Pia Wunder

Herzrasen & Himmelsgeschenke


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ich mich mit der Abwicklung ein wenig überfordert. Genauso wie mit den ganzen Verwaltungsdingen, die den Hof betreffen.«

      Ich unterbreche Lotte nicht und warte geduldig auf ihre weiteren Ausführungen. »Auf der anderen Seite weiß ich, dass du am liebsten einen Nebenjob hättest, den du von zu Hause aus erledigen könntest.« Ich ahne, worauf sie hinaus möchte, weiß aber noch nicht, was ich davon halten soll. »Und da dachte ich«, fährt sie fort, »vielleicht hättest du Lust, die komplette Verwaltung des Hofes für mich zu erledigen und ich zahle dir ein Gehalt dafür.« Die Vorstellung, von Lotte Geld zu bekommen, damit ich ihr helfe, verursacht auf der Stelle ein Magendrücken bei mir. »Ich kann dir gerne bei diesen ganzen Dingen helfen, aber ich werde dafür kein Geld nehmen.«

      Lotte schien darauf vorbereitet zu sein, denn auch sie antwortet sanft, aber entschieden. »Annie, lass mich bitte ausreden. Ich weiß, dass du das tun würdest. Aber da ich weiß, wie knapp deine Zeit ist, wenn du weiterhin zwei Jobs machst und auch genügend Zeit für deine beiden Jungs haben möchtest, würde ich dir das nicht zumuten. Ich werde so oder so jemanden einstellen, der mir das alles abnimmt, aber es wäre mir viel lieber, ich könnte dir diese Dinge anvertrauen, als jemandem, den ich nicht kenne. Und wenn du statt des Jobs im Restaurant zu Hause arbeiten kannst, haben wir doch zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Du kannst dir die Zeit frei einteilen. Die Pflege des Hofes machst du sowieso schon fast alleine und das möchte ich auch nicht einfach so annehmen. So könnte ich dir die Aufgaben komplett übergeben und würde mich viel besser damit fühlen.«

      »Aber ich würde mich schlecht fühlen, wenn ich Geld von dir annehme.« Lotte lächelt. Auch diese Antwort hatte sie erwartet. »Kindchen, ich werde auf jeden Fall jemanden dafür bezahlen. Diese Entscheidung steht für mich fest.« Jetzt versucht sie eine andere Taktik, um mir die Entscheidung zu erleichtern. »Wenn ich jemanden einstelle, wäre er ständig auf dem Hof, um die Anlage in Ordnung zu halten, für Reparaturen zu sorgen, würde Wohnungsbesichtigungen für neue Mieter machen, meine privaten Unterlagen sehen wollen. Kannst du nicht verstehen, dass du mir damit einen großen Gefallen tun würdest?« Aha, jetzt sind wir an dem Punkt, wo sie an mein Gewissen appelliert, weil sie ahnt, dass sie nicht damit durchkommt, wenn sie mir etwas Gutes tun will. Doch ehrlich gesagt, wäre das für mich die perfekte Lösung. Von der Arbeit her wäre das völlig unproblematisch zu bewältigen und ich könnte mir alles selbst einteilen. Keine überraschenden Anrufe mehr mit der Frage: Können Sie am Samstag einspringen, eine Kellnerin ist krank geworden und wir haben eine große Geburtstagsfeier.

      Die Vorstellung ist wirklich verlockend, doch der Gedanke, von Lotte bezahlt zu werden, hinterlässt nach wie vor einen schalen Beigeschmack. »Lass mich darüber nachdenken, ja? Das ist jetzt etwas überraschend für mich und ich muss mal darüber schlafen.« Zufrieden lächelt Lotte. Sieht aus, als rechne sie jetzt schon mit meiner Zusage. Ich sehe sie von der Seite an. Lotte erwidert meinen Blick und versucht vergeblich, nicht zu glücklich auszusehen. Aber sie kann sich nur schwer beherrschen. Irgendwann kann sie nicht mehr und lacht laut los. Als ich mit dem Kopf schüttele, erwidert sie nur: »Es würde mich einfach unglaublich glücklich machen. Und jetzt lassen wir es gut sein.«

      Eine Weile fahren wir, ohne miteinander zu sprechen, sondern genießen die CD, die ich extra für Lotte ausgeliehen habe. Schlager der 60er und 70er Jahre. Meine Mutter hat diese Lieder früher immer zu Hause gehört, da war ich einfach nur genervt und wollte sie am liebsten knebeln. Nicht weil sie so eine schlimme Stimme hätte, nein, weil Texte wie Schöne Maid, hast du heut für mich Zeit, Hojahojaho einfach nur abgenervt haben. Und jetzt? Ich glaube es selbst nicht. Jetzt sitze ich hier neben Lotte und wir grölen lauthals zusammen Beiß´ nicht gleich in jeden Ahapfel, er könnte sauer sein. Gut, dass uns keiner hören kann. Die Kinder hätten jetzt einen Schreikrampf bekommen. Denn auf rote Apfelbähäckchen fällt man leicht herein. Brutus beeindruckt das überhaupt nicht, er schlummert friedlich auf dem Rücksitz. Daher beschließen wir auch, als der erwartete McDonalds-Pausenanruf kommt, lieber weiterzufahren, und die Männer dann erst zu Hause wiederzusehen.

