Annalies A. Beck

Nachhaltig wirksame Kollaboration in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit


Скачать книгу

– die Bekanntheitssteigerung der Organisationsaktivitäten durch digitale Technologien wie Social Media – ist vor allem vor dem Hintergrund relevant, dass sich deren Einsatz positiv auf die Transparenz der EZ auswirken kann (vgl. de Bastion, 2013: 378; vgl. Sangmeister, 2018: 24). Sangmeister (2018: 25) bringt hierzu auch Kritik an der derzeit wahrgenommenen Situation an: „Zweifellos kann die Transparenz im Rahmen der Möglichkeiten von EZ 4.0 deutlich verbessert werden – aber wie sie gestaltet wird, ist entscheidend.“

      In Bezug auf die genannten und mit der Social-Media-Nutzung in Organisationen verbundenen Risiken, zu denen die auf einem Mangel an Nutzungskompetenz beruhende Separation von einzelnen Organisationsmitgliedern und der Missbrauch vertraulicher Daten gehören, gilt für NGOs oder NPOs, nicht weniger als für POs, dass die Nutzung neuer IKT regelgeleitet erfolgen sollte. Sog. Social Media Guidelines (vgl. Gabriel/Röhrs, 2017: 83; vgl. Beuthner, 2016), die Richtlinien für den adäquaten Einsatz von Social-Media-Anwendungen von Organisationen enthalten, erfüllen genau diesen Zweck.

      Wie festgestellt wurde, ermöglichen Social Media reziproke Beziehungen zwischen den Nutzern bestimmter Social-Media-Anwendungen (vgl. Kap. 2.2.3.2). Nach Kietzmann et al. (2011: 246f) müssen sich die Organisationsmitglieder einer Entwicklungsmaßnahme im Klaren darüber sein, dass die Art und Intensität einer Beziehung eng mit der Informationsmenge verknüpft ist, die freigegeben wird: „If the nature of the engagement among users is to grow their networks, then more information might need to be displayed to create meaningful relationships.“ Es ist davon auszugehen, dass sich die Vielfalt von Social-Media-Instrumenten – insbesondere durch Anwendungen wie Video-Telefonie, Instant Messaging oder soziale Netzwerke, die trotz ihrer Digitalität fähig sind, Interaktivität, Nähe, Direktheit und reziproke Beziehungen zu vermitteln – auf die Eigendynamik einer Organisationskultur{109} auswirkt. Insofern darf dem Einsatz von Social Media das Potenzial zugeschrieben werden, die gesamte Kultur einer Organisation, die Entwicklungsprojekte umsetzt, zu beeinflussen. Dies betrifft wiederum neben der Art und Weise, wie intra- sowie interorganisational Beziehungen aufgebaut und gepflegt werden, auch den Umgang mit Wissen. In diesem Zusammenhang beurteilen Leslie et al. (vgl. 2018) die Anforderungen für Mitarbeiter in Entwicklungsprojekten und sind der Meinung, dass neben vorhandenen Werten auch die Existenz von Beziehungen entscheidend für deren Arbeit ist.

      Es stellt sich die Frage, inwiefern das Potenzial von Social Media im Kontext der internationalen EZ bereits ausgeschöpft wird. In Deutschland ist auf die „digitale Agenda“ des BMZ (vgl. 2017) zu verweisen, in der Social Media jedoch noch keine Erwähnung finden. Weiterhin zu beobachten sind diesbezüglich bspw. auch die Ergebnisse der derzeit umgesetzten digitalen Transformationsaktivitäten der GIZ.{110} Auf internationaler Ebene machen Sangmeister & Wagner (2018: 13) „digitale Anwendungen bereits in vielen Bereichen der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit“ aus. Zu diesen zählen Websites und internetbasierte Community-Plattformen für den interorganisationalen Wissensaustausch im Rahmen der internationalen EZ.

      „There are countless networks on almost every topic of sustainable development. In general, many of the mission-oriented networks organize relationships and actions of like-minded people who share an idea.“ (Schwaab/Seibold, 2014: 159)

      Solche Initiativen haben gemein, dass sie ihren Nutzern – Projektbeteiligten einer Entwicklungsmaßnahme – die Möglichkeit bieten, Wissen und Erfahrungen außerhalb der eigenen Organisation mit anderen Interessierten ggf. öffentlich{111} (vgl. Open Development-Bewegung, Kap. 2.1.2) zu teilen. Zu einer der nutzerstärksten Plattformen für den interorganisationalen Wissensaustausch zählt in Europa bspw. die „Capacity4Dev“, wobei durchaus Social-Media-Elemente in den Web-Auftritt integriert werden: Im Anschluss an die Registrierung können die Profile anderer Nutzer aufgerufen und persönliche Nachrichten versendet werden. Außerdem werden „groups“ bzw. Foren angeboten, in denen sich 20.000 Nutzer zu verschiedenen Themen der internationalen EZ austauschen (vgl. Capacity4Dev, 2020).

