Tiffany Anders

Ein halbes Jahr Amerika


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stand. Meine Stimme schien sich sehr dringlich angehört zu haben. Er schaute genauso fassungslos wie ich auf die Bilder im Fernsehen. Es sah aus wie die Bilder vor zehn Jahren, als die Flüchtlingswelle aus Syrien und dem Irak nach Deutschland kam. Weinende und schreiende, flehende Menschen, völlig ausgehungert und ausgezerrt. Bei der Flüchtlingswelle in Deutschland sahen wir die Bilder der Menschen auch im Fernsehen, es hat uns damals auch sehr leid getan, aber das was wir jetzt sahen war anders für uns. Diese Menschen waren unser „Volk“ und ich fing an zu weinen, es war so nah, obwohl Georgia mehre hundert Kilometer von uns entfernt lag.

      Thorben nahm mich in den Arm und versuchte mich zu trösten, obwohl ich merkte, dass er auch mit sich und den Tränen zu kämpfen hatte. Was machen wir denn jetzt, fragte ich ihn. Und mit einem Mal war er wieder voll da. Zieh dich an, sagte er nur kurz und rannte nach oben ins Schlafzimmer. Während wir uns anzogen rief er schon Boris an. Boris hatte schon vier Mal versucht uns anzurufen, um uns von der Ankunft zu berichten und um zu fragen, was wir jetzt tun werden. Boris und Lydia waren schon auf dem Weg zu uns, da sie uns nicht erreicht hatten.

      Thorben wies Franky, unseren Hausmeister an, unsere gesamten nichtalkoholischen Getränke auf unsere Beiden Pickups zu laden. Lena, Bjarne und Brenda halfen ihm dabei. Franky hatten wir schon als wir das Haus kauften, als Hausmeister angestellt. Thorben hatte ihn damals von der Straße gesammelt. Franky war obdachlos, hatte aber keine Probleme mit Drogen oder Alkohol. Thorben hat sofort bei ihm gesehen, das er was drauf hat und hat ihn gefragt, ob er nicht für uns arbeiten möchte. Ich war damals nicht so begeistert, einfach einen Obdachlosen einzustellen, den wir überhaupt nicht kannten. Aber Thorben hatte sich nicht getäuscht, Franky war ein Arbeitstier und tat einfach alles, worum wir ihn baten. Irgendwann hat er sogar auf die Kids aufgepasst, wenn Thorben und ich mal weg mussten. Franky war ein sehr gemütlicher Mensch, immer ruhig und ausgeglichen. Das war aber anders wenn er arbeitete, dann musste es bei ihm immer zackig gehen.

      Boris und Lydia fuhren mit zwei Autos auf den Hof. Lydia nahm mich sofort in den Arm und so langsam wich mir der erste Schock aus den Knochen und ich fragte in die Runde was sie eigentlich vorhaben. Was glaubst du denn wohl, fragte Thorben. Wir fahren da hin, setzte er gleich nach, ohne eine Antwort von mir abzuwarten. Was willst Du da, fragte ich, was sollen wir da tun, Getränke verteilen damit noch mehr Chaos ausbricht? Thorben blieb kurz stehen und fragte mich, ob ich schon mal auf den Gedanken gekommen wäre, dass vielleicht Verwandte von mir oder Freunde von uns dabei wären. Schlagartig wurde mir klar, wir mussten da hin.

      Wenn sein Bruder Rene dabei wäre, würde er alles daran setzen ihn da raus zu holen, zur Not auch mit Gewalt. Rene war eigentlich gar nicht sein richtiger Bruder. Sie hatten sich vor Jahren bei einer Kaufmannsausbildung kennen gelernt und wurden richtig dicke Freunde. Da sie sich sehr ähnlich waren, vermuteten die Leute immer, dass sie Brüder wären. Und so wurden sie eben Brüder, wenn auch nicht Blutsverwandt. Thorben hatte eigentlich keine Familie außer uns. Zu seiner Mutter hatten wir den Kontakt, lange bevor wir Deutschland verließen abgebrochen, da wir sie für völlig irre hielten. Sie änderte ihre Meinungen und Launen innerhalb von Sekunden und die schlechten Launen lies sie die Menschen in ihrer Umgebung auch sofort spüren. An seinen Vater und seine beiden Halbbrüder konnte Thorben sich nicht mehr erinnern, da sein Vater ihn und seine Mutter verlassen hatte, als er drei Jahre alt war. Mit meiner Familie hatte ich selten Kontakt. Meine Mutter ist noch vor uns nach Kanada zu einer Freundin ausgewandert und kam uns jedes Jahr im November zu Thanksgiving besuchen. Zu meinem Vater hatte ich seid dem wir Deutschland verlassen hatte keinen Kontakt mehr. Wir stritten uns in Deutschland ständig, weil er Thorben nicht mochte. Von meinem kleinen Bruder, der bei meinem Vater lebte, hatte ich seid Deutschland auch nichts mehr gesehen oder gehört.

      Wir vergewisserten uns noch, das Franky und unser Hausengel Claire so lange bei den Kindern bleiben würden, bis wir wieder da waren. Claire ist kurz nach Franky zu uns gekommen. Franky hatte uns gefragt, ob wir noch eine Köchin benötigen würden. Eigentlich brauchten wir niemanden, aber Franky kannte sie von der Straße und wir wollten ihr eine Chance geben. Claire war schon etwas älter und eigentlich so wie man sich eine Köchin vorstellte, etwas ründlich, gemütlich , aber sehr laut und konsequent, wenn es drauf ankam und sie konnte kochen wie ein fünf Sterne Koch. Claire und Franky waren absolute Glücksgriffe. In den USA ist es so, dass man, wenn man auf der Straße sitzt, eigentlich keine Chance mehr hat, da raus zu kommen.

