Pia Wunder

Herzrasen & Himmelsgeschenke


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bevor ich wieder in die Kanzlei muss. Da wird sich auch schon die Arbeit stapeln. Was soll ich nur zuerst tun? Kurzerhand schnappe ich mir das Telefon und frage Michael, ob wir nicht später ein Glas Wein zusammen trinken sollen.

      »Leider ist bei mir ziemlich viel liegen geblieben und ich muss dringend Besichtigungstermine planen. Tut mir leid, aber das wird dann wirklich zu spät, um noch rüberzufahren.« Wenn er nebenan wohnen würde, könnten wir uns auch kurz vor dem Schlafengehen noch ein Glas genehmigen und dann zusammen einschlafen. Oder so. Ist tatsächlich verlockend. Ich werde ihn doch darauf ansprechen, wenn sich eine Gelegenheit ergibt. Außerdem könnte er mir – falls er nicht hier einziehen möchte – bei der Suche nach einem geeigneten Mieter behilflich sein. Ich stelle gerade fest, dass ich in meinen Gedanken Lottes Angebot schon angenommen habe. Das würde mir wirklich Spaß machen.

      So, jetzt muss ich aber langsam in die Gänge kommen. Das Wetter lädt einfach dazu ein, den Garten in Schuss zu bringen, und wenig später schiebe ich lauthals singend den Rasenmäher um den Kastanienbaum. Tief atme ich den Duft des frisch gemähten Grases ein. Die Fläche des Rasens, die nur durch den terracottafarbenen Steinweg unterbrochen ist, sieht aus, wie ein edler frischer Teppich der Natur. Ich bin so verzaubert von der Schönheit des Gartens, dass ich nicht aufhören kann, bis ich die Halme, die frech über die Steine auf den Weg ragen, fein säuberlich gekürzt habe und die Büsche ringsum von den vertrockneten Blüten befreit habe. Mit meiner Wasserflasche setze ich mich auf die Holzbank unter der Kastanie und stelle fest, dass diese harmonische Einheit aus farbenfrohen Blüten, dem perfekten Rasen im Innenteil des Hofes und den uralten, markant gewachsenen Bäumen eine unglaubliche Kulisse für einen Spielfilm bieten würden. Vielleicht sollte ich ihn als Drehort für einen Herzkino-Streifen anbieten. Ja, ein Film, im Paradies gedreht.

      »Hey Annie. Du hast ja mal wieder ein Wunder vollbracht. Das sieht einfach traumhaft aus. Aber ist es nicht zu heiß für Gartenarbeit? Du siehst ganz schön erschöpft aus.« »Ach, Lotte, es macht einfach so einen Spaß, alles wieder schön zu machen.« Ich erzähle ihr von meiner Idee mit dem Spielfilm. »Dann könnte das freie Haus zum Drehen genutzt werden.« Lotte lacht. »Du hast vielleicht Ideen. Heißt das, du nimmst mein Angebot an und bist ab sofort meine Hausverwalterin?« Irgendwie fühlt es sich schon so an. »Ich könnte es mir tatsächlich vorstellen.« Lotte kommt eilig zu meiner Bank herüber, beugt sich zu mir herunter und schließt mich fest in die Arme. »Ich danke dir von Herzen. Das macht mich wirklich glücklich und um einiges ruhiger.« Wow, so eine heftige Reaktion hätte ich nicht erwartet. »Aber das mit dem Spielfilm schlägst du dir wieder aus dem Kopf, ja?« Ich stelle mir gerade vor, wie Dutzende von Menschen mitsamt der ganzen Technik durch unseren Hof laufen und Action rufen. Das hatte ich nicht zu Ende gedacht. Mit der Erholung zu Hause wäre es vorbei und Gott bewahre, wie der Garten am Ende aussehen würde.

      »Einverstanden. Es wird mit Sicherheit kein Problem sein, das Häuschen zu vermieten.« »Aber eine Bitte hätte ich noch, Annie.« »Ja?« Lotte wird nachdenklich. Sie setzt sich neben mich auf die Bank und nimmt meine Hand. »Bevor wir es vermieten, möchte ich, dass das Anwesen rund um das Haus neu gestaltet wird. Das alles erinnert mich zu sehr an Lena und ihre eiskalte Art. Ich möchte, dass alles so farbenfroh und natürlich aussieht, wie der Rest des Hofes. Nicht so kalt und grau wie jetzt.« »Nichts lieber als das.« »Du musst das gar nicht selbst machen. Denk dir etwas Schönes aus und dann beauftragen wir den Gartenbauer aus dem Nachbardorf damit.« Jetzt bin ich überrascht, doch Lotte ahnt, was ich einwerfen möchte und kontert sofort. »Das Geld spielt keine Rolle, Annie. Ich hätte Edgar mein halbes Vermögen gegeben, um hier meinen Frieden zu haben, aber das hat sich durch sein neues Zuhause ja jetzt erledigt. Es wird das letzte Mal sein, dass ich wirklich große Summen investiere und dann soll es auch perfekt werden. Außerdem müssen wir uns über den Innenausbau unterhalten, denn ich möchte, dass ein kleiner Teil des Hauses abgetrennt wird, damit du dort dein eigenes Büro einrichten kannst. Aber das können wir später besprechen, ich muss jetzt los zu einem Termin in der Stadt.« Plötzlich fällt auch mir mein Termin wieder ein. Ich sollte schleunigst unter die Dusche, damit ich pünktlich bin. Damit vertagen wir unsere Planungen auf den nächsten Tag.

