Pia Wunder

Herzrasen & Himmelsgeschenke


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die Jungs das Körbchen zu Sam gebracht haben und bei dieser Gelegenheit noch mit ihm geschmust haben, machen wir uns mit ziemlich gedrückter Stimmung auf den Heimweg. Ich warte, bis die Kinder außer Hörweite sind und nehme Michael in den Arm. »Tut mir leid, wenn du jetzt enttäuscht bist, Michael, aber ich fühle mich etwas überfahren. So eine Entscheidung möchte ich nicht aus einer spontanen Stimmung heraus treffen. Das ist schließlich ein Lebewesen. Und wird damit zum Familienmitglied. Gib mir einfach etwas Zeit, darüber nachzudenken.« Er versucht, mir das schlechte Gewissen zu nehmen. »Kein Problem. Die Mitarbeiterin sagte, sie würde ihn noch ein paar Tage für uns freihalten. Und wenn du dich entschieden hast, sag mir Bescheid.« Doch in seinen Augen kann ich seine Enttäuschung sehen. So hatte ich mir das Ende unseres Urlaubs nicht vorgestellt.

      Ich bin erleichtert, dass Lissy sich für den Abend angekündigt hat. Ihr wird es sicher schnell gelingen, mich auf andere Gedanken zu bringen. Vorher hole ich mir allerdings noch einen Stich ins Herz ab, als ich die Jungs zu Bett bringe und der kleine Tom nur traurig anmerkt: »Sam tut mir so leid. Er muss jetzt alleine da in dem kalten Kasten sitzen.« Ich kann Sam förmlich sehen, wie er sich verzweifelt gegen die Gitterstäbe drückt, in der Hoffnung, dass ihm jemand ein Zuhause gibt. Tom hat Tränen in den Augen und es ist das erste Mal, dass ich mit meinen Argumenten nicht wirklich an ihn herankomme. Ich verstehe ihn nur zu gut. »Es ist ja noch nichts entschieden. Wenn ihr aus den Ferien mit Papa zurückkommt, sage ich euch, was ich mir überlegt habe. Versprochen.« Ich bin erleichtert, dass er sich von mir in den Arm nehmen und trösten lässt.

      Ben ist da schon eine härtere Nuss. Er kann schon so gut argumentieren, dass ich wirklich Mühe habe, ihm etwas entgegenzusetzen. Als er dann sogar anbietet, auf sein Taschengeld zu verzichten, um davon Hundefutter zu kaufen, bin ich ziemlich verzweifelt. Zumal Sam sich sofort auch in mein Herz geschlichen hat. »Benny, wir tun Sam keinen Gefallen, wenn wir ihn überstürzt zu uns holen und dann feststellen, dass es nicht funktioniert. Es wäre für ihn viel schlimmer, dann wieder zurück ins Tierheim zu müssen, als noch ein paar Tage dort zu bleiben, bis ich eine Entscheidung treffen kann.« Da Benny nicht antwortet, starte ich einen weiteren, verzweifelten Versuch. »Es geht ihm dort nicht schlecht und außerdem hat er jetzt schon ein neues Körbchen.« Mein Großer sieht mich mit einem Gesichtsausdruck an, der mich fragt: Ist das dein Ernst?

      »Und wenn du dich gegen ihn entscheidest?«, fragt er jetzt ganz offen. Es fällt mir schwer, das zu sagen. »Dann wird er mit Sicherheit eine andere, wunderbare Familie finden.« Benny dreht mir den Rücken zu und will damit das Gespräch beenden. »Gute Nacht.« So barsch hat er mich noch nie beim Zubettgehen verabschiedet. Um ihn nicht zu bedrängen, streiche ich nur sanft durch seine Locken und wünsche ihm eine gute Nacht. Ich kann nicht anders, und muss ihm wenigstens noch einen sanften Kuss auf die Schläfe geben, bevor ich gehe.

      Wie schön, dass Lissy schon in einer halben Stunde da sein wird. Schnell die letzte Wäsche aufgehängt und die Gläser aus dem Schrank geholt. Schon klingelt es Sturm. Lissy – immer noch der gleiche Wirbelsturm. Und wie schon erwartet, hält sie eine Flasche Asti in der Hand und begrüßt mich stürmisch. »Happy Birthday, alte Socke.« Ich habe das Gefühl, ihre blonde Lockenpracht ist noch fülliger geworden. Hm, wenn ich mich nicht täusche, nicht nur ihre Locken. Ihre sonst so zierliche Taille scheint auch etwas üppiger geworden zu sein. Also, sie ist immer noch schön schlank, doch irgendwie hat sie sich verändert.

      Ich kann sie gar nicht mehr loslassen. Sie ist genau das, was ich heute Abend brauche. »Wie schön, dass du da bist. Ich habe dich vermisst.« »Hallo? Du warst mit deiner Familie und deinem Lover in einem Ferienhaus in Holland und vermisst MICH?« Sie sieht mich verständnislos an. »Müssen wir reden?« Sie erblickt die Sorgenfalten auf meiner Stirn und streift sich sofort ihre Schuhe von den Füßen, um es sich auf meiner großen, roten Couch gemütlich zu machen. Die Stofftasche, die sie mitgebracht hat, rollt sie zusammen und legt sie ans Ende der Couch. »Aber zuerst stoßen wir auf dich an.« Ich leere das Glas in einem Zug und Lissy sieht mich verwundert an. »Jetzt aber raus mit der Sprache. Wie war dein Urlaub?«

