Pit K

Semester of Love


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unter dem Jubel der Menge, dessen Ausmaß ihn ungemein irritierte, seinen Sieg perfektionier­te.

      Insgesamt war es ein netter Nachmittag geworden. Nach der Veranstaltung schwatz­ten wir fast eine Stunde vor dem Institut in verkleinerter Runde weiter.

      Am nächsten Tag stand wieder einmal das Special-Seminar auf dem Programm, das sich dies­mal von seiner angenehmen Seite zeigte, da der große Meister nicht da war.

      Abends gegen 17.00 Uhr tauchte Betti mit ihrem "Hallo, Till" vor meiner Tür auf.

      Kritisch musterte sie meine Einbauküchenvorrichtung und schaute sich den Rest meiner Räumlichkeiten an. Von meinen Büchern war sie begeistert: "Toll", kommen­tierte sie und fing an, einzelne Stücke zu studieren. Den "geteilten Himmel" von Christa Wolff (ich erinnerte mich an eine meiner ermüdensten Schullektüren) wollte sie immer schon mal gelesen haben. Nach einer Weile überraschte sie mich mit der Frage, ob ich als Lei­stungskur­se im Abitur Kunst und Geschichte gehabt hätte, womit sie fast richtig lag. So erzählten wir uns gegenseitig von unserer Schulzeit und unendlich vielen Dingen mehr.

      Sie kam aus der Nähe von Kassel, vom Dorf, wie sie es be­zeichnete und war umso erstaunter, dass ich den Ort kannte. Geboren war sie in Göttingen, kurz bevor ihr Vater seine Promotion in Jura abgeschlossen hatte. Später hatte sie in München gelebt und sogar einige Jahre in der Schweiz, bevor ihr Vater eine Geschäftsführerposition in Kassel bekam.

      Meinen Lebenslauf fand ich dagegen langweilig, da es mich räumlich nicht allzu weit herumgeführt hatte. Mit meinen ersten Jahren in der Ruhrpottmetropole Dortmund und meiner Jugend in einem kleinen Kaff zwischen Münster und Dortmund fürchtete ich etwas kläglich dazustehen. Dafür konnte ich von interessanten Ur­laubsreisen und Aktivitäten wie Outdoor-Trecking und Kartfahren berichten.

      Sie hatte ein Faible für Kindheitsgeschichten. Eine ihrer ersten Urlaubsfahrten hatte sie an die Nordsee geführt. Leider nur für ein paar Tage, da sie und ihr einige Jahre jün­geres Schwesterchen der Erwachsenenwelt eher negativ aufgefallen waren. Eigens wurde für die Kleinen ein Nutellaglas beim Frühstück mitgedeckt, und diese hatten, statt aus Dank­barkeit besonders liebe Kinder zu sein, nichts besseres zu tun, als die Tischdecke mit ihren Nutellafin­gern als Servierte zu missbrauchen. Ein Riesenskandal.

      Auf jeden Fall schien Bettis erster Urlaub für sie im Gegensatz zu mir heute weniger amüsant gewesen zu sein.

      Draußen war es mittlerweile dunkel. Als ich die Vorhänge zuzog, erinnerte ich daran, dass sie eigentlich kopieren wollte: "Wahrscheinlich hat der Copyshop jetzt sowieso schon zu", vermutete ich, und wir versanken erneut in der Vergangenheit.

      Sie saß auf meinem Bett. Ihre Schuhe hatte sie mit der Zeit ausgezogen und nebenein­ander davor abgestellt. Mit beiden Händen hielt sie ihre Tasse mit Tee und erzählte munter vor sich hin. Ich hatte es mir dicht neben ihr auf meinem Drehstuhl bequem ge­macht und versorgte uns ab und an mit neuen Getränken. Dabei legte sie irgendwann ihr Füße auf meine Knie.

      Als sie fahren wollte, war es weit nach acht Uhr.

      Ich sagte ihr, dass sie die Sachen bis morgen mitnehmen könnte, und während sie im Flur stand und endgültig los wollte (es dauerte fast 5 Minuten bis sie zur Tür gekommen war) schlug ich ihr vor: "Wenn du früh hier bist, können wir zusammen frühstücken."

      Sie lächelte: "Gerne, tschau, bis dann", und entfernte sich zum Treppenhaus.

      Während ich ihr nachschaute, dachte ich, ob ich jetzt vollkommen blöd sei und nichts Wich­tigeres zu tun hätte als diesen wandelnden Meter zum Frühstück einzuladen. Aller­dings musste ich zugeben, dass ich nichts dagegen einzuwenden gehabt hätte, wenn sie länger geblieben wäre. Sie war mir richtig sympathisch geworden.

      Den Rest des Tages quälte ich mich durch einen 15 Seiten Aufsatz über Subventions­politik, der nicht allzu viel Sensationelles hergab. Außerdem war ich unkonzentriert, meine Gedanken kreisten in meiner und Bettis Lebensgeschichte. Gegen 23.00 Uhr ent­schied ich mich für eine Dusche und danach für mein Bett.

