Patrice Parlon

Das Böse bleibt!


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Sie fanden sie schon einmal, da würde ein zweites Mal keine Hürde sein. Trotz aller Widersprüche plante sie weiter. Sie wollte sich nun jedem Befehl fügen und alles brav erledigen. Dadurch konnte sie Johannas Rache hinauszögern. So die Theorie. Die Praxis sah aber vollkommen anders aus. Johanna hatte in all den Jahren dazugelernt. Das bewies sie ihr auch sehr schnell. Schon am nächsten Tag brachten sie Loana tiefer in die Katakomben. Dort unten sollte sie das Gleiche erleben wie ihre Ahnen. Sie wurde in eine Kammer ohne Fenster, ohne Bett und ohne Chance auf Hilfe gesperrt. Coline konnte ihr diesmal nicht beistehen. Ehe die Tür zuflog, baute sich Johanna vor ihr auf. Sie lachte gehässig und triumphierte: „Was hat deine Oma gesagt? Wenn ich ihren Ring trage, ist sie schutzlos! Wie wäre es, wenn ich den Ring selbst finde und sie wieder zum Opfer mache? Dich brauche ich dann nicht mehr. Ich könnte dich sogar frei lassen. Ich müsste dich nicht einmal mundtot machen. Kein Mensch würde dir das hier glauben. Was hältst du davon?“ Loana wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie kannte nur die Kurzfassung der Geschichte und konnte allenfalls erahnen, was ihr wirklich bevorstand.

      Die Nacht wurde eisig. Die Kälte zehrte an ihren Kräften und sie wünschte sich den Tod. Da hörte sie ein kurzes Lachen. Dieses Geräusch jagte ihr einen Schauer über den Rücken. Sie rief in die Dunkelheit: „Wer ist da? Antworte!“ Doch es blieb still. Minutenlang kein Geräusch. Dann fiel etwas auf den Boden. Loana dachte sofort an den Ring und lag gar nicht falsch damit. Es war aber nicht der verfluchte Ring. Plötzlich sprach ein Mann zu ihr: „Nimm ihn und dir wird geholfen. Du wirst sofort merken, dass es aufwärts geht.“ Loana fragte: „Wer bist du?“ Doch er war längst wieder verschwunden. Nun suchte sie den Boden ab. Sie fand den Ring in einer Ecke und nahm ihn in die Hand. Sie ließ ihre Finger an ihm entlang gleiten. Da spürte sie, dass er eine andere Form als der Fluchring hatte. Nur deshalb war sie bereit, ihn an ihren Finger zu stecken. Sie führte ihn an den Ringfinger der linken Hand. Augenblicklich rutschte er ihr weg. Loana versuchte es noch einmal. Wieder ohne Erfolg. Es war beinahe, als wehrte er sich gegen diesen Finger. So überließ sie ihm die Wahl. Sie drehte ihre Handflächen nach oben und legte ihn genau in die Mitte. Reglos saß sie da und fühlte, wie er sich seinen Weg suchte. Er rollte in ihre rechte Hand und blieb am Mittelfinger liegen. Da gehörte er also hin! Loana schob ihn an seinen Platz. Sofort dröhnte ein tiefes Knurren durch die Zelle. Nun lernte sie Arantino kennen. Er war ein zotteliger Dämon, groß wie ein Pferd, kräftig und gefährlich wie ein Tiger, doch auch sanft und fürsorglich. Erschaffen von Coline, ausgestattet mit verschiedenen Fähigkeiten. Er konnte unter anderem ungesehen umherlaufen, Wunden heilen und zur Flucht verhelfen. Loana strich ihm durch sein weiches, langes Fell. Er war so warm. Das ließ sie die Kälte einen Moment vergessen. Sie schmiegte sich an ihn und bat: „Wärme mich. Bleib bei mir.“ Arantino legte sich gehorsam neben sie. Sie kuschelte sich an seinen kräftigen Leib und schlief sofort ein. Wenig später sprang die Tür auf. Loana schreckte hoch. Sie suchte nach ihrem Beschützer, der war aber nicht mehr da. Vor ihr stand Johanna. Zornig brüllte sie durch die Kammer: „Das mache ich nicht noch einmal mit! Fünfmal reicht völlig!“ Loana wusste nicht, was sie meinte, erfuhr es aber schneller als ihr lieb war. Johanna zerrte sie heraus und prügelte sie regelrecht durch die Gänge in den Foltersaal. Wehrlos landete sie auf dem Altar. Um sie herum war alles blutig. Es musste ein Massaker gegeben haben, denn das stammte sicher nicht von einer einzelnen Person. Ehe Loana einen klaren Gedanken fassen konnte, stand Van Dörren neben ihr. In seiner Hand hielt er eine weitere Variante der NSDK. Zweifellos sollte sie diese Peitsche spüren, doch zuvor musste sie sich zahllose Verbrechen anhören, die sie angeblich an Johanna verübte. Loana sah tiefe Risse in ihrem schwammigen Leib. Sie bluteten unaufhörlich und färbten den Boden rot. Sofort versuchte Loana, ihre Unschuld zu beweisen. Aber alles Wehren nützte nichts. Johanna wusste von vorn herein, dass nicht Loana sondern Arantino schuld war. Aber ihr Pakt mit dem Tod schrieb vor, dass sie Colines Erben strafen musste.

