Pia Wunder

Herzrasen & Himmelsgeschenke


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warte ich im Auto, bis die Dame in ihren Mercedes gestiegen ist.

      »Annie, was machst du denn hier?« Michael ist völlig überrascht, aber glücklicherweise scheint er nicht sauer zu sein, dass ich hier einfach so aufkreuze. »Ich habe leider nicht viel Zeit, eigentlich muss ich schon auf dem Weg zu einem Termin in Endenich sein. Ist etwas passiert?« Statt ihm zu antworten, drücke ich mich an ihn und vergrabe mein Gesicht unter seinem Kopf. Er hält mich fest, gibt mir Zeit und Raum, obwohl er beides eigentlich gerade nicht hat und wartet, bis ich bereit bin, zu sprechen. »Können wir kurz nach oben gehen?« Er sieht die Besorgnis in meinen Augen und nickt. »Warte kurz.«

      Während er die Türe des Büros abschließt, wählt er auf dem Smartphone eine Nummer. »Frau Friesing, Michael Klunie hier. So leid es mir tut, ich muss den Termin für heute leider absagen.« Eine kurze Pause, in der die Kundin ihm antwortet. »Ich weiß, dass es sehr kurzfristig ist, aber es handelt sich um einen Notfall. Können wir uns morgen sehen? Sagen wir um 16.00 Uhr?« Wieder eine Pause. Frau Friesing scheint ziemlich sauer zu sein, dass Michael sie für heute hat sitzen lassen. Das schlechte Gewissen steigt in mir auf. »Na gut, wenn Sie nur dann können, sehen wir uns um 20.00 Uhr morgen Abend. Dann lade ich Sie zum Essen ein.« Diese Aussicht scheint sie zu erfreuen. Mich erfreut sie ganz und gar nicht. Hat er eigentlich nur weibliche Kundinnen? Und nur solch attraktive Frauen mit dem Taillenumfang einer Wespe? Ich versuche, mein Kopfkino abzuschalten. Schließlich hat er für mich gerade seine ganze Planung über den Haufen geworfen.

      »Was ist denn los?«, wendet er sich wieder mir zu. »Lass uns hoch gehen.« Geduldig wartet er, bis ich auf seiner weißen Couch Platz genommen habe und setzt sich zu mir. Er nimmt meine Hand und sieht mir fest in die Augen. »Annie Sommer, jetzt spann mich nicht länger auf die Folter. Was ist passiert?« Ich hole tief Luft und erzähle endlich von meinem Termin bei Dr. Kirschmann. Es fällt mir schwer, mich zu beruhigen bei dem Gedanken daran, so plötzlich schwanger zu sein. Gespannt auf seine Reaktion sehe ich in Michaels Gesicht. Er lächelt. Dann lehnt er sich entspannt zurück und zieht mich mit sich auf die Couch. Er scheint erleichtert zu sein. Hat er mir nicht zugehört? Sein Blick wandert an die Decke, er holt tief Luft und legt dann einen Zeigefinger unter mein Kinn, damit ich ihm direkt in die Augen sehe.

      »Und wo genau ist jetzt das Problem?« Das verschlägt mir die Sprache. Und wieder lächelt er mich an. »Aber wie soll das denn gehen? Wir wohnen ja noch nicht einmal zusammen und…« Weiter komme ich nicht. Michael legt mir seinen Zeigefinger auf die Lippen und küsst mich sachte. Als ich wieder loslegen will, küsst er mich erneut. Aufgebracht wage ich einen letzten Versuch, doch auch diesmal erfolglos, also ergebe ich mich. Gezwungenermaßen schweige ich und lege meinen Kopf auf seine Brust, immer noch völlig angespannt. Außerdem fröstelt es mich. Mit einem Griff hat Michael die Decke erwischt und hüllt uns darin ein. Seine Hand streichelt zart meinen Nacken und dann höre ich seine wundervolle, tiefe und trotzdem warme Stimme. »Du weißt doch noch gar nicht, ob etwas passiert ist. Und wenn doch – dann sollte es so sein. Dann werden wir das gemeinsam schaffen. Wenn ich darüber nachdenke, fällt mir gar nichts ein, was wir beide nicht zusammen schaffen können.« Seine Hände streichen nun durch meine wilden Locken und heben dabei meinen Kopf an, so dass ich ihm in die blauen Augen sehe. »Du Zauberwesen.« Noch heute denke ich manchmal, dass ich nur träume, so einen wunderbaren Mann gefunden zu haben. Entspannt lege ich meinen Kopf wieder auf seine Brust und möchte am liebsten nicht mehr aufstehen.

      »Kann ich heute bei dir bleiben?« »Musst du morgen nicht arbeiten?« »Doch, aber lieber würde ich morgen früh aufstehen und vor der Arbeit nach Hause fahren, als jetzt alleine zu Hause zu sein.« »Von mir aus, aber ich habe nicht viel im Haus. Ich könnte uns ein paar Brötchen aufbacken und einen Tee machen.« Ich küsse ihn zärtlich. »Hört sich perfekt an. Soll ich dir helfen?« »Nein, bleib ruhig liegen, ist ja nicht viel Arbeit.« Damit schält er sich unter mir hervor und steht auf, um unser Abendessen zu machen. »Außerdem musst du dich ja vielleicht jetzt schonen.« Sofort schnellt mein Puls wieder in die Höhe und aufgebracht werfe ich ihm ein Kissen an den Kopf. Lachend geht er in die Küche.

