Pia Wunder

Herzrasen & Himmelsgeschenke


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Beet hat sie nach unserem Urlaub schon auf Vordermann gebracht. Gladiolen und Taglilien ragen aus der Erde und scheinen Spalier zu stehen, wenn Lotte aus ihrer Haustüre tritt, um den Tag zu begrüßen. Es hat was, so früh auf den Beinen zu sein. Ich fühle mich voller Energie. Als ich zurück gehe, fällt mein Blick auf das Haus, in dem Lena gewohnt hat. Es sieht ziemlich verlassen aus. Und kalt. Ja, ich werde das jetzt in Angriff nehmen und schnellstmöglich dafür sorgen, dass hier etwas passiert. Sowohl was die Gestaltung des Gartens angeht, als auch die Vermietung. Es wird Zeit, dass hier wieder Leben hineinkommt.

      Motiviert öffne ich die Bürotür und werde gleich von Frau Dr. Holst empfangen. »Hallo, Frau Sommer. Schön, dass Sie wieder da sind. Wie war denn Ihr Urlaub?« »Sehr schön. Wir haben uns wirklich gut erholt. Eigentlich sollte man hin und wieder einfach ein Wochenende wegfahren, um aufzutanken. Und wie war Ihre Woche?« »Hier war ziemlich viel los. Bevor ich nach Schweden fliege, muss ich noch eine ganze Reihe Akten bearbeiten und auch zwei Gerichtstermine verschieben, die genau in meine Urlaubszeit gelegt wurden.« »Soll ich mich gleich darum kümmern?«, schlage ich vor. »Ja bitte. Doch zuerst müssen Sie sich um einen wichtigen Schriftsatz kümmern. Wir haben da einen neuen, heftigen Fall von häuslicher Gewalt. Das Schreiben muss unbedingt heute raus. Fangen Sie damit bitte an.«

      Schnell bin ich wieder im Alltag, doch das macht nichts, ich bin voller Elan und wüsste nicht, was mich heute so schnell aus den Socken hauen könnte. Mit einem heißen Kaffee setze ich mich an meinen überfüllten Schreibtisch und mache mich an die Arbeit. Das Diktatprogramm ist reichlich gefüllt und ich suche nach der Datei mit der höchsten Dringlichkeit. Dellmann gegen Kriener. Gut, es kann losgehen. Meine Finger flitzen über die Tastatur, da ich möglichst viel abarbeiten möchte. Nachdem der formelle Teil des Schriftsatzes erledigt ist, geht es ans Eingemachte. Es ist immer interessant, mit der Öffnung eines Diktates auch die Türe zur Wohnung und zum Leben der Mandanten zu öffnen. Oft ist es auch belastend, doch damit musste ich lernen, umzugehen.

      Was ich aber heute höre, nimmt mir den Atem. Frau Dellmann wird von ihrem Lebensgefährten geschlagen. Sie hatte zu wenig Aufschnitt auf die Brötchen des Mannes gelegt. Ist klar. Die Wut steigt langsam in mir hoch. Bisher hatte er sie nur geschlagen, wenn ihre achtjährige Tochter nicht anwesend war. Beim letzten Mal musste die kleine Ella das mit ansehen. Als sie erschrocken nein gerufen hatte, drohte Herr Kriener damit, ihr die langen, blonden Haare abzuschneiden und auch sie zu schlagen. Frau Dellmann suchte nun Rat bei Frau Dr. Holst, um herauszufinden, was sie unternehmen könne. Sie wollte sich von ihrem Partner trennen und hatte in meinem Urlaub ein Beratungsgespräch bei meiner Chefin.

      Wie auch immer, hat dieser Mann herausgefunden, dass seine Lebensgefährtin bei einer Anwältin war. Die Lage hat sich zugespitzt und was ich nun abhören muss, quetscht meinen Magen zusammen und lässt Übelkeit in mir aufsteigen. Als die Mandantin gestern erneut hier war, schilderte sie, wie dieser Mann ihr damit gedroht hat, Ellas geliebter kleiner Katze Söckchen etwas anzutun, falls sie sich wagen würde, abzuhauen. Auch das hat Ella mitbekommen und ist in Tränen ausgebrochen. Sie hat ihre Mutter angefleht, nicht zu gehen und zu gehorchen. Sie würden das schon irgendwie aushalten. Am selben Abend hat er Ella für ein umgestoßenes Glas Apfelschorle eine derart feste Ohrfeige gegeben, dass sie vom Stuhl gefallen ist.

      Das war der Punkt, an dem Frau Dellmann beschlossen hatte, nicht mehr auszuhalten. Ich bin erleichtert, denn wie kann sie ihrer Tochter vorleben, sich so behandeln zu lassen? Doch wie soll sie ohne weiteren Schaden aus dieser Situation herauskommen? In der Theorie hört sich das oft einfach an. Ihr Plan ist, ohne großes Aufsehen schnell eine Wohnung zu finden und mit ihrer Tochter bei Nacht und Nebel zu verschwinden. Bis dahin versuchte sie, sich zu Hause so unauffällig wie möglich zu verhalten. Doch Herr Kriener schien etwas zu ahnen. Bevor er morgens zur Arbeit fuhr, warnte er seine Partnerin: »Pass gut auf, was du tust! Wenn du einen Fehler machst, wird das Folgen haben. Das ist nur eine Warnung.« Ella war schon in der Schule und hatte Gott sei Dank nichts mitbekommen. Damit verließ er das Haus. Frau Dellmann glaubte, ein ängstliches Miauen und dann ein Fauchen zu hören und voller Panik lief sie durch die Wohnung, um Söckchen zu suchen. Aufgeregt und mit böser Vorahnung schaute sie in jeder Ecke nach, rief immer wieder den Namen des Kätzchens. Nichts. Sie lief in den Garten. Nichts. Hoffentlich hatte er ihr nichts angetan.