      Doktor Kirschmann freut sich, mich zu sehen, empfängt mich allerdings mit mahnenden Worten. »Sie sollten die Vorsorgetermine zweimal jährlich schon ernst nehmen, Frau Sommer.« »Ja, sorry, ich weiß, aber mir fehlt nichts, ich fühle mich fit und habe keinerlei Probleme.« Ganz im Gegenteil, denke ich und bin froh, dass er meine Gedanken an den Abend vorgestern in Holland nicht erraten kann. »Ich weiß, ich weiß«, ergänze ich, als ich sehe, wie er erneut Luft holt, um mir die Meinung zu sagen, »Sie haben Recht und ich gelobe Besserung.« »Gut, denn es wird höchste Zeit, dass wir über eine Erneuerung der Spirale sprechen. Wenn ich mich richtig erinnere, haben Sie ja jetzt wieder einen festen Partner….« Leicht verwirrt hake ich nach. »Wie, jetzt schon erneuern. Ich habe die Spirale doch gerade mal 6 Jahre.« »Ja, eben. Oder planen Sie eine weitere Schwangerschaft?« Moment, Moment, ich komme hier gerade nicht mehr mit. »Die Verhütung ist doch damit für 10 Jahre gesichert, oder nicht?«

      Dr. Kirschmann sieht mich erstaunt und leicht amüsiert an. »5 Jahre, Frau Sommer, 5 Jahre.« Das kann ich nicht glauben. Sollte ich mich so geirrt haben? Dann fährt mir ein fürchterlicher Schrecken in die Glieder. Wieder muss ich an unseren Abend am Strand denken. Dann hatte ich wilden, hemmungslosen, UNGESCHÜTZTEN Sex am Strand von Holland. Oh mein Gott. Meine Gedanken wirbeln durcheinander. Im selben Augenblick, in dem ich Michael zum Thema Kinder befragt habe, haben wir vielleicht schon eins gezeugt? Er sagte zwar, wenn es passiert, dann passiert es, aber was, wenn es wirklich passiert ist? Dr. Kirschmanns Blick sieht nun erwartungsvoll aus. Nein, ich werde ihm auf keinen Fall sagen, dass ich zu dumm war, mich um das Thema Verhütung zu kümmern. Vielleicht ist ja auch gar nichts passiert. Er fragt auch nicht weiter nach dem Grund meiner aufgelösten Stimmung. So gut, wie er mich kennt, weiß er es sowieso schon.

      »Denken Sie einfach darüber nach, ob wir die Spirale erneuern sollen, dann machen wir kurzfristig einen Termin und Sie haben für 5 Jahre wieder zuverlässigen Schutz.« 5 Jahre, ja, jetzt habe ich es auch gehört. Dann bittet er mich zum Untersuchungsstuhl und versichert mir kurz darauf, dass ich Recht hatte, und alles in Ordnung sei. Könnte er eine eventuelle Schwangerschaft nach 2 Tagen schon feststellen? Nein, natürlich nicht. Wann kann ich frühestens einen Schwangerschaftstest machen? Ich sehe die Werbung, die im Fernsehen läuft, gerade vor meinen Augen. Schon nach ?? Tagen weiß ich, ob ich schwanger bin. Wenn ich doch nur zugehört hätte. Aber das betrifft mich ja nicht – dachte ich – und habe dem Rest dieses unrealistischen Vorzeigefrauen-Gesprächs keine Beachtung mehr geschenkt.

      Ich muss mich wirklich zwingen, mich zu beruhigen. Vorgestern habe ich das noch ganz locker gesehen, aber die Vorstellung, tatsächlich jetzt sofort schwanger zu sein, wirft mich völlig aus der Bahn. Ich verabschiede mich knapp und verlasse ziemlich aufgelöst die Praxis. In der nahegelegenen Apotheke kaufe ich mir sofort einen Schwangerschaftstest, reiße die Verpackung auf und lese nach, wann ich ihn frühestens machen kann.

      2 Tage nach Ausbleiben der Regel. Na bravo. Durch die Spirale habe ich schon seit Jahren keine Regelblutung mehr. Als ob ich noch wüsste, wie normalerweise mein Zyklus war. Bislang habe ich das als wunderbaren Nebeneffekt dieser Verhütungsmethode angesehen. Jetzt lässt mich diese Tatsache völlig im Ungewissen, wann ich tatsächlich Bescheid weiß. Wenn ich jetzt zwei Wochen warten muss, werde ich irre. Wie eine Irre laufe ich auch im Haus herum und weiß nicht, was ich tun soll. Ob ich Michael davon erzählen soll? Zuerst denke ich, dass ich warten sollte, bis ich Gewissheit habe. Doch dann geht mir unser Gespräch nach Bennys Unfall wieder durch den Kopf. Michael war enttäuscht, dass ich ihn nicht ins Vertrauen gezogen und ihn mit eingebunden habe. Und in diesem Fall betrifft es ihn noch viel mehr.

      Ich könnte es ihm sowieso nicht verheimlichen, dafür kann ich meine Gefühle zu schlecht verstecken. Kurzerhand setze ich mich ins Auto und fahre zu ihm. Er hat keine Zeit, das weiß ich. Aber am Telefon möchte ich so etwas nicht besprechen. Vielleicht erwische ich einen guten Augenblick und wir können uns kurz zurückziehen. Michael hat sein Immobilienbüro im Erdgeschoss des Hauses, in dem er wohnt. Als ich dort ankomme, verabschiedet er sich gerade von einer äußerst attraktiven, jungen Frau. Ihr graues Kostüm – geschätzte Größe 36 -, die pflaumenfarbenen Pumps und die passende Seidenbluse wirken sehr elegant und