      »Ach, der Urlaub war eigentlich traumhaft.« Mein Blick scheint sie nicht zu überzeugen. »Aber? Lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen.« »Naja, nach Michaels Aktion heute ist das irgendwie völlig in den Hintergrund geraten.« Während ich ihr die ganze Hundegeschichte erzähle, merke ich, dass ich ziemlich sauer auf Michael bin, der dafür gesorgt hat, dass ich jetzt die Arschkarte habe. Das ist normalerweise nicht mein Wortschatz, aber genau so fühle ich mich jetzt den Kindern, und vor allem Sam gegenüber. Dann nehme ich ihn wieder in Schutz. »Er hat es ja nur gut gemeint.« Doch Lissy kann meine Laune bestens verstehen. »Gut gemeint ist das Gegenteil von gut. Also ich wäre richtig stinkig, wenn er das einfach über meinen Kopf hinweg organisiert und so vor den Kindern präsentiert, dass du eigentlich gar nicht mehr aus dieser Nummer herauskommst, ohne Schuld daran zu sein, dass dieser Hund im Tierheim bleiben muss.« Ja, genau so fühle ich mich. Schuldig.

      »Wie kommt er denn darauf? Du kriegst doch jetzt schon zeitlich manchmal gar nicht mehr die Kurve.« Also erfährt Lissy auch von Lottes Vorschlag und wie dann für die beiden alles schön zusammen gepasst hat. »Was hindert dich daran, einfach nein zu sagen?« »Oh Lissy, geh doch mal nach oben und sieh dir die Gesichter der Kinder an. Dabei habe ich noch gar nicht nein gesagt, sondern nur um Bedenkzeit gebeten.« »Annie, du weißt, ich liebe deine Kinder, aber das musst du ganz alleine entscheiden.« »Das weiß ich doch. Eigentlich ist es gut, dass sie morgen von Paul abgeholt werden und wir alle etwas Abstand haben. Dann kann ich mir in Ruhe Gedanken machen.«

      »Genau so machst du es. Und jetzt: ZEIT FÜR GESCHENKE«, kreischt Lissy unvermittelt und nimmt ihre Stofftasche zur Hand. Heraus holt sie ein Päckchen, liebevoll eingehüllt in schwarzes Geschenkpapier. Wieder sehe ich halbnackte Männer. »Du wirst doch nicht?«, mir fehlen die Worte, denn ich befürchte, dass Lissy ihre Drohung vom Midsommarfest wahr gemacht hat und mir tatsächlich einen Vibrator gekauft hat. Alleine bei der Vorstellung werde ich schon rot. Sie weiß sofort, was ich denke. »Ach was, du hast doch jetzt einen richtigen Mann, was sollst du denn mit so einem elektronischen Kram. Außerdem ist das nur halb so lustig, wenn gar kein Besuch beim Auspacken anwesend ist.« Puh, ich bin beruhigt.

      Aufgeregt, aber sehr vorsichtig, öffne ich das schöne Papier und enthülle mein Geschenk. Ich glaube es nicht. Sie hat nur die halbe Wahrheit gesagt, denn sie konnte es nicht lassen, mir etwas Handfestes zu schenken und hat kurzerhand das beste Stück des Mannes besorgt, in einer stattlichen Größe und aus glänzender Zartbitterschokolade. Zur Krönung befindet sich auf der Spitze ein Kleks weißer Schokolade. Lissy schlägt mit der Hand auf die Couch und lacht sich kringelig bei meinem Anblick. Ich kann es nicht fassen, dass ich kichernd mit einem Schokopenis in der Hand in meinem Wohnzimmer sitze.

      »Probier doch mal!«, fordert sie mich auf und bekommt einen weiteren Lachanfall. »Der ist doch viel zu schade, den kann man doch nicht einfach aufessen.« »Okay, dann stell ihn erst ein paar Tage zur Dekoration auf deine Anrichte«, schlägt sie vor. »Bist du von allen guten Geistern verlassen?« Ich stelle mir gerade vor, wie Paul die Kinder morgen abholt und an meiner Anrichte vorbeigeht. Oder die Kinder ihn sehen. Oder Michael. Oder Oma Lotte. »Den muss ich wirklich gut verstecken. Dann fällt mir ein, dass ich schon des Öfteren Süßigkeiten versteckt habe – sei es meine geliebten Meeresfrüchte oder Weihnachtssüßigkeiten für die Kinder – und sie dann nicht mehr wiedergefunden habe. Aber die Kinder dann irgendwann. Was für eine Horrorvorstellung.

      Also lasse ich ihn vorerst auf dem Tisch stehen, obwohl mich dieser Anblick doch ein wenig irritiert. Und dann ist endlich Lissy an der Reihe. Ich bin so neugierig, wie sich das mit ihrem neuen Liebhaber entwickelt hat. Zu meinem Erstaunen ist aus dem neuen Lover – Leon – tatsächlich etwas Ernstes geworden. »Weißt du, Annie, mit ihm könnte ich mir sogar vorstellen, zusammen zu leben.« Jetzt ist sie es, die ins Schwärmen kommt. So kenne ich Lissy gar nicht. Es hat sie echt erwischt. »Ist das nicht ein bisschen früh?« Lissy rudert etwas zurück. »Naja, nicht sofort. Aber wir verbringen jede freie Minute miteinander, er ist ein wunderbarer Koch….« Aha, ich hatte also doch nicht unrecht mit meiner Vermutung, was Lissys Taillenumfang angeht. »… und erst der Sex!« Jetzt muss ich lachen. Doch noch die Alte.

      »Mensch, Lissy, ich freue mich so für dich.« Dann fallen mir Lissys