Charles Keller

Strohblondchen


Скачать книгу

1474d57-222d-58e4-b737-113f22d7f65c">

      Charles Keller

      Strohblondchen

      Vorsicht! .... kein Kindermärchen!

      Dieses ebook wurde erstellt bei

      

      Inhaltsverzeichnis

       Titel

       Kapitel 1

       Kapitel 2

       Kapitel 3

       Kapitel 4

       Kapitel 5

       Kapitel 6

       Kapitel 7

       Kapitel 8

       Kapitel 9

       Kapitel 10

       Kapitel 11

       Kapitel 12

       Kapitel 13

       Kapitel 14

       Impressum neobooks

      Kapitel 1

      Sommer 1965: Ein krakeelendes Quartett, allesamt in kurzen Lederhosen steckend, saß fröhlich spielend auf einem schwäbischen Sandhaufen. Dieser war eigentlich gar nicht zum Spielen da – vielmehr diente er als Ingredienz für die graue Pampe, die die fleißigen Erwachsenen davon anrührten. Speis nannten die das Zeug und pappten Stein auf Stein damit.

      Tagsüber war die Baustelle ganz in den Händen von Lene, Wolfi, Gerd und Enno – da die Ritters, die Eltern der beiden Erstgenannten, immer erst um fünf kamen, wenn auch Onkel Hans Feierabend hatte bei HALTER u. Co. Dann hieß die Devise: Fliege machen – ansonsten lief man Gefahr, womöglich mithelfen zu dürfen.

      Bis dahin jedoch war noch jede Menge Zeit für jede Menge Blödsinn. Das Springen oder "Jumpen", wie die Älteren sagten, die bereits Englisch hatten in der Schule, vom bedrohlich wackelnden, aus jungen Tannenstämmchen und Holzdielen zusammengezurrten Gerüst mitten auf den immer flacher werdenden Sandhügel – das trauten sich natürlich nur die Mutigsten. Und selbst bei denen brauchte es stets eine ganze Weile, bis sie sich gegenseitig so aufgestachelt hatten, dass ein Rückzieher einen kaum wieder gutzumachenden Verlust des Ansehens bedeutet hätte.

      Kurz vor vier war es dann wieder einmal soweit. Mit hochroten Köpfen machten sich Wolfi und Gerd daran, die erste Etage des Gerüsts zu erklimmen. Die für legale Besteigungen vorgesehene Holzleiter war selbstverständlich sicherheitshalber weggesperrt in der schon fertigen Garage. Dort lag sie gut, und ihre Unverfügbarkeit machte das Unterfangen erst zur richtigen Mutprobe.

      Die beiden weniger Mutigen fingen schon mal an, den Haufen wieder in seine ursprüngliche Form zu bringen, indem sie den weit verstreuten Sand zurückschaufelten. Vielleicht wollten die zwei Jüngsten und Kleinsten auch nur ein paar Zentimeter mehr des weichen Materials zwischen den harten Erdboden und die Helden da oben bringen. Wie auch immer – mit dem sofortigen Absprung der beiden war erfahrungsgemäß sowieso nicht zu rechnen, da die Festlegung der Reihenfolge, ein unumgänglicher Bestandteil der Zeremonie, meist ewig dauerte.

      So sah denn der renovierte, in der Sonne glitzernde Sandberg aus, als sei er gerade eben von der Ladefläche eines Kieslasters gerutscht, wie endlich Bewegung in die Sache kam.

      „Es ist bald fünf, du musst jetzt runter, Wolfgang!“

      Die eher unübliche Verwendung seines vollständigen Vornamens bedeutete ihm die Ernsthaftigkeit der Lage.

      „So, wie die den Sand hoch geschippt haben, ist’s ja nicht mal mehr halb so gefährlich wie das Hochklettern!“

      Was hätte auch passieren können, wenn zwei solche Hänflinge aus bestenfalls fünf Metern Höhe auf einen annähernd mannshohen Berg allerfeinsten Rheinsandes herunterhüpften? Nix, wie sich ein jeder zu glauben zwang.

      Trotzdem sah Wolfi nicht eben glücklich aus, als er dann endlich unter dem Geländer durchschlüpfte und ohne eine weitere Verzögerung in dieses Meer aus funkelnden Sandkörnern hineinplumpste.

      Bis zu den Knien steckte er mitten im Haufen, grinsend wie ein Honigkuchenpferd. Nur die dicken Schweißperlen, die durch den sanft gebremsten Aufprall von der Stirn über Wangen und Nase hinuntergelaufen waren und nun drohten, vom Kinn herabzutropfen, verrieten noch die immense Anspannung, die auch den beiden Kleinen nicht verborgen geblieben war. Dennoch zollten sie dem Akrobaten gehörig Respekt, indem sie ihm halfen, seine Beine wieder ans Tageslicht zu befördern und vom anhaftenden Sand zu befreien.

      Die abrupte Einstellung der Adrenalin-Produktion führte auch umgehend zur Wiederauflockerung seines keinesfalls zu klein geratenen Mundwerks.

      „Auf, spring jetzt, du Flasche!“

      Drei weit aufgerissene Augenpaare fixierten nun den armen Gerd, dem jetzt wirklich nichts anderes mehr übrig blieb, als zu springen. Seine pfeilschnellen Gedanken kreisten einzig um die Tatsache, dass er sich wohl auf unbestimmte Zeit Wolfis Willen zu unterwerfen hätte, wenn er jetzt den Schwanz einzöge.

      „Da kann ich mich ja gleich im Weidenbach ersäufen!“, dachte er – wohl wissend, wie ihn Wolfi schon früher drangsaliert hatte, wenn er in irgendeiner Disziplin nicht mindestens gleichzuziehen vermochte.

      „Was du kannst, kann ich schon lange!“, murmelte Gerd – mehr zu sich als zum Gemeinten, während er sich unter der Brüstung durch duckte, um sich davor wieder vollständig aufzurichten.

      Nur mehr mit den Absätzen stand er auf den mit ihm zitternden Dielen, und seine feuchten Finger krallten sich in die trockene Borke des Tannenholzes, als wollten sie’s nie mehr loslassen. Seine Schweißtropfen schillerten noch über den Augenbrauen, darauf wartend, bei der Landung ebenso schöne Salzwasserbächlein wie bei Wolfi im Gesicht zu hinterlassen.

      Dessen Visage war zwar immer noch rot wie ein Feuermelder, die Spuren des Angstschweißes hatten Sonne und Wind jedoch schnell auf ein paar dünne, weißliche Streifen reduziert.

      Keiner ahnte in diesem Augenblick, dass man in Gerds Gesicht alsbald nicht mehr würde unterscheiden können – zwischen Schweiß und Tränen.

      „Ich springe jetzt!“, rief er eher kleinlaut – nicht ahnend, den gesamten Rest der Ferien im Weidenbacher Kreiskrankenhaus verbringen zu müssen.

      Obwohl allen Zuschauern einzig nur einleuchten mochte, dass doch eigentlich rein gar nichts passiert sein könne, starrten sie wortlos in Gerds Antlitz, aus dem in wenigen Sekunden die Farbe entwich – und es kam ihnen dennoch wie eine Ewigkeit vor, bis der dann ein noch nie gehörtes Geschrei anstimmte.

      In Windeseile erklommen die drei