      Schweigend zeigte sie auf Van Dörren, der den Peitschengriff fester packte. Er ließ dieses Folterinstrument durch die Luft zischen. Noch ehe die Bänder Loanas Leib trafen, erschien Coline in Arantinos Begleitung. Sie sah Van Dörren nur an und er ließ die Peitsche los. Sie flog im hohen Bogen an die Wand. Siegessicher ging Coline auf Johanna zu. „Wieder und wieder! Warum lässt du es nicht einfach sein? Ist dir der Tod nicht lieber?“ Johanna verzog ihr Gesicht und knurrte: „Du bist zu feige, uns zu erlösen! Es hängt doch alles nur an dir!“ Coline trat einen Schritt an sie heran. „Wer sagt das? Du bist genauso schuld! Wer konnte denn seine Finger nicht vom Fluch lassen? Du hättest längst tot sein können, genau wie deine Lakaien. Gib nicht mir die Schuld, dass ihr immer noch hier seid.“ Loana beobachtete die Beiden ganz genau. Sie dachte ganz fest daran, wie ihr Arantino zur Freiheit verhelfen könnte und er gehorchte. Während Coline und Johanna zankten, löste er ihre Fesseln. Unbemerkt brachte er sie aus dem Saal und führte sie tief ins Labyrinth. Dort ließ er sie allein zurück. Loana hatte nun Gelegenheit, das Geschehene zu überdenken. Sie spürte deutlich, dass in diesen Gewölben die Lösung des Rätsels steckte. Irgendwo in einem der Gänge. Aber in vollkommener Finsternis war es schwer, den richtigen Weg zu finden. Da bekam sie Hilfe von ungeahnter Seite. Carina, Colines Enkelin sprach zu ihr. Sie dirigierte sie durch die Gänge in einen anderen Saal. Er ähnelte sehr stark dem Ersten, war aber viel größer und unheimlicher. Zahllose Fackeln brachten etwas Licht. Trotzdem hüllte sich vieles in Schatten. Loana entdeckte am anderen Ende des Saales das gigantische Kreuz aus ihrem Albtraum. Wieder hing etwas daran. Sie ging darauf zu und erkannte einen blutenden Körper. Er kam ihr bekannt vor. Dieser Frau wurde eine römische Fünf quer über den Rücken geritzt. Somit war sie Loanas leibliche Mutter.

      Ein Schrei schallte durch den Saal! Loana fuhr zusammen. Sie war bereit, loszurennen, doch noch stand sie wie angewurzelt da. Der erste Schock war überwunden, da entschied sie, die arme Frau herunter zu holen. Sie dachte mit Grauen daran, dass sie auch einmal dort hängen würde, wenn sie nicht schleunigst einen Ausweg fand. Loana gelang es, ihre Mutter auf den Altar zu legen. Sie sah die grauenvollen Wunden und fand einige Stacheln darin. Sie ahnte von welchem Folterinstrument sie stammten und schauderte beim Gedanken daran. Dann wanderte ihr Blick über den ganzen Körper und verweilte an der linken Hand, der der Mittelfinger fehlte. Aus Neugier fragte sie: „Warum haben Sie den Finger nicht mehr?“ Patty sah zu ihr auf: „Das war der einzige Weg, nicht völlig verflucht zu werden. Jetzt können sie mich nicht mehr töten, aber immer noch quälen. Ich will nicht mehr, hilf mir!“ „Und wie soll ich das anstellen?“ „Zwinge Coline, den Fluch zu brechen, dann ist es vorbei!“ Patty verlor das Bewusstsein und Loana war auf sich gestellt.

      Sie versuchte, sich an die Hinweise zu erinnern. Coline sprach von Symbolen. Die konnten doch nicht schwer zu finden sein. Vielleicht half ihr der neue Ring. Er gehörte sicher auch zu diesem scheußlichen Spiel und könnte sie möglicherweise ans Ziel bringen. Die Idee kam ihr jedoch viel zu einfach vor. Wenn es so simpel wäre, dann hätte es nicht schon so viele Opfer gegeben. Sie nutzte ihren Vorsprung, um mehr Anhaltspunkte zu finden. Sie nahm sich eine Fackel und leuchtete in jeden Winkel. Rechts und links im Saal gab es Zellen. In ihnen lagen Knochenreste. Dazu noch einige Stofffetzen. Jeder weitere Blick in diese Pferche trieb das nackte Grauen durch Loanas Hirn. Sie kehrte ihnen den Rücken und ging zurück zum Altar. Erschrocken stellte sie fest, dass Patty nicht mehr da war. Nur eine frische Blutspur führte vom Altar weg, direkt auf die Wand zu. Loana sah sich den Altar an. Die Ketten darauf waren vom Rost zerfressen. Ein kurzer Ruck und sie zerfielen. Die Reliefs an den Seiten erzählten Passagen aus ihrer Familiengeschichte. Dort bekam sie einen tieferen Einblick in Johannas Methoden. Je länger sie die Szenen betrachtete, umso deutlicher wurden die Details. Neben einigen Personen tauchten Schriftzeichen auf. Es waren die gleichen, wie auf der Truhe. Diesmal standen sie aber neben bekannten Gesichtern. Alle der Bande waren vertreten. Johanna, Van Dörren, David, Andreas, und Maxwell. Da es fast immer zwei Zeichen waren, mussten es Initialen sein. Nur neben Van Dörren gab es drei Symbole. Grübelnd saß sie vor dem Altar und starrte die Bilder an. Sie konnte noch so lange darüber nachdenken. Sie kam nicht weiter, denn die Symbole allein nützten ihr nichts. Sie musste herausfinden, welches das Richtige war, welches zum Ring führte. Also versuchte sie, die Zeichen zu deuten. Der „Dreizack“ neben Johannas Gesicht bedeutete wohl J und das runde E stand für F, da ihr Nachname laut Johannas Buch Fischer war. Allerdings passte das T von Colines Nachnamen nicht zum T von Andreas‘ Nachnamen. Auf diese Weise fand Loana zehn von dreizehn Buchstaben heraus. Die restlichen Zeichen konnte sie nicht hundertprozentig entziffern. Das