Heike Möller

Auch Vampire brauchen Liebe


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verwirrte es ihn.

      „Haben Sie Lust, nach dem Essen noch einen Blick in die Bibliothek zu werfen?“ Adolar versuchte sich selbst abzulenken.

      „Sehr gern, Herr Cerný!“

      Nicole Sanders stand mit offenem Mund in der Bibliothek und bekam keinen Laut heraus. Schriftrollen, Bücher und sogar einige kleine Gemälde standen hier ziemlich wahllos herum.

      „Ist es so chaotisch, wie Sie es sich vorgestellt haben?“, fragte Adolar Cerný in ihren versteiften Rücken.

      „Gnähmpfarghpüh-hm.“

      „Häh?“ Jannik blickte in das schöne Gesicht der Deutschen und sah vor Schreck geweitete Augen.

      „Das übersetze ich lieber nicht!“, erwiderte Nicole. Ihre Stimme schien noch heiserer zu sein als sonst.

      „Schlimmer!“, schloss Adolar mit einem resignierenden Seufzer.

      „Hat sich keiner Ihrer Vorfahren jemals die Mühe gemacht, irgendeine Art von System hier herein zu bringen?“ Nicole war völlig konsterniert.

      Jannik konnte sich einen Seitenblick mit erhobener Augenbraue in Richtung seines Mentors nicht verkneifen.

      „Offensichtlich nicht!“ Adolar war froh, dass die Frau mit dem Rücken zu ihm stand, sodass sie nicht sehen konnte, dass er hochrot angelaufen war.

      >Wenn ich in drei Monaten ein Regal schaffe, bin ich gut!<, dachte Nicole und schob resolut die Rolleiter an eines der Regale. Dann erklomm sie die Stufen und nahm vorsichtig einen verschlissenen Band heraus.

      Der Einband muss einmal senf-gelb gewesen sein mit roten Lettern. Davon war nicht viel übrig. Sachte pustete sie ein wenig Staub herunter und öffnete vorsichtig den Buchdeckel.

      „Eine Erstausgabe von 1897 von Bram Stokers Dracula. Wie kann man ….“ Nicole verkniff sich die Bemerkungen, die ihr einfielen und seufzte stattdessen. Vorsichtig stellte sie das Buch an seinen Platz zurück und ließ ihren Blick über die verschiedenen Buchrücken gleiten.

      „Ich weiß nicht, was noch zu retten ist und was nicht. Ich werde Umzugskartons, Luftpolsterfolie und jede Menge Seidenpapier benötigen.“ Nicole hatte eigentlich mehr zu sich selbst als zu den beiden Cernýs gesprochen.

      „Das werden wir am Montag in Ostrava besorgen.“ Adolars Stimme riss sie aus ihren Gedankengängen. „Ich möchte Ihnen etwas zeigen, Frau Sanders.“

      Nicole stieg die Rollleiter wieder herunter und gesellte sich neben dem Grafen und seinem Cousin. Adolar hatte vor einigen Tagen den kleinen Tisch in der Bibliothek frei geräumt und breitete jetzt ein altes Dokument darauf aus.

      „Was halten Sie davon, Frau Sanders?“

      >Ein Test!<, schoss es ihr durch den Kopf und sie nahm das Dokument in Augenschein.

      Das Pergament war alt, aber in sehr gutem Zustand. Die Schrift war schwarz mit Gold, Rot und Grün unterlegt. Die Zeichen waren gleichmäßig und doch erkannte Nicole einige kleine Schreibfehler, die man versucht hatte zu korrigieren. „Darf ich?“ Nicole blickte Adolar kurz in die grauen Augen.

      „Sicher!“

      Vorsichtig nahm sie das Dokument aus seinen Händen und hielt es gegen das Licht. Es war kein Wasserzeichen zu erkennen und das Pergament fühlte sich auch sehr dick an. Sachte schnupperte sie an dem Schriftstück, konnte nichts erkennen, was auf ein neueres Datum schließen ließ.

      „Das Papier ist schon mal alt und auch die Tinte sieht echt aus“, sagte sie ruhig und begann zu entziffern, was auf dem Dokument stand.

      „Die meisten würden erst einmal lesen, was in dem Dokument steht, bevor sie das Papier untersuchen“, wandte Adolar ein.

      Nicole bedachte Adolar mit einem Lächeln. „Ich bin nicht die meisten!“

      >Ich glaube, ich habe mich verliebt!< Jannik seufzte in die Gedanken von Adolar hinein, was dieser mit einem schiefen Seitenblick zur Kenntnis nahm.

