Pia Wunder

Herzrasen & Himmelsgeschenke


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unzähligen Kerzen verzierte, kleine Geburtstagstorte, die Lotte heimlich mit den Kindern gebacken hat. Ich bin überwältigt. Mit Tränen in den Augen stehe ich vor der Torte und überlege angestrengt, was ich mir beim Auspusten der Kerzen wünschen soll. Jetzt, genau in diesem Augenblick, habe ich doch alles, was ich mir wünschen kann.

      »Mach schon, Mama, wir haben Hunger!«, schreit Benny und Tom stibitzt sich schnell eine Pommes aus der Schüssel. Da mir unter dem erwartungsvollen Blick der hungrigen Mäuler nichts anderes einfällt, beschließe ich als Wunsch für das kommende Jahr: Dass alles so bleibt, wie es ist!

      Noch vor einem Jahr gab es so viele Wünsche. Auf meinem Midsommarfest. Die Einweihungsfeier in unserem neuen Zuhause auf Omas Lottes paradiesischem Hof. Ein voller Kühlschrank, glückliche Kinder und guter Sex. Das waren damals die Wünsche meiner besten Freundin Lissy für mich. Wer hätte gedacht, dass ich nur ein Jahr später am Ziel meiner Träume bin? Zugegeben, der Weg dorthin war hart und hat mich oft an die Grenzen meiner Kräfte gebracht. Lottes Verschwinden in Holland, die kriminellen Machenschaften meiner Nachbarin Lena und Edgar, Lottes Ex-Mann, die sie fast das Leben gekostet hätten. Gut, dass die beiden nun im Gefängnis sind und ihre gerechte Strafe für Anstiftung zur Prostitution und Erpressung bekommen haben. Und dann Bennys schrecklicher Unfall auf der Klassenfahrt. Dass er nach gebrochenen Wirbeln heute wieder so herumtoben kann, grenzt an ein Wunder. Nun sitze ich hier, wie ich es mir immer gewünscht habe, und feiere meinen Geburtstag in Holland. Und blicke auf das Meer und in die Gesichter so vieler lieber Menschen.

      Schade, dass man an solchen Tagen die Zeit nicht einfrieren kann. Zumindest für einige Augenblicke. Ehe ich mich versehe, ist das ausgelassene Essen bereits vorbei, die köstliche Schokotorte komplett vernichtet und wir beginnen, das Schlachtfeld zu räumen. Nicht nur das in der Küche. Nein, leider müssen wir heute Abend schon packen, um morgen in aller Frühe die Heimfahrt anzutreten. Die Sommerferien sind zur Hälfte vorbei und übermorgen werden die Jungs von ihrem Papa abgeholt.

      Sehr gerne würde ich ein Wochenende mit Michael alleine hier verbringen. Die Zeit hier war schon sehr turbulent mit Benny und Tom, Oma Lotte und Michaels Vater Manfred, dazu Lottes und Manfreds Hunde. Irgendjemand braucht immer Aufmerksamkeit oder Hilfe. Oder eine Dusche. Ein Mittagessen. Natürlich ist es schön, wenn alle Hand in Hand arbeiten, doch Erholung kann man das nicht nennen. Naja, ich will mich nicht beklagen, es war ein unglaublich schöner Urlaub. Ich hätte mir nur die eine oder andere Stunde mit Michael alleine gewünscht. Klar, wir hatten ein eigenes Zimmer. Aber mal ehrlich. Mit den Eltern in den Nachbarzimmern und den Kindern im Haus, Poldi am liebsten mit in unserem Zimmer, da kommt bei mir nicht wirklich romantische Stimmung auf.

      Während Lotte und Manfred den Rest der Küchenschlacht übernehmen, gehe ich mit Michael nach oben, um die Vorbereitungen für die Abreise zu treffen. Wenn ich das Bett sehe, könnte ich mich gleich hinein plumpsen lassen. Ups, schon passiert. Michael scheint das zu gefallen, denn sofort lässt er sich neben mich fallen. »Gute Idee«, raunt er mir ins Ohr und gibt mir einen sanften Kuss. »Ich bin so müde, ich könnte einfach nur schlafen.« »Wirklich nur schlafen?« Er streift den Träger meines Sommerkleides von der Schulter und seine Küsse wandern weiter.

      »MICHAEL«, versuche ich, ihn vorsichtig zurückzuhalten, »wenn uns jemand hört…« »Dann musst du eben leise sein.« Ja, ist klar, einen leisen Höhepunkt. Diese Kunst beherrsche ich nicht. »Außerdem bin ich eigentlich sauer auf dich.« Michael hält inne und sieht mich verständnislos an. »Du? Sauer auf mich?« Ich versuche, mein trotziges Gesicht aufzusetzen. »Ja, du hast mir immer noch nicht verraten, was mein Geburtstagsgeschenk ist.« Jetzt lacht er. »Das werde ich auch nicht. Du musst dich bis morgen gedulden. Ich konnte es einfach nicht mit hierher bringen.« Das macht mich wahnsinnig. Ich kann diese Spannung sowieso kaum aushalten und jetzt macht er sich auch noch darüber lustig.

      Schließlich nimmt er mich in seinen Arm, zieht die leichte Decke über uns und flüstert mir ins Ohr: »Vielleicht gebe ich dir heute Abend einen kleinen Tipp.« Heute Abend. Unser letzter Abend am Meer. In drei Tagen muss ich schon wieder arbeiten und dann ist das Meer so weit weg wie die Niagarafälle. »Was hältst du von einem Spaziergang am Strand heute Abend, wenn die Kinder im Bett sind?«, frage ich erwartungsvoll. »Hört sich sehr verlockend an.« Ich kuschel mich an ihn und schließe die Augen. Nur für einen kurzen Moment.

