Pia Wunder

Herzrasen & Himmelsgeschenke


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nur zu gut erinnere, welche Gefühle und Zweifel ihre Worte damals in mir ausgelöst haben, entscheide ich, dies nicht zu tun. »Und ihr habt euch noch nie gestritten? Oder unterschiedliche Meinungen gehabt?«, ist alles, was ich bereit bin, zu fragen. »Nö, es passt einfach perfekt.« »Darauf trinken wir jetzt.« Da Lissy noch fahren muss, ist sie zwischenzeitlich auf Cola umgestiegen, aber ich genieße ein weiteres Glas meiner Köstlichkeit.

      Apropos Köstlichkeit. Ob ich will oder nicht, mein Blick schweift immer wieder zu diesem peinlichen Schokoteil. Ich kann sowieso nicht die Finger von Schokolade lassen. Und jetzt steht sie genau vor meiner Nase so verlockend und ruft mich förmlich. Gestern hat mir eine Freundin eine WhatsApp geschickt, die ich nur zu gut nachfühlen konnte: Wenn ich Schokolade sehe, höre ich zwei Stimmen in mir. Die eine sagt: Los, iss mich! Die andere sagt: Hast du nicht gehört, du sollst mich essen. Genau so fühle ich mich gerade. Ich kann ihn ja mal auspacken und daran schnuppern. Ich liebe den Geruch von Schokolade. Als meine Hand zu meinem Geschenk wandert, sehe ich Lissys verschmitztes Gesicht. Sie macht es mir leicht und sagt: »Wenn wir ihn jetzt essen, musst du ihn nicht mehr verstecken und brauchst keine Angst zu haben, dass ihn jemand entdeckt.«

      Das ist ein gutes Argument. Die Vorstellung, dass Lissy mit isst, gefällt mir und nimmt mir den letzten Zweifel. Entschlossen öffne ich die Packung und nehme das harte, glänzende Teil heraus. »Willst du zuerst?« Ich halte ihr das Schokoteil vor die Nase. »Nein. Ladies first«, wehrt sie ab. Ohne darüber nachzudenken, schnuppere ich kurz daran, um dann herzhaft die Spitze abzubeißen. »Aua«, brüllt Lissy, lacht schallend und gleichzeitig werde ich von einem hellen Licht geblendet. Hat sie jetzt etwa ein Foto gemacht? Ich sehe nach oben, den Mund voller Schokolade und das gute Teil noch in der Hand, und sie hält tatsächlich ihr Smartphone in der Hand. Und macht direkt noch einen Schnappschuss hinterher.

      »Lissy, hör sofort auf damit. Das löschst du auf der Stelle wieder, hast du mich verstanden?« Blitzartig hüpfe ich zu ihr auf die Couch und versuche, ihr das Telefon wegzunehmen. »Schon gut, schon gut, ich lösche es.« Das beruhigt mich. »Aber erst will ich es sehen.« Jetzt bin ich neugierig. Lissy tippt auf ihrem Display herum und zeigt mir das Foto. »Ach du Scheiße. Wenn das in die falschen Hände käme.« »Soll ich Facebook?«, fragt sie allen Ernstes und hält sich den Bauch vor Lachen. Nachdem sie sich ein wenig beruhigt hat, beißt auch sie ein großes Stück ab. Wenn ich ehrlich bin, schmeckt die Schokolade gar nicht so gut wie sie aussieht. Lissy ist ganz meiner Meinung. »Das war leider ´ne Mogelpackung. Hält nicht das, was sie verspricht. Wie so oft im Leben.«

      Am Ende dieses ausgelassenen Abends sind wir uns allerdings einig, dass es uns beiden gerade so gut geht, wie lange nicht. Lissy hat es tatsächlich geschafft, dass sogar Sam sich für den Rest des Tages komplett aus meinen Gedanken verflüchtigt hat. Leider schleicht er sich jedoch bereits beim Zähneputzen wieder in meinen Kopf. Prompt spüre ich heftiges Magendrücken. Immer wieder sehe ich dieses flehende, traurige Gesicht vor mir. Das lässt mich lange nicht in den Schlaf finden.

      »Da kommt Papa.« Tom ist als Erster zur Tür gelaufen und reißt sie auf, um seinen Vater stürmisch zu begrüßen. Schön zu sehen, wie sehr er sich auf seinen Papa freut. Nachdem ich ihnen einen Augenblick alleine gegeben habe, gehe ich nun auch zur Tür, um Paul hereinzubitten. »Magst du einen Kaffee?« Ich halte ihm die Haustür auf und lade ihn mit einer Handbewegung ein, in die Küche zu kommen. Er scheint mit sich zu kämpfen, ob er das Angebot annehmen soll. Doch tatsächlich folgt er meiner Einladung und kommt mit an den Frühstückstisch. Tom ist ganz begeistert angesichts der fast friedlichen Stimmung.

      »Darf ich dir meine Schultüte zeigen, Papa? Die hab ich selbst gebastelt. Das ist ein richtiger Drache, so wie auf meinem Schulranzen.« Tommy kann seine Begeisterung nicht zurückhalten. Er nimmt Pauls Hand und versucht, ihn mit sich zu ziehen. »Komm mit hoch, ich zeig sie dir.« Um es Paul zu erleichtern, füge ich ebenfalls hinzu: »Ja, geht ruhig rauf.« Doch Paul entzieht ihm seine Hand. »Dafür müssen wir doch nicht extra hoch gehen. Die sehe ich doch bei deiner Einschulung.« Ist das zu glauben? Tom gibt nicht auf. »Dann hole ich sie runter. Warte.« Bevor Paul etwas antworten kann, ist Tom schon verschwunden. »Bring Benny mit nach unten.« Anscheinend hat mein Großer noch nicht mitbekommen, dass sein Vater vorgefahren ist.