      Den Kindern erklärten wir kurz die ganze Situation und dann fuhren wir mit 4 Autos los. Wir wollten unbedingt vor Mittag noch die Staatengrenze zu Georgia passiert haben, doch 200 Kilometer vor dem Ziel war fast kein Durchkommen mehr. Da wir die Straßen am Strand längs fuhren, kamen wir kaum voran. Die gesamte Küste war abgesperrt und Soldaten sorgten dafür, dass sich auch niemand an den Strand traute.

      Wir kamen erst zur Kaffeezeit an der Staatengrenze zu Georgia an und ab da boten sich uns wieder die schrecklichen Bilder, die wir morgens schon im Fernsehen gesehen hatten. Wir hielten im nächsten Ort und berieten, was wir nun tun würden.

      In dem Ort, der nicht einmal 2 Kilometer vom Strand entfernt lag, war nichts von den Ankommenden zu sehen. Man merkte aber schnell, dass die Menschen große Angst vor den „Deutschen“ hatten. Es war die gleiche Angst, die wir damals hatten als die Flüchtlinge nach Deutschland kamen. Mein Mann und ich hatten Anfang des Jahres unseren Einbürgerungstest gemacht und waren nun Amerikaner. Aber in dem Cafe in dem wir saßen um etwas zu Essen, fühlte ich mich wie eine Ausländerin. Ich hörte den Menschen um uns rum zu, wie sie von ihren Ängsten über diese Menschen die dort in der Nacht angekommen waren sprachen. Am liebsten hätte ich versucht ihnen ihre Ängste zu nehmen, aber ich wusste nicht wie. Ich hatte damals selber Angst vor den Menschen, die aus einem völlig anderem Land und Kulturkreis zu uns kamen. Ich hatte Angst vor dem anderen Aussehen, vor der anderen Kultur, der Religion oder vor Terroranschlägen.

      Da wir in den nächsten Stunden sicher nicht mehr viel erreichen würden, gingen Lydia und ich durch den Ort, um Zimmer für die Nacht zu suchen. Die beiden Männer wollten versuchen an den Strand zu kommen, um eine Kommandozentrale oder etwas ähnliches zu finden. Boris fuhr mit meinem Wagen, da ich ja Getränke auf dem Wagen hatte. Wir hatten vereinbart, dass wir uns zwei Stunden später, wieder in dem Cafe treffen würden, doch Thorben und Boris kamen erst nach dreieinhalb Stunden wieder zurück. Ihre Gesichter waren kreidebleich. Boris sagte, dass er so ein Elend noch nie gesehen habe und er es sicher niemals vergessen wird. Thorben erzählte, das die Flüchtlinge, laut Aussage des Kommandeurs, definitiv keine Strahlung abbekommen haben. Das jetzt erstmal alle Leute registriert oder wenigstens Namentlich aufgelistet werden und dann irgendwie verteilt werden. Thorben hat gleich zum Kommandeur gesagt, wenn Freunde von uns und die Familie von mir dabei wären, er sie gerne mitnehmen würde und wir uns um sie kümmern. Der Kommandeur sagte, er hoffe, dass alle mit uns befreundet oder verwandt wären, das würde ein riesiges Problem lösen. Aber da solle sich die Regierung drum kümmern, er wäre nur für die Ordnung und Registrierung zuständig. Die Getränke durften Boris und Thorben einfach über den Zaun werfen. Boris erzählte, es habe ihn sehr erschüttert, dass Menschen sich wie Tiere auf die Getränke stürzten. Es gab wohl bis mittags nur Getränke an der Kommandozentrale und die Menschen die zu weit weg von der Kommandozentrale standen, wurden vom Militär nur mit Wasser besprüht. Es sind insgesamt 12334 Menschen lebend in der Nacht angekommen. Allerdings soll ein großer Pott mit mindestens 2000 Menschen gesunken sein. Die letzten drei Tage der Überfahrt hatten sie nichts mehr zu essen. Wasser konnten sie durch heftigen Regen gewinnen, der in 4 Nächten auf See runterging.

      Ich fragte Thorben, ob er jemanden erkannt habe. Aber er schüttelte den Kopf und sagte, dass es auch kein Wunder sei. Alle dort waren fürchterlich dreckig und von der Sonne gut braun gebrannt. Außerdem habe er niemanden unserer Freunde oder Familie seit über 5 Jahren gesehen.

       Thorben und ich riefen noch unsere Kinder an und erklärten ihnen, wie der Sachstand war und wie es weitergehen sollte. Dann versuchten wir schlafen zu gehen, da wir am nächsten Morgen wieder kommen durften, um unsere Leute per Namensliste raus zu suchen.

      Wir konnten Beide nicht einschlafen und so unterhielten Thorben und ich uns darüber, was passiert war. Wir listeten die Menschen auf, von denen wir hofften, dass sie unter den Flüchtlingen sind. Und wir sprachen darüber, was wir mit ihnen machen würden. Klar war, dass sie erstmal in unseren Bungalows unterkommen müssten. Für die Ferienkids, wollte