      Sie war sich nicht sicher, ob die Tatsache, dass sie Söckchen nicht verletzt oder sogar tot irgendwo aufgefunden hatte, sie beruhigen konnte. Vielleicht war sie nur aus Angst fortgelaufen. Ihr blieb nichts übrig, als abzuwarten, ob Söckchen wieder auftauchte. Noch ganz in Gedanken verrichtete sie ihren Haushalt. Als sie Ellas Bett machen wollte, erstarrte sie vor Schreck. Auf dem Kopfkissen ihrer Tochter lag eine Katzenpfote. Nach dem ersten Schock erkannte sie, dass es keine echte Katzenpfote war, sondern ein Schlüsselanhänger, der allerdings nicht aus Plüsch war, sondern aus einem künstlichen Fell, das täuschend echt aussah. Der Schrecken saß ihr tief in den Gliedern. Sie hatte die Botschaft verstanden. Am Abend kehrte Herr Kriener von der Arbeit heim und stellte den Katzenkorb, in dem er das arme Tier den ganzen Tag in seinem heißen Auto gelassen hatte, in der Küche ab. Wortlos, nur mit einem vielsagenden, eiskalten Blick.

      Sofort reiße ich mir den Kopfhörer von den Ohren. Mir ist schlecht. Ich muss auf die Toilette gehen. Übelkeit, Wut und Hass überkommen mich. Es ist unfassbar für mich, wozu Menschen imstande sind. Meine Gedanken überschlagen sich. Wie gut kann ich verstehen, dass man ausrastet und so einen Menschen selbst bestraft. Doch damit würde die junge Mutter sich und ihrem Kind keinen Gefallen tun. Also ist sie gezwungen, den rechtlich abgesicherten Weg zu gehen. Sie kann diesen Mann wegen mehrfacher Körperverletzung anklagen. Und was Söckchen anbelangt: Bisher hat er dem Tier nichts getan. Doch sie könnte es einfach nicht verhindern, falls er es wirklich darauf anlegt. Sie muss dafür sorgen, mit ihrer kleinen Ella so schnell wie möglich dort rauszukommen.

      Als ich wieder an meinem Schreibtisch sitze, versuche ich mich zusammenzureißen, um dieses Drama fertig auf Papier zu bringen. Da Frau Dellmanns Familie in Bayern lebt, hat sie so schnell keine Möglichkeit, bei ihr unterzutauchen. Also muss irgendwie eine Lösung gefunden werden, wo sie mit ihrer Tochter und dem Kätzchen unterschlüpfen kann, bis der Umzug nach Bayern organisiert ist. Ich versuche, den Schriftsatz schnell fertigzustellen und die Akte formell für heute zu schließen.

      Es fällt mir schwer, mich danach auf die üblichen Klagen auf Unterhalt oder Vermögensaufstellungen für eine Erbsache zu konzentrieren. Daher mache ich doch, entgegen meiner Planung, pünktlich Schluss. Eigentlich wollte ich noch einkaufen fürs Mittagessen, doch mir ist der Appetit vergangen und ich habe keine Lust auf Smalltalk an der Supermarktkasse. Soll ich sofort nach Hause fahren? Nein, erst habe ich noch etwas zu erledigen. Mir fällt dieser Schritt sowieso schwer, also bringe ich ihn sofort hinter mich. Schlechter als jetzt kann es mir dann auch nicht mehr gehen.

      Auf dem Parkplatz des Tierheims ist nicht viel los. Die Mittagszeit hat begonnen, das ist keine übliche Besuchszeit. Um mein schlechtes Gewissen nicht noch mehr zu belasten, gehe ich schnurstracks auf das Büro des Tierheims zu, statt an den Zwingern vorbeizugehen. Es ist schon schlimm genug für mich, der Mitarbeiterin meinen Entschluss mitzuteilen. Da muss ich nicht auch noch in die Augen dieses knuffigen Kameraden sehen. Bevor ich an der Türe ankomme, biegt eine Mitarbeiterin um die Ecke und kommt geradewegs auf mich zu. »Hallo Frau Sommer. Ich wollte gerade mit Sam spazieren gehen. Haben Sie nicht Lust, das für mich zu übernehmen? Wir sind urlaubsbedingt personell sehr knapp dran.« Sie hält mir die rote Leine entgegen und unvermittelt stellt Sam sich auf die Hinterbeine, um seinen Kopf mit dem Schokofleck an mein Bein zu lehnen. Mein Körper versteift sich, ich will das nicht zulassen. Dann komme ich gar nicht mehr aus dieser Nummer heraus.

      Nein, sagt mein Kopf. Mein Herz sagt etwas anderes. Ohne, dass mein Kopf es will, nimmt meine Hand die Leine und den daran befestigten Hund. Ich verdrehe die Augen und versuche, mich zu entwinden. »Eigentlich habe ich gar keine Zeit.« Sofort unterbricht mich die nette, junge Frau. Sie scheint zu ahnen, was mein Plan ist und entgegnet fröhlich: »Ach eine Viertelstunde würde schon reichen. Damit würden Sie mir und Sam einen Riesengefallen tun.« Dieser Blick, mit dem sie mich ansieht, ist bestimmt antrainiert. Ich wette, der ist Bedingung bei der Einstellung von Angestellten im Tierheim. Obwohl, die meisten arbeiten sowieso ehrenamtlich hier. Bevor ich noch irgendetwas entgegnen kann, dreht sie sich um und winkt mir im Weggehen fröhlich zu. »Danke. Bis gleich.«