      Als ich zwei Stunden später wieder wach werde, ist mein erster Impuls, sofort aus dem Bett zu springen und loszulegen. Aber die Schwerkraft ist einfach stärker als ich. Daher beschließe ich, mich zu entspannen und räkele mich genüsslich auf meinem dicken Kopfkissen. Im Augenwinkel sehe ich etwas Rotes. Blut? Oh mein Gott, hoffentlich nicht. Ich kann nicht verhindern, dass mein Puls automatisch in die Höhe geht. Schnell richte ich mich auf. Nein, es ist kein Blut. Dieser wunderbare Mann hat mir eine rote Rose auf mein Kopfkissen gelegt. Glücklich sinke ich wieder in die Kissen und genieße den Augenblick.

      Nachdem die Lebensgeister so langsam in meinen Körper zurückkehren, schäle ich mich schläfrig aus meinem Bett und schlendere hinunter, um die Lage zu checken. Lotte und Manfred sitzen auf der Veranda bei einem köstlich duftenden Kaffee. Sie nicken mir vielsagend und lächelnd zu. »Möchtest du auch einen?« »Gerne.« Entspannt setze ich mich auf die gemütliche Rattan-Bank und lege die Beine auf die dicken Polster, so dass ich Michael und die Kinder beim Frisbee-Spiel am Strand beobachten kann.

      Eine unbeschreibliche Dankbarkeit erfüllt mich. Michael unternimmt mehr mit den Kindern, als ihr eigener Vater. Er ist verständnisvoll und selbst Bennys Aufmerksamkeitsprobleme können ihn nicht aus der Fassung bringen. Er scheint der perfekte Vater zu sein. Bei diesen Gedanken fällt mir auf, dass wir noch nie über gemeinsame Kinder gesprochen haben. Wir kennen uns jetzt ein knappes Jahr und wenn er tatsächlich diesen Wunsch haben sollte – ich werde nächstes Jahr 40 und habe für solch eine Entscheidung nicht alle Zeit der Welt. Eigentlich bin ich glücklich mit meinen beiden Jungs und dazu auch vollkommen ausgelastet. Doch ich habe früher immer gesagt: Mit dem richtigen Mann könnte ich mir auch ein drittes Kind vorstellen.

      »Einen Groschen für deine Gedanken«, höre ich Lotte sagen. Sie meint eindeutig mich und lächelt mich an. Anscheinend habe ich ausgesehen wie ein Honigkuchenpferd. »Ich bin einfach glücklich.« Lotte nickt und steht auf, um langsam ihre Siebensachen zusammenzusuchen. Es ist das erste Mal, dass ich mit Manfred alleine bin. Auch er scheint ausgeglichen zu sein, obwohl er harte Monate hinter sich hat. Plötzlich ist sie wieder in meinem Kopf. Unsere ehemalige Nachbarin Lena, die Manfred – wie viele andere reifere Herren aus gutem Hause und mit dem nötigen Kleingeld - mit einer jungen Frau in eine süße Falle gelockt und anschließend mit den Fotos dieser Aktion erpresst hat. Manfred hatte Herzprobleme und große finanzielle Verluste, weil er einige Zeit gebraucht hat, um sich seinem Sohn Michael anzuvertrauen. Obwohl er sich für diese Erfahrung doch eigentlich nicht zu rechtfertigen oder gar zu schämen bräuchte, hat ihn die ganze Angelegenheit sehr belastet. Erst jetzt, wo Lena und Edgar im Gefängnis sitzen, kann er alles so langsam verarbeiten und zur Ruhe kommen. Gesprochen habe ich mit Manfred noch nie darüber. Es hat sich einfach keine Gelegenheit ergeben.

      »Wie geht es dir?«, mache ich einen vorsichtigen Versuch. Er sieht mich eine Weile nachdenklich an. Sicher fragt er sich, ob das eine allgemeine Frage sein soll, oder ich ans Eingemachte möchte. Ich überlasse es ihm. »Besser. Ich bin froh, dass diese Geschichte endgültig beendet ist. Vor allem bin ich dir dankbar, dass du mir dabei geholfen hast, Lena zu überführen. Auch wenn dein Weg sehr unkonventionell oder sagen wir besser, kriminell war.« Anscheinend kann er jetzt bereits darüber lachen. Ich bin wirklich sehr erleichtert, dass ihn das nicht mehr belastet. »Ihr habt mir eine große Freude gemacht mit diesem gemeinsamen Urlaub.« »Wir sind auch froh, dass du mitgefahren bist, Manfred. Das war ein richtig schöner Familienurlaub. Und Lotte hat es auch gut getan, wieder schöne Erinnerungen mit diesem Haus zu verbinden.«

      Es ist für mich immer noch unfassbar, dass noch vor nicht mal einem Jahr ihr Mann Edgar versucht hat, sie hier im eigenen Ferienhaus zu töten. Man könnte es freundlicher ausdrücken und sagen, er hat sie die Treppe hinunter geschubst und in Kauf genommen, dass sie stirbt. Aber wenn man bedenkt, dass er – nachdem sein Versuch nicht erfolgreich war – versucht hat, die Geräte abstellen zu lassen, als sie im Koma lag, kommt wieder solch eine Wut hoch. Dieser Mann hat die Gefängnisstrafe mehr