Patrice Parlon

Das Böse bleibt!


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Das muss Coline ganz alleine tun. Ich kann ihr das nicht abnehmen!“ Hinter ihr blieb es still, so drehte sie sich ihnen zu. Die traurigen Gesichter weckten ihr Mitleid und sie brummte: „Was soll ich denn machen? Helft mir, aber ich werde nicht zum Opfer!“ Mit diesen Worten ließ sie ihre Ahnen stehen. Loana ging geradewegs in den Foltersaal. Dort befreite sie ihre Hand von der klebrigen Fessel. Sie durchwühlte die Folterinstrumente und nahm die dickste Peitsche heraus. In ihrem Griff versteckte sie den Ring. Das sollte Johanna zeigen, dass sie verloren hatte. Jetzt musste sie nur noch dafür sorgen, dass es auch ganz sicher auffiel. Das war nicht schwer, denn mittlerweile suchten alle nach ihr. Sie brauchte nur zu warten. David fand sie und rief sofort nach seinen Komplizen. Die kamen regelrecht angerannt. Loana tat, als wollte sie etwas vor ihnen verstecken. So bekam sie ihre ganze Aufmerksamkeit. Van Dörren riss die Peitsche an sich. Er sah den aufgedrehten Griff und den Ring aufblitzen. Loana tat, als fühlte sie sich ertappt. Sie fiel flehend auf die Knie. Das ließ die Verbrecher gierig grinsen. Endlich erschien auch Johanna. Sie sah ihre Gefangene auf dem Boden kauern und fragte, was los war. Van Dörren lief ihr entgegen und überreichte ihr den Ring. Sofort leuchteten ihre Augen voller Schadenfreude. Sie fühlte sich überlegen. Johanna spottete: „So einfach entkommst du nicht! Du hast ihn lange genug getragen, um verflucht zu sein und nun wirst du Colines Platz einnehmen!“ Sofort zwang sie Loana auf den Altar. Diesmal half Johanna persönlich nach, damit sie endlich begriff, was ihr bevorstand. Sie schlug ihr mehrmals heftig ins Gesicht und brüllte, dass sie niemals wieder frei sein würde. Loana kniff die Augen zu. Währenddessen holte Johanna die NSDK. Sie war sich so sicher, dass ihr neues Opfer nicht sterben würde, aber Loana war noch längst nicht verflucht. Das verdankte sie Coline! Sie hatte Johanna erfolgreich getäuscht. Das musste sie ihr nur noch begreiflich machen. Bevor Johanna zuschlagen konnte, ging Coline dazwischen. Sie schrie aus voller Kehle: „Du wirst sie umbringen!“ Johanna riss die Augen auf: „Was soll das heißen? Sie hat deinen Ring einen ganzen Tag am linken Mittelfinger getragen. Sie muss also verflucht sein!“ Coline schlenderte um den Altar herum und spöttelte: „Bist du dir absolut sicher? Denke genau nach! Okay, sie hat einen Ring getragen. Aber war es wirklich meiner? Ich frage deshalb, weil du wieder einmal etwas Entscheidendes vergessen hast!“ „Du kannst reden!“ „Richtig! Wäre es mein Ring, würde ich keinen Ton raus kriegen. Das hätte dir schon längst klar sein müssen! Immerhin habe ich auch mit dir gesprochen, als er noch an ihrem Finger steckte. Du kannst sie also nicht lange foltern. Sie würde zu schnell sterben!“ Johanna platzte fast vor Wut. „Wo ist der Ring? Du trägst ihn immer noch! Stimmt's?“ Coline gab ihr ‚zwei Daumen hoch‘ für diese Erkenntnis. Das machte sie aber nur noch zorniger. Sie plärrte augenblicklich nach ihren Handlangern. David und Van Dörren stürmten heran. Johanna kreischte: „Nehmt diesem Miststück den echten Ring weg!