      Obwohl ich noch keine Entscheidung getroffen habe, gehen mir Gedanken um Lenas Wohnung durch den Kopf. Irgendwann wird wieder jemand dort einziehen. Die exklusive, fast schon sterile Art, in der Lena sowohl Wohnung, als auch Garten gestaltet hat, würde mit Sicherheit einem ausgewählten Publikum gefallen. Wenn man mich fragen würde, passt dieser Teil des Hofes überhaupt nicht zu dem harmonisch und liebevoll gestalteten Rest des traumhaften Anwesens. Überall blühen zu jeder Jahreszeit Blumen oder Stauden, alte Kastanien- und Apfelbäume, die Obststräucher in den verschiedenen Nischen. Alles in allem gleicht das Anwesen einem farbenfrohen, wie zufällig arrangierten Paradies. Dagegen wirkt schon der Eingangsbereich des nun frei stehenden Häuschens mit seinen schwarzen und weißen Steinen und den genau ins Raster passenden harten Steingewächsen wie ein kalter Schlag ins Gesicht.

      Lotte holt mich aus meinen Gedanken. »Könntest du dir vorstellen, dass Michael dort einziehen würde?« Ein verlockender Gedanke. »Keine Ahnung. Über so etwas haben wir noch nie gesprochen. Falls wir mal zusammenziehen sollten, wäre mein kleines Häuschen nicht groß genug für uns alle. Dass wir in die Stadt ziehen, käme für mich nicht in Frage. Wenn ich so darüber nachdenke, wäre das schon eine schöne Vorstellung. Michael hätte sein eigenes Reich und weiterhin seinen Freiraum, und wir wären trotzdem nah beieinander.« »Dann frag ihn doch einfach«, schlägt Lotte vor. Jetzt bin ich verunsichert. »Eigentlich möchte ich das ungern tun. Wenn Michael mit uns zusammenziehen möchte, sollte das von ihm aus kommen. Ich hätte sonst immer das Gefühl, dass er sich verpflichtet fühlt.« »Aber das ist doch Quatsch. Er kann doch selbst entscheiden.« Da ich nicht antworte, fügt sie noch hinzu: »Wenn er nicht kommen möchte, muss er doch nicht.«

      Ich weiß nicht, mein Bauch hat in diesem Fall einfach noch keine klare Meinung. Darauf habe ich bisher immer vertraut und bin damit bestens gefahren. Genau zu diesem Zeitpunkt schmettert Daliah Lavi lauthals aus dem CD-Player: Ohohohohoho, wann kommst du? Vielsagend blickt Lotte mich an und meint: »Siehst du? Das solltest du Michael fragen.« Sofort geht mir durch den Kopf, was meine beste Freundin Lissy dazu sagen würde. Sie hätte hundertprozentig wieder schlüpfrige Gedanken. »Bist du dir sicher? Es könnte missverstanden werden.« Als Lotte mein Grinsen im Gesicht sieht, kann sie sich nicht mehr ernst halten. »Auch gut.«

      Ehe ich mich versehe, ist Bonn in Sichtweite und ich versuche, die Gedanken zu sortieren, was ich heute noch alles tun muss. Vor allem muss ich sehen, dass die Wäsche der Kinder morgen wieder gepackt im Koffer ist, wenn Paul sie abholen kommt. Ich hoffe, dass die leichte Entspannung, die in unserer Beziehung eingetreten ist, nun auch dauerhaft anhält. Wobei ich mich hin und wieder dabei ertappe, dass mir dieser Frieden verdächtig vorkommt. Was eigentlich gar nicht meine Art ist. Dann denke ich wieder: Wenn du das immer wieder vermutest, wird die schlechte Stimmung mit Sicherheit auch kommen. Also überrede ich meinen Bauch, darauf zu vertrauen und dankbar dafür zu sein, dass alles gut ist.

      Es ist ein schönes Gefühl, in den Hof einzufahren. Der Blick geht direkt zur großen Kastanie in der Mitte des Hofes, unter der wir vor einem Jahr unsere Einweihungsparty gefeiert haben. Der große Holztisch darunter lädt förmlich dazu ein, sich in den Schatten zu setzen und mit einem Kaffee in Ruhe anzukommen. Erst dann geht mein Blick zu meiner Haustüre, an der ein riesiger pinkfarbener Luftballon hängt. Es gibt keinen Zweifel, von wem der ist. Meine allerliebste Freundin Lissy war hier und hat einen Willkommens- und Geburtstagsgruß hinterlassen. Wie gerne hätte ich sie zu meiner Feier mit nach Holland genommen. Doch das Ferienhaus platzte auch so schon aus allen Nähten und dazu kommt, dass Lissys Zeit seit kurzem noch viel kostbarer geworden ist, da sie jemanden kennengelernt hat, mit dem sich wohl etwas Festes anbahnt. Ich freue mich so sehr für sie.

      »Warte Lotte, ich helfe dir, die Koffer rüberzubringen. Ich will nur schnell die Nachricht von Lissy lesen.« Ich nehme die Geschenktüte, die neben dem Luftballon an der Haustüre hängt und sehe hinein. Ein Pikkolo und eine Karte. Natürlich mit einem halbnackten Mann mit Sixpack darauf. Ruf mich an, wenn du etwas Luft hast, ich will dir unbedingt mein Geschenk vorbeibringen. Kuss, Lissy. Wie freue ich mich darauf, heute Abend mit ihr anzustoßen.

      Da Michael erst seinen Vater nach Hause gebracht hat, gelingt es mir nicht nur, die erste Wäsche anzustellen, sondern auch den Tisch im Garten nett für einen kleinen Kaffeeklatsch