      »Bleibt es wie besprochen bei der Einschulung? Wir trinken hier gemeinsam einen Kaffee mit Omas und Opas und den Paten? Ich mache ein paar belegte Brötchen und backe einen Kuchen.« Paul verzieht das Gesicht. Anscheinend gefällt ihm die vor den Ferien abgestimmte Variante nicht mehr. Mein Gefühl ist, dass er sich hier einfach nicht so wohl fühlt, was ich ja im Grunde auch verstehen kann. »Bei Bennys Einschulung waren wir alle zusammen Mittagessen. Könnten wir ja auch irgendwo machen.« Da hat er natürlich Recht. Obwohl ich nicht glaube, dass es Tom etwas ausmachen würde. Erstens kann er sich daran sowieso nicht erinnern, und zweitens würde er sicher auch gerne zu Hause feiern.

      »Ja, wäre auch eine Möglichkeit. Ist aber natürlich ein ganz anderer Kostenfaktor, als wenn wir es hier machen«, gebe ich zu Bedenken. »Wenn wir das teilen, ist das doch machbar.« Mir wird etwas mulmig bei dem Gedanken daran, 10 erwachsene Personen und 2 Kinder in einem Restaurant zu verköstigen. Ich will aber nicht schon wieder den Frieden in Gefahr bringen. »Na gut, ich frage mal nach einem Tisch für diesen Tag. Ist es dir Recht, wenn wir zu Dreckmanns gehen? Da, wo ich arbeite.« Vielleicht habe ich Glück, und meine Chefin macht uns einen guten Preis. Er nickt zustimmend. »Ja, mach den Tisch direkt fest.«

      »Aua!« Gepolter auf der Treppe. Benny hat beim Hinabrutschen auf dem Treppengeländer die Kurve nicht bekommen und sitzt auf der letzten Stufe. Er hält sich den schmerzenden Knöchel. Schnell bin ich bei ihm und sehe, dass die Verletzung für seine Verhältnisse ziemlich harmlos ist. »Komm, ich packe dir Eis darauf und hole Arnica Kügelchen.« Auf dem Weg zum Esstisch stütze ich ihn und verschwinde kurz, um alles zu besorgen. Die Begrüßung mit seinem Vater fällt etwas zurückhaltend aus, da dieser kopfschüttelnd am Tisch sitzt und ihn gleich wieder vorwurfsvoll ansieht. Ich bin dankbar, dass er Bennys Umarmung trotzdem erwidert.

      Wie gut, dass ich oben die Globuli holen wollte, denn Tom kommt mir auf der Treppe entgegen, mühevoll bepackt nicht nur mit seiner Schultüte, sondern gleich mit dem vollen Programm: Schulranzen, Turnbeutel und der Kunstkiste, die natürlich alles enthält, was er für den Schulstart benötigt. Wenn Tom mit all dem Kram die Treppe herunter purzelt – ich mag es mir gar nicht vorstellen. »Komm, ich nehme dir etwas ab.« »Aber nicht die Schultüte, die will ich selber zeigen.« Fröhlich und unbeschwert hüpft er nach unten. In seiner Euphorie bemerkt er nicht, dass die Stimmung etwas gedämpft ist. »Guck mal, das ist der Drachenkopf und das Papier hier oben ist das Feuer, das der spuckt. Wild fuchtelt er mit dem Drachenkopf vor Pauls Gesicht herum. Um seinem Papa zu zeigen, wie heftig das Feuer auflodert, wenn man das rote Papier immer wieder nach oben schwingt, reckt er ihm wieder und wieder schwungvoll die knallgrüne Schultüte entgegen. Ich ahne Böses, doch bevor ich Tom bremsen kann, beendet Paul abrupt den Drachenzauber.

      »Ja, schön. Wir müssen jetzt aber wirklich los.« Mit einer Armbewegung wischt er den Drachen zur Seite und wirkt ungehalten. Schnell nehme ich Toms Arm und fange die Schultüte auf, die ihm zu entgleiten droht. »Ups, jetzt bringen wir den Drachen schnell wieder in seine Höhle und dann geht´s los. Ihr müsst jetzt fahren.« Tom ist enttäuscht, dass das Drachenspiel schon beendet ist. Doch die Aussicht auf Ferien mit Papa scheinen ihn etwas zu trösten. Er bringt die Schultüte zurück in sein Zimmer und stapelt die letzten Dinge, die er noch mitnehmen möchte, umständlich auf seinen Ärmchen. Buntstifte und einen Zeichenblock, einen Luftballon und 2 Fähnchen vom gestrigen McDonald´s Besuch, seinen Eisbär und Luna, seinen Kuschelhund.

      »Darf ich Luna jetzt Sam nennen?« Peng, das trifft mich unvermittelt. Gott sei Dank hat Benny das nicht mitbekommen. Ich könnte eine Diskussion zu diesem heiklen Thema so kurz vor ihrer Abfahrt nicht ertragen. Der traurige Ausdruck in seinen Augen lässt mich jedoch erahnen, dass auch Bennys Gedanken wieder bei Sam im Tierheim sind, als ich mich von ihnen verabschiede. Einmal noch muss ich beide fest drücken. »Viel Spaß wünsche ich euch.« Statt einer Antwort nur ein Kopfnicken. Dann steigen sie ins Auto und schwungvoll verlässt Paul den Hof.

      Puh, die Küche sieht aus wie ein Schlachtfeld. Lieber