“ Coline blieb ungerührt stehen und ließ die Attacke über sich ergehen. Die Männer stellten verblüfft fest, dass sie gar keinen Ring trug. Johanna stieß David weg und brüllte: „Wo zum Teufel ist er?“ Da entdeckte sie eine verräterische Wölbung unter der künstlichen Haut. Ohne zu zögern rupfte sie den Finger ab. Coline zuckte nicht einmal, denn sie fühlte keinen Schmerz. Johanna zerpflückte das Silikon, fand aber nur ein Stöckchen und etwas Modelliermasse darin. Auch dieser Ring war eine Attrappe! Ihre Verwirrung stieg. Coline wollte so gerne grinsen, denn sie hatte Johanna matt gesetzt. Leider erlaubte ihr starres Gesicht keine Emotionen. Nichtsdestotrotz höhnte sie: „Du denkst doch nicht ernsthaft, dass ich so blöd bin?! Eines ist klar, der Ring wirkt nur am richtigen Finger, aber wo steht geschrieben, dass er am Rest des Körpers hängen muss?“ Das ließ nur einen Schluss zu, Colines verdammter Knochen war samt Ring irgendwo versteckt. Wutentbrannt schnappte sich Johanna einen Riemen und drosch ihn auf Loanas Rücken. Aber ihr Opfer verkniff sich jeden Schrei, obwohl es beinahe unerträglich war. Schon traf sie der zweite Hieb. Loana blieb dennoch stumm. Ihr war der Schmerz aber deutlich anzusehen. Johanna stutzte. Sie konnte nicht recht verstehen, was da vor sich ging. Nicht einmal Coline hielt es für nötig zu helfen. Johanna behielt sie genau im Blick. Verwirrt fragte sie: „Willst du nicht deiner Pflicht nachkommen? Weißt du nicht mehr, was passiert?“ Coline war es nur allzu bewusst. Sie nahm die Strafe für ihre Ignoranz eher in Kauf, als Johanna einen Gefallen zu tun. Immerhin ging es nur um sie. Die anderen waren ihr doch vollkommen egal. Schon traf der nächste Hieb. Dennoch blieb sie stumm. Das verunsicherte Johanna. Sie ging näher heran und zog Loanas Shirt hoch. Die rot leuchtende Haut bewies eindeutig, dass die Schmerzen furchtbar sein mussten. Wie konnte sie so lange durchhalten, ohne zu heulen? Johanna sah immer wieder zu Coline hin, die neben dem Altar stand. Die Folter war augenblicklich vorbei. Dieses Szenario musste Johanna erst einmal verdauen. Es wollte ihr einfach nicht in den Kopf, wie Loana diese Pein aushielt. Sie erwartete alles, aber nicht so etwas. Sie verschwand mit ihrem Gefolge und ließ die beiden allein. Coline sank auf die Knie und sah in Loanas Gesicht. Bedauernd fragte sie: „Was sollte das? Sie wird sich nicht lange täuschen lassen. Du musst einen anderen Weg finden.“ Loana erwiderte trocken: „Sie wird damit aufhören, das verspreche ich!“ Coline schüttelte den Kopf. „Sie findet andere Mittel. Du kannst nur bestehen, wenn du endgültig verflucht bist. Es ist alles eine Frage der Zeit!“ Coline sah keine Chance mehr, aus diesem Teufelskreis zu entkommen. Auch wenn sich Loana den Fluch vom Leibe hielt, frei wäre sie auf keinem Fall. Coline wollte gerade gehen, da rief Loana: „Einen Hinweis! Gib mir nur einen echten Hinweis!“ Coline drehte sich um. Sie glaubte, nicht richtig zu hören. Hatte sie doch noch nicht aufgegeben? War sie wirklich bereit, gegen Johanna anzutreten? Loanas erwartungsvoller Blick sagte alles. Also tat ihr Coline den Gefallen. Sie sagte beinahe vorwurfsvoll: „Du kannst von mir fast alles verlangen, nur nicht, meinen Tod zu offenbaren. Wenn die Ratte wüsste, wie sie mich schlimmer als je zuvor quälen könnte, sie würde es tun.