      Michael scheint völlig entspannt zu sein. Ich habe das Gefühl, er würde sich sogar freuen. Aber mir ist das immer noch alles zu viel und zu schnell. Obwohl er es tatsächlich geschafft hat, dass ich nicht mehr ganz so verzweifelt bin. Sollte ich wirklich schwanger sein, dann würde er voll und ganz hinter mir stehen und mich unterstützen. Ich bin froh, dass ich Michael nicht angerufen habe und wir am Ende des Tages überraschend zusammen in seinem großen Bett liegen, und ich mich vor dem Einschlafen an ihn schmiegen kann. Es fühlt sich an wie eine Ladestation an Energie, Zuversicht, Schutz und Liebe.

      Ta ta da ta, ta ta daa. Ich falle fast aus dem Bett. Erschrocken sehe ich mich um. Es kommt nicht so oft vor, dass ich bei Michael schlafe und wenn, dann brauchen wir meist keinen Wecker. Diese Melodie kenne ich irgendwoher. Irgendein bekannter Film. Michael dreht sich zur Seite und drückt den Schlummerknopf. Ich falle wieder in die Kissen. »Guten Morgen, mein Schatz.« »Guten Morgen.« Gut wäre er, wenn ich liegenbleiben könnte, oder wenn es nicht erst halb sechs wäre. »Was war das für eine Melodie?« Ich bin noch im Halbschlaf und kann noch keinen klaren Gedanken fassen. Doch das lässt mir keine Ruhe. »Das musst du doch kennen«, meint Michael nur. »Ja natürlich kenne ich das, aber ich komm nicht drauf.« Er lächelt mich an, ohne mir eine Antwort zu geben. Ich befürchte, dass er mit dem Gedanken spielt, mich zappeln zu lassen, bis es mir von alleine einfällt. Er macht sich immer wieder darüber lustig, dass ich so ungeduldig bin.

      Anscheinend ist er aber heute gnädig. »Indiana Jones.« JA, das ist es! Hätte ich wirklich drauf kommen können. »Magst du ihn?« »Wer mag den nicht?« So, wie er mich gerade ansieht, sieht er aus, wie ein großer Junge, der selbst gerne die Abenteuer von Indie erlebt hätte. Stattdessen muss er, in Anzug gekleidet, hübschen Damen hübsche Häuser schmackhaft machen. Und ich muss verzweifelten Mandanten Briefe schreiben, die ihr Familienleben wieder ein wenig glücklicher machen sollen. So kämpft jeder an seiner Front. Michael holt mich aus meinen Gedanken. »Wer geht zuerst ins Wasserloch zum Frischmachen?«, fragt er gespielt abenteuerlustig. Wie kann man so früh am Morgen schon gut gelaunt sein? »Du, dann kann ich noch fünf Minuten liegenbleiben.«

      Mit der Aussicht auf den voll bepackten Tag ist die Entspannung schnell vorbei und ich bereite mich auf den Abschied vor. »Bleib mal ganz entspannt. Wir warten ab, was passiert und dann sehen wir weiter.« Er hat wahrscheinlich Recht. Tun können wir jetzt sowieso nichts. Doch der Gedanke an ein Baby ist so schnell nicht aus meinem Kopf zu bekommen. »Hast du schon überlegt, was mit Sam ist? Soll ich beim Tierheim anrufen und absagen?« Wumms, der Gedanke an eine Schwangerschaft ist schlagartig verdrängt durch diesen kleinen Mischlingshund. Michael hat Recht. Ich muss eine Entscheidung treffen.

      »Nein, ich kümmere mich heute nach der Arbeit darum.« Sein Blick sieht etwas traurig aus. So wie der von Sam. Doch er nickt verständnisvoll. »Ich rufe dich heute Abend an«, schlage ich vor. Dann fällt mir sein Telefongespräch vom Vorabend ein. »Ach stimmt, du hast ja keine Zeit heute Abend. Dann lass uns nach deinem Termin telefonieren.« »Oh, das wird sicher spät. Dann will ich dich nicht mehr stören.« Unwillkürlich durchzuckt ein Grummeln meinen Magen. Scheint ja ein wichtiger Termin zu sein mit dieser Frau Friesinger. Michael sieht meinen Gesichtsausdruck und sein Griff wird fester. Gut, dass ich es nur gedacht und nicht gesagt habe. Warum bin ich denn so empfindlich? Die Hormone? NEIN, darüber will ich jetzt nicht nachdenken. Ich gebe Michael einen Abschiedskuss und wir vereinbaren, dass wir uns einfach zwischendurch sprechen werden. So, wie es die Zeit zulässt.

      Zu ungewohnt früher Stunde fahre ich in den Hof ein. Ich genieße die Stille, die am frühen Morgen über dem Anwesen liegt und atme die frische Luft tief ein. Wie friedlich hier alles ist. Da ich früh genug dran bin, nutze ich den Augenblick und schlendere eine kleine Runde durch den Hof. In meinem Vorgarten hat sich der Strauch mit den zarten, lilafarbenen Cosmea-Blüten prächtig entwickelt und die üppigen Dahlien blühen farbenfroh. Meine Kräuter duften köstlich und ich freue mich, wenn ich im August die Tomaten ernten kann, die ich mit den Kindern im Mai eingepflanzt habe.

      Bei Lotte ist alles friedlich. Sie scheint noch zu schlafen, daher bleibe ich nur an der Ecke zu ihrem Haus stehen, damit Brutus mich nicht bemerkt und sie