Patrice Parlon

Das Böse bleibt!


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Tätowierung entsprach und erkundete diesen Gang. Nach zahlreichen Kreuzungen fand sie eine weitere Zelle. Diese unterschied sich kaum von ihrer. Es fehlte nur das Fenster und die Einrichtung. Am Boden lagen vier Ketten und an einer Wand hingen noch zwei. Sie erlaubten, einen Gefangenen entweder am Boden ausgestreckt oder stehend zu fesseln. Loana sah sich genau um und entdeckte ein Loch in der Wand. Es befand sich ziemlich weit oben. Etwas blitzte im Licht ihrer Taschenlampe auf. Als sie danach griff fühlte sie ein metallisches Kästchen. Sie nahm es an sich und untersuchte den Inhalt. Darin lagen eine leere Ampulle, ein kleiner Schlüssel und ein Papier mit einer sehr langen Zahlenreihe, die in Zweiergruppen geteilt war. Die Zahlen reichten von 00 bis 26 in verschiedenen Kombinationen. Ganz am Ende stand: 01=A! Das war der Hinweis auf die Lösung des Zahlencodes. Jeder Rätselbegabte konnte den Text damit sehr schnell entziffern. Die Lösung ergab einen Auftrag. Loana sollte herausfinden, zu welchen Bedingungen Johanna verflucht wurde. Das Rätsel sagte ihr auch, wo das Pergament mit dem genauen Wortlaut ihres Fluches zu finden war. So kehrte sie zur Truhe zurück. Sie räumte sie komplett aus und tastete den Boden ab, denn laut Rätsel war es darin versteckt. Leider ohne Erfolg. Somit versuchte sie, diesen schweren Klotz umzukippen. Dazu brauchte sie sehr viel Kraft. Schließlich suchte sie sich einen langen Hebel und stemmte sie nach oben. Sie verrenkte sich fast, beim Versuch darunter zu sehen, aber sie entdeckte eine Lade. Mit einem gewaltigen Ruck warf sie die Truhe um. Der Aufschlag donnerte als Echo durch den Saal. Schnellstens machte sie sich daran, das Pergament zu finden und hatte Glück. Sie nahm es an sich und verschwand aus dem Saal. Sie brauchte nun ein ruhiges Plätzchen, um den Text zu lesen. Dafür versteckte sie sich tief in den Katakomben.

      Schon nach wenigen Zeilen erfuhr sie, warum ihr Johanna das Leben zur Hölle machen wollte. Sie hatte gar keine andere Wahl. Colines Rückkehr in dieses Gefängnis hatte sie dazu verdammt. Nur ihretwegen gab es kein Ende. Loana las auch, wieso sie unbedingt verflucht werden sollte. Es diente einzig und allein einem Grund. Johanna konnte Colines Fluch erst für sich und vor allem gegen sie nutzen, wenn der letzte Nachkomme vollends unter diesem furchtbaren Bann stand. Plötzlich hörte sie Colines Stimme in ihrem Kopf: „Lass nicht zu, dass sie mich beherrscht. Sie würde mich pausenlos quälen.“ Loana versuchte noch herauszufinden, auf welche Weise sie es verhindern könnte, aber Coline reagierte nicht mehr. Ohne den kleinsten Tipp ging Loana zurück in ihre Kammer und schlief traumlos ganze drei Stunden. Van Dörren weckte sie unsanft und brachte sie in Johannas Büro. Dort sollte sie auf einem Stuhl abwarten. Minutenlang blieb sie allein. Das zehrte an ihren Nerven. Sie fürchtete Johannas Wut. Damit lag sie gar nicht so falsch. Plötzlich flog die Tür auf! Johanna stürmte blindlings herein und schrie sofort: „Was erlaubst du dir?“ Loana riss erschrocken die Augen auf und fragte verstört: „Was hab ich denn gemacht?