      Empirische Erkenntnisse zur Social-Media-Nutzung in intraorganisationalen Prozessen, die die Kollaboration innerhalb eines Entwicklungsprojektteams ebenso wie die Zusammenarbeit mit projektexternen Anspruchsgruppen wie Projektpartnern oder anderen Entwicklungsorganisationen betreffen, fehlen bislang. Neben Tayyar (2013) stellt ebenso de Bastion (2013: 368) fest, dass das „Potential sozialer Medien als Instrument der EZ unerforscht“ ist. Diese Situation bzgl. der praktischen Anwendung von Social Media beurteilt dies. (2013: 369) wie folgt: „Die meisten NGO[s] sind auf verschiedenen Social-Media-Plattformen vertreten, die Nutzung erstreckt sich im Regelfall auf die Verbreitung eigener Inhalte und das Beantworten und Kommentieren von Nutzeranfragen.“ Hoffjann & Gusko (2018: 295) bestätigen den Eindruck und weisen darauf hin, dass es hierbei weder in Theorie noch Praxis in den vergangenen Jahren eine Veränderung zu verzeichnen gab: „So intensiv die Nutzung Sozialer Medien in anderen Kontexten momentan erforscht wird, so wenige Erkenntnisse liegen bislang zu ihrer Relevanz für NGOs vor.“ Dennoch konnten in diesem Kapitel basierend auf der aktuellen Forschungsliteratur Annahmen zum Potenzial des Einsatzes von Social Media im Rahmen der internationalen EZ getroffen werden. Die Überprüfung der konkreten Anwendungssituation erfordert eine empirische Untersuchung wie sie in dieser Studie durchgeführt wird.

      2.4 Zusammenfassung

      Kap. 2 zielte darauf ab, die theoretischen Grundlagen für die in dieser Studie durchgeführte empirische Untersuchung zu schaffen. Dies erforderte zum einen die definitorische Einordnung zentraler Begriffe wie die der „Entwicklungsmaßnahmen“ oder „Social Media“, zum anderen eine entstehungsgeschichtliche Betrachtung der internationalen EZ mit einem Fokus auf die Bedeutung des Nachhaltigkeitsbegriffs, der im ersten Teil des Kapitels analysiert wurde. Es wurde begründet, weshalb anstelle von Nachhaltigkeit im Rahmen dieser Studie die Formulierung „nachhaltige Wirksamkeit“ bevorzugt und verwendet wird. Zudem wurden die aus handlungs- und kulturtheoretischer Sicht relevanten Besonderheiten von Entwicklungsprojekten dargelegt, in deren Zentrum neben dem Umgang mit den verschiedenen beteiligten Akteuren und Handlungskontexten die räumlich bedingte Virtualität von Arbeits- und Kommunikationsprozessen stehen. Anhand der Erläuterung grundlegender Voraussetzungen für den Beziehungsaufbau zwischen den Projektbeteiligten und den Umgang mit Wissen wurde herausgearbeitet, dass reziproke Beziehungen zwischen den Projektbeteiligten die Basis für nachhaltig wirksame intra- und interorganisationale Zusammenarbeit im Rahmen von Entwicklungsmaßnahmen darstellen.

      Im zweiten Teil des Kapitels wurde die Grundlage für die Einschätzung des Potenzials von Social-Media-Anwendungen in Entwicklungsprojekten geschaffen. Hierzu erfolgte im Anschluss an eine Begriffsdefinition eine Klassifizierung bezüglich wesentlicher Social-Media-Funktionen im organisationalen Kontext. Insgesamt wurden sechs Funktionen identifiziert, zu denen die Ermöglichung von Kommunikation, der Aufbau von Beziehungen, die Organisation der Zusammenarbeit, die Bereitstellung von Inhalten, die Abgabe von Bewertungen und die Schaffung virtueller Welten zählen. Die Betrachtung dieser Funktionen in Form eines Prozessschemas begründet, warum der Funktion des Beziehungsaufbaus eine Schlüsselrolle zukommt. Bei einer Differenzierung zwischen schwach bzw. einseitig und stark ausgeprägten bzw. reziproken Beziehungen, die mittels Social Media zwischen den jeweiligen Nutzern hergestellt werden können, wurden Blogs und Wikis als Instrumente identifiziert, die einseitige Beziehungen bewirken. Soziale Netzwerke, Video-Telefonie-Dienste und Instant Messaging zählen zu den Social-Media-Anwendungen, die reziprozitätsintensive Nutzerbeziehungen generieren. Es ließ sich ableiten, dass diese drei Social-Media-Anwendungen genau wie die persönliche Face-to-Face-Kommunikation im Gegenzug zu Web1.0-Technologien ein hohes Reziprozitätspotenzial bergen. In Bezug auf den Nutzen und die Risiken, die sich beim Social-Media-Einsatz für Organisationen ergeben und somit auch für Entwicklungsprojekte relevant sind, konnten die Erhöhung der Effizienz von Arbeits- bzw. Kommunikationsprozessen, die Förderung der Partizipation aller Organisationsmitglieder und die Steigerung der Bekanntheit der Organisationaktivitäten als positive Auswirkungen identifiziert werden. Zu den Risiken zählen eine durch mangelnde Kompetenz der Nutzer erzeugte Separation von einzelnen Organisationsmitgliedern und der Missbrauch vertraulicher Daten.

      Im dritten Teil des Kapitels wurde im Sinne einer Zusammenführung der theoretischen Grundlagen und in Bezug auf die zuvor eruierten Nutzungsvorteile das Potenzial von Social-Media-Anwendungen