      Nicole stöhnte kurz, als sie den Inhalt las und blickte Adolar mit großen Augen an. „Eine zeitgenössische Kopie der Krönungsurkunde von Vratislav dem II. von 1085! Wo haben Sie die denn her?“

      Adolar lächelte. „Das ist das Original!“

      Mit sehr spitzen Fingern hielt Nicole das Dokument tschechischer Geschichte von sich. „Unfassbar!“, flüsterte sie ehrfurchtsvoll. „Es ist wirklich echt!“ Sie bestaunte das Siegel Heinrich des IV., Kaiser des Heiligen Römischen Reiches.

      „Ja, ist es. Mein Urahn erkannte wohl den Wert des Dokumentes und hat es von Anfang an versiegelt und verschlossen gelagert.“

      Nicole erkannte den Namen Cerný als einer der Zeugen der Krönung. Vorsichtig rollte sie das Dokument wieder zusammen und übergab es ihrem Arbeitgeber.

      „Ihr Geschlecht ist wirklich alt, Herr Cerný!“

      Jannik musste sich rasch umdrehen. Er konnte oder wollte nicht anders, als die Doppeldeutigkeit in dem Satz zu hören, die aber von Nicole gar nicht so gemeint war.

      „Habe ich Ihren Test bestanden?“ Nicole hatte Janniks Belustigung nicht bemerkt.

      Überrascht zog Adolar seine linke Augenbraue hoch, dann schmunzelte er anerkennend. „Ja, haben Sie. Sondra hat nicht übertrieben, als sie Ihre Fähigkeiten anpries!“

      Nicole schlug sich die flache Hand gegen die Stirn. „Himmel! Ich wollte doch Sondra anrufen!“

      Adolar zuckte zusammen. Er wusste, dass Sondra im Moment definitiv unerreichbar sein würde. Er selbst wartete auf einen Anruf von ihr, um sie aus Polen abholen zu können, sobald sie wieder auftauchen würde.

      „Bitte, sag´ Nic nicht, dass ich verschwunden bin. Sie weiß nichts von Vilgard und dem allem. Ich möchte nicht, dass sie sich Sorgen um mich macht. Nic hat schon viel in ihrem Leben durchleben müssen. Sage ihr nichts!“

      Adolar hatte, die bittende, gehetzt klingende Stimme Sondras im Ohr, als er vor ein paar Tagen mit ihr telefoniert hatte.

      >Adolar, sagst du ihr, dass ihre Freundin vermisst wird?< Janniks Gedanken lösten ihn aus seiner Starre.

      >Nein. Im Moment noch nicht.<

      „Also, was meinen Sie? Wie lange werden Sie brauchen, um eine Übersicht zu haben?“

      Nicole starrte Adolar ungläubig an. Ihr Blick sagte: >Du machst wohl Witze?<, aber ihre Zunge bemühte sich, das Ganze ein wenig höflicher auszudrücken.

      „Ich werde mir erst einmal ein Programm erarbeiten, mit dem ich hier ein System reinbringe. Dann sortiere ich die Schriftstücke und Bücher nach verschiedenen Kategorien und katalogisiere sie gleichzeitig.“

      „Welche Kategorien?“, wollte Jannik wissen. Nicole schien einen analytischen Verstand zu haben und das machte ihn neugierig.

      „Kategorien wie: >Ist noch in Ordnung<, >muss dringend restauriert werden<, >kann vielleicht noch restauriert werden< und >unrettbar verloren<!“ Nicoles heisere Stimme unterstrich ihre trockenen Worte noch und ihre dunkelblauen Augen blickten anklagend in die von Adolar und Jannik.

      >Die hat Schneid, oder?< Jannik konnte sich die Bemerkung nicht verkneifen.

      >Ich habe sie nicht hergeholt, damit wir nett plaudern. Wenn sie ihre Arbeit versteht, werde ich ihre Frechheiten ertragen.<

      Jannik kicherte und Nicole blinzelte ihn verwundert an. „Ähm, mir ist nur etwas eingefallen. Entschuldigung.“

      Warnend blickte Adolar seinen Blutsverwandten an.

      „Sie sind mir übrigens noch eine Antwort schuldig, Herr Cerný.“

      Überrascht wendete sich Adolar wieder Nicole zu. „Ach ja?“

      „Die Frage, wie Sie das mit Pumuckel gemacht haben. Sie sagten lediglich, dass Sie mental Kontakt mit ihm aufgenommen haben.