“ Johanna verzog ihr Gesicht und knurrte zornig: „Wieso wühlst du in meinen Sachen herum?“ Loana versuchte stark zu bleiben und erwiderte: „Ich war einfach neugierig. Ich will nur wissen, was mich erwartet!“ Johanna hielt kurz inne. Dann zischte sie: „Du bist also ganz wild darauf? Ab in den Saal!“ Van Dörren führte sie durch das Gemäuer. Stufe um Stufe ging es unter die Erde. Den langen Gang entlang und direkt zum Altar. Johanna erschien mit der NSDK. Einer Peitsche mit neun Ledersträngen und hunderten Dornen. Loana bekam Angst, als Johanna näher trat und eindringlich warnte: „Überlege dir genau, wo du deine Nase rein steckst! Du könntest es bereuen. Und zwar schneller, als du denkst. Du hast nicht die Kraft, um diese Strafe zu ertragen. Noch nicht!“ Das war mehr als eindeutig. Loana hatte nur zwei Möglichkeiten. Entweder bettelte sie um Aufschub oder sie vertraute darauf, dass Coline dazwischen ging. Sie brauchte nicht lange zu überlegen, ihre Wahl fiel auf Coline. Die war schließlich schon fast ein Geist und konnte nicht mehr verletzt werden. Sie würde sich schützend dazwischen stellen. Die Bedenkzeit war vorbei und Loana musste ihre Entscheidung bekannt geben. „Ich werde nicht dein nächstes Opfer! Wenn du mich tot prügeln willst, dann mach es! Dann hat das widerliche Spiel endlich ein Ende. Es wird keine Nachkommen mehr geben und du bleibst auf deinen Rachegelüsten sitzen.“ Johanna grinste überlegen. Sie nahm es gelassen und gab den Befehl zum ersten Schlag. David griff nach der NSDK, ging in Position und Van Dörren entblößte Loanas Sitzfleisch. Dann gab ihr Johanna noch eine allerletzte Chance. „Ich will nur, dass du mir Coline auslieferst, dann wirst du verschont!“ Loana schloss die Augen und murmelte: „Ich denk nicht dran!“ Sie spannte jeden Muskel an, aus Furcht vor dem ersten Hieb. Johanna zögerte aber noch. Sie wusste nicht, was sie davon halten sollte. Keine der Anderen benahm sich so. Sie gaben viel schneller auf. Loana riss sie aus den Gedanken. „Passiert heute noch was oder liege ich nächste Woche noch hier rum?“ Diese freche Bemerkung ließ Johanna das Blut in den Adern kochen. Sie wollte schreien, aber sie verkniff es sich. Sie wusste, dass sie die Folter mit der NSDK nicht überleben würde. Allein deshalb machte sie einen Rückzieher. Ein kurzes Triumphgefühl überkam das neue Opfer. Sie hatte Johanna in die Schranken gewiesen, ohne über die Folgen nachzudenken. Es gab schließlich andere Mittel und Wege, um das Ziel zu erreichen. Johanna machte es kurz. Sie befahl Van Dörren, den Riemen zu holen und ihr fünfzig Hiebe zu verpassen. Doch bevor er seinen Befehl ausführen konnte, griff Johanna selbst nach der NSDK. Sie trat an Loana heran. Ein letztes Mal fragte sie, ob sie Coline hintergehen würde. Als sie wieder verneinte, holte sie aus und schlug zu. Blitzschnell bohrten sich die Dornen in Loanas Fleisch und blieben stecken. Sie schrie aber nicht. Der Schlag war zwar schlimm, doch erst das Rausziehen brachte die wahre Qual. Johanna ließ sich sehr viel Zeit damit. Loana beobachtete sie aus den Augenwinkeln. Sie schien nach etwas zu suchen. Offensichtlich erwartete sie jemanden. Das konnte eigentlich nur Coline sein. Die kam aber nicht. Minuten wurden zur Ewigkeit. Jeder suchte den Saal nach dem ersten Opfer ab, ohne sie zu entdecken. Johannas Zorn stieg, bis sie quer durch den Saal brüllte: „Willst du, dass ich sie totschlage? Willst du sie ernsthaft leiden lassen?