingern zum Horizont.

      »Sieh doch!« rief sie. Nicht nur das Blau des Himmels schien hier kräftiger zu sein, auch das Ocker der Häuser und das Grün der Palmen - alles leuchtete. Die Luft war heiß und flirrend. Ein kleiner, dicker Italiener holte sie ab und fuhr mit ihnen zu seinem Hotel, das im Inneren der alten Stadtmauern lag, in dem Bereich der Stadt, den man Medina nannte. Tripolitanien, der nordöstliche Teil des späteren Libyen, stand zu dieser Zeit unter italienischer Kommandantur, und so kam es, dass die ersten Erfahrungen mit der afrikanischen Küche für Luise und Franz noch auf sich warten ließen, denn am Abend servierte man ihnen Lasagne und einen schweren Chianti, der Luises Sinne benebelte und sie in übermütige Stimmung versetzte. Kaum war sie mit Franz im Hotelzimmer, vergrub sie die Nase in seinen Haaren.

      Am nächsten Morgen blinzelte Luise verschlafen in die Sonne, die zwischen den Vorhängen herein drang.

      »Ich bin schwanger«, sagte sie.

      Franz strich ihr sanft über das verwuschelte Haar. »Träumst du noch, mein Schatz?«

      »Nein, Franz, es stimmt: Ich bin schwanger! Heute Nacht ist es passiert!«

      »Liebste, niemand kann das wissen nach so kurzer Zeit, nicht einmal du.«

      Sie drückte ihr Gesicht noch einmal in die Federn und brummte wie ein Maikäfer auf einer Frühlingswiese, bevor sie das Kissen nahm und ihren Mann damit bewarf.

      »Ich weiß es aber«, stellte sie klar. »Du wirst Papa.« Sie setzte sich auf und sah ihn neugierig an. »Wie findest du das?«

      »Wenn es stimmt, bin ich der glücklichste Mann der Welt.«

      »Ich dachte, das bist du sowieso schon.«

      Als Antwort landete das Kissen mit Wucht auf ihrem Gesicht. Sie kippte lachend hintenüber, und im nächsten Moment war Franz über ihr.

      »Lass uns sichergehen«, sagte er, »dass du auch wirklich schwanger bist…«

      2

      Das Gepäck wurde auf vier Kamele verteilt, und auf dem fünften saß Abdel Aziz, ein Araber, der Franz und Luise nach Südosten in die Wüste führen sollte. Er hatte ein schmales, helles Gesicht und lange, dünne Arme, denen man nicht ansah, wie kräftig sie waren. Er bot den beiden ebenfalls Kamele an. Aber sie hatten den Wagen ja nicht den weiten Weg hierher gebracht, um ihn jetzt in Tripolis stehen zu lassen. Abdel Aziz versuchte Franz klar zu machen, dass ein Auto kein geeignetes Fahrzeug für die Wüste war. Aber Franz war anderer Meinung, und so fuhren sie schließlich mit dem Mercedes im Schritt-Tempo neben den Kamelen her. Abdel Aziz schüttelte den Kopf, so etwas hatte er noch nicht gesehen.

      »Ich trinke ab sofort keinen Wein mehr«, verkündete Luise. Sie wollte nichts tun, was das Baby gefährden konnte. Franz war zwiegespalten. Ein Kind, das wünschte er sich sehr. Aber ausgerechnet jetzt? Wenn sie Recht hatte mit ihrer Vermutung - und das hielt er durchaus für möglich, denn sie war der intuitivste Mensch, den er kannte - dann würde der zeitliche Rahmen ihrer Reise schon jetzt klar begrenzt sein. Er wollte nicht, dass seine Frau in der zweiten Hälfte einer Schwangerschaft noch auf Reisen war. Also würden sie im März schon wieder zu Hause sein müssen, und das war reichlich wenig Zeit für eine ernsthafte Forschungsreise.

      Am ersten Tag waren sie auf Wegen unterwegs, welche die