“ Natürlich hakte sie nach. Coline sah sich gründlich um, ehe sie klar und deutlich sagte: „Jedes Symbol gehört zu einem von uns. Wenn du einem bestimmten folgst wirst du den Ring finden. Wenn du ihn hast, musst du ihn zerstören! Denn wenn sie dich verflucht, wäre er danach das größte Druckmittel gegen mich. Mein Ring an ihrem Finger macht mich absolut schutzlos! Ich könnte noch immer nicht sterben, aber ich würde jede weitere Folter bis ins Detail spüren, ganz gleich wen sie foltert. Sollte sie sich dann entschließen, den Bann zu leugnen, müsste ich die extremen Schmerzen garantiert ertragen. Ich hätte gar keine Chance zu entkommen!“ Loana sah sie ungläubig an. Sie wusste ja nicht, was das bedeutete. Also versuchte Coline, es zu erklären. Nur fehlten ihr die passenden Worte. Sie wollte Loana nicht zu sehr mit dem Fluch belasten. Deshalb zog sie nur vage Vergleiche. Sie erklärte ihr, wie furchtbar die NSDK wirklich war und wie oft sie sie schon zu spüren bekam. Schnell erkannte Loana Colines Sorge und schwor, Stillschweigen zu wahren. Coline musste auf ihr Wort vertrauen. Glauben konnte sie es dennoch nicht. Immerhin wurde sie schon mehr als einmal verraten. Warum sollte es gerade bei ihr anders sein? Nun lag es an Loana, den nächsten, entscheidenden Schritt zu tun.

      Coline war kaum aufgestanden, da hörte sie Johanna kreischen: „Jetzt kannst du was erleben!“ Ihre Absätze klapperten über den steinernen Boden und sie forderte lautstark den Ring. Coline rannte los, denn sie wollte ihn keinesfalls hergeben. Plötzlich tauchte David auf. Er packte sie und zerrte sie an sich heran. Coline wehrte sich mit aller Kraft, leider vergebens. Schon erschien Johanna. Sie grinste überlegen, griff nach der NSDK und drohte, Loana zu zerfetzen, wenn sie den Ring nicht schnellstens bekam. Coline konnte nicht anders, als um Nachsicht zu flehen, aber Johanna stierte sie nur an und schüttelte den Kopf. Coline warnte: „Der Fluch wird dir mehr schaden als mir! Er wird dich nicht umbringen, aber du wirst endlos leiden.“ Natürlich glaubte sie ihr kein Wort. Immerhin hatte sie etwas ganz anderes gehört. Also machte sie weiter. Coline blieb kein Ausweg. Mit dem Moment, da Johanna den Fluch endgültig annahm, gab es kein Zurück mehr. Coline jammerte und lamentierte, bis es ihre Peiniger leid waren und sie einsperrten. So verfolgte sie unwillkürlich mit, wie weit Johanna zu gehen bereit war. Sie stellte Loana ein Ultimatum. Entweder brachte sie ihr den echten Ring oder sie starb unter furchtbaren Schmerzen. Loana verstand zwar nur einen Bruchteil dieser Aussage, aber sie nahm sich fest vor, den Ring zu finden und zu vernichten. Johanna musste aufgehalten werden! Das bedeutete zwar, dass Coline dann verstummte, dennoch war es kein Grund, der dagegen sprach.

      Es dauerte nicht lange und David erschien mit Van Dörren. Sie sollten Loana in Colines Zelle bringen und ihr einen Vorgeschmack auf die kommenden Wochen geben. Loana wehrte sich nicht. Sie musste standhalten, auch ohne den Schutz des Fluches. So lag sie auf der alten Matratze und starrte in die Dunkelheit.