“ Aber es blieb still. Van Dörren stand ungeduldig neben dem Altar und wartete auf Johannas Befehl. Die rührte sich aber keinen Millimeter. Sie suchte noch immer nach Coline. Er fragte, wie es weitergehen sollte und sie gab zornig den Befehl zuzuschlagen. Er hielt den Griff der NSDK so fest er konnte und rupfte die Bänder der Peitsche aus Loanas Hintern. Ihr schauerlicher Schrei donnerte durch den Saal. Erst in diesem Moment zeigte sich Coline. Sie tauchte direkt hinter Johanna auf. Ihre Worte waren ruhig, doch bedrohlich: „So stehen wir also wieder am Anfang!“ Johanna drehte sich erschrocken um. Sie erwiderte: „Wieso bist du nicht stumm?“ Coline packte Johannas Kehle und stieß sie zu Boden. Ein kräftiger Tritt in ihre Rippen ließ sie fluchen. Johanna schwor, dass Loana noch mehr leiden würde, als alle anderen zusammen. Coline ließ sich davon nicht beeindrucken. Sie warnte nur: „Ich werde euch alle bestrafen, wenn ihr nicht endlich aufhört!“ Sogleich drosch Van Dörren mit dem Riemen auf Loana ein. Sie schrie, heulte und flehte um Gnade. Aber er hörte nicht auf. Im Gegenteil. Je mehr sie bettelte, umso härter schlug er zu. Wütend bremste ihn Coline. Voller Hass keifte sie: „Willst du dein eigen Fleisch und Blut ermorden? Schon wieder?“ Diese Worte weckten Loanas Sinne. Sie versuchte das Gehörte zu begreifen und kam zu dem Schluss, dass er ihr leiblicher Vater sein musste. Das entsprach aber nicht der Wahrheit, denn er war Jessicas Erzeuger und nur deshalb mit Loana verwandt. Sie wollte es genau wissen, bekam aber keine Gelegenheit um nachzufragen. Johanna wusste längst, wie sie Coline vertreiben konnte. Sie sorgte brutal dafür, dass auch alle anderen verschwanden. Wieder allein mit ihrem neuen Opfer, setzte sie ihre Befragung fort. Sie versuchte, sie einzuschüchtern und stellte den Verrat als einzigen Ausweg dar. Doch kam sie nicht damit durch. Loana wusste zwar nicht viel über die Vergangenheit, aber sie fühlte, dass es einen ganz anderen Weg aus diesem Elend gab. Ihr Widerstand trieb Johanna zur Weißglut. Sie konnte nicht verstehen, warum ihre Drohungen nicht fruchteten. Wusste Loana etwas, das alle anderen übersahen? Diese Frage quälte sie fortan. So vergaß sie ihr eigentliches Ziel. Ab diesem Zeitpunkt stand sie unter ständiger Beobachtung. Johanna ließ sie nicht mehr allein umher laufen, achtete dabei aber nicht wirklich auf ihre Taten. So entging ihr einiges. Vor allem, wie sich Loana immer intensiver mit dem Fluch beschäftigte und wie wenig Einfluss er auf sie hatte. Eigentlich hätte es ihr auffallen müssen, aber sie bemerkte es nicht.

      In der Nacht erfuhr Loana etwas mehr, denn Coline erschien in ihren Träumen und zeigte ihr Teile der wahren Geschehnisse. Das brachte Loana zwangsläufig auf den Gedanken, Selbstmord zu begehen. Das könnte das Blutbad auch beenden, denn dann gäbe es keine neuen Opfer mehr. Kaum hatte sie den Gedanken zu Ende gedacht, hörte sie mehrere Frauen sagen: „Und wir? Sie werden uns vergewaltigen, wie sie es schon seit Jahrzehnten tun!