      Lange lag ich wach. Ich erinnerte mich an meine Semestervorsätze. Da war etwas von einem geregelten Privatleben mit fester Beziehung gewesen, und je länger ich darüber grübel­te, desto mehr wurde mir bewusst, dass ich mich im Grunde einsam fühlte. Aber wer war die Richtige?

      Bilder von Frauen, die in meinem Leben eine Rolle spielten oder gespielt hatten, kamen in mir hoch. Meinen äußeren Ansprüchen entsprach ohne Zweifel momentan Michaela Assmann als er­stes. Obwohl ich sie einerseits nett fand, hielt ich sie andererseits für etwas komisch. In der Zeit, in der ich sie kannte, hatte ich mich fast ausschließlich über Universitätsin­ternes mit ihr unterhalten, über ihr Privatleben wusste ich rein gar nichts. Möglicherweise gab es ja jemanden in ihrem Leben, der ihr mehr als jeder andere bedeutete. Ich wusste es nicht, dachte aber, dass es schön sein müsste, wenn sie jetzt neben mir läge und meine Brust als Kopfkissen benutzte, und ich den Geruch ihrer braunen Locken einatmen könnte. Vorsichtshalber verdrängte ich diese Illusion und erinnerte mich an die zierliche Tatja aus Budapest, mit der ich meine letzte Liebesnacht verbracht hatte.

      Längst vergessene Gesichter waren plötzlich vor meinen Augen: Schulfreundinnen, Urlaubsbekanntschaften, Diskoflirts, fremd­gewordene, einst so wichtig erschienene Per­sonen, die nun nur Erinnerung waren. Dann war da Miri, mit ihren aufregenden roten Haaren. So faszinierend ich sie in vielen Dingen fand, war mir klar, dass mehr als ein Kaffeekränzchen zwischen uns nicht stattfinden würde. Anja Steinbach, die ich am Se­mesteranfang beim Verein für Socialpolitik kennengelernt hatte, hätte ich gerne wieder­getroffen. Aber ich hatte sie danach sofort aus den Augen verloren.

      Nächstes Wochenende war vierter Advent und am Samstag Esthers Examensfeier. Diese war dank des Organisationstalents von Herrn Köhler im Partykeller des Nachbar­wohnheims. Es könnte ein vielversprechendes Wochenende werden, wenn nicht diese Examenszeit wäre.

      Auf meinem Wecker lächelte mich eine große Eins als erste Ziffer an. "Langsam soll­test du schlafen", murmelte ich zu mir selbst. Aber Betti schaute mich plötzlich mit ihren blauen Augen durch ihre Sommersprossen an. Ich erinnerte mich, wie sie am Nachmittag auf meinem Bett saß. "Knuffelchen" wäre der passen­de Name für sie. Mit diesem Gedan­ken schlief ich ein.

      Ich hatte einen ominösen Traum. Ich befand mich im Eingangsbereich des Wohnhei­mes. Ein rothaariges Mädchen war bei mir, von dem ich wusste, dass es trotz der Haare Esther war. Wir standen dicht nebeneinander und umarmten uns. Ihre Hände verschwan­den in meiner Ho­se. Ich fühlte mich die ganze Zeit beobachtet, konnte aber niemanden erkennen, obwohl ich genau spürte, dass wir nicht alleine waren. Trotz meiner Erregung wachte ich mit einem unguten Gefühl auf, und sofort war Betti vor mir.

      "Scheiße", rutschte es mir heraus. Meine Uhr zeigte einen Stand von 3.32 Uhr an. Ich hatte also keine zwei Stunden geschlafen, fühlte mich hellwach und machte mir über mein psychisches Befinden ernsthafte Sorgen. Ein Contreau aus einem großen Glas ver­schaffte Abhilfe, trotzdem dauerte die Nacht für mich nur bis 6.02 Uhr. Mit Betti, die sich gestern als Frühaufsteherin enttarnt hatte, rechnete ich ab halb neun. Zweieinhalb Stunden sollten normaler­weise für Frühstücksvorbereitungen ausreichen, trotzdem erfasste mich eine un­gewohnte Unruhe. Eigentlich wollte ich mit meiner Einla­dung nur nett zu ihr sein. Jetzt war ich mir selbst nicht sicher, ob ich nicht mehr be­zweckte. Ich versuchte, mich auf anderes zu konzentrieren und resümierte in Gedanken den gestrigen Aufsatz. Das half nichts. An Schlaf war ebenfalls nicht mehr zu denken. Ich verließ mein Nachtla­ger und begab mich zum Bäcker. Aus dem obligatorischen Ein­drucks­schin­dungsmotiv heraus, wählte ich eine breite Mischung aus den verschiedensten Brötchen, Hörnchen und Teilchen, mit der ich eine Großfamilie hätte ernähren können. Oben, bei mir, baute ich ein Menü auf, das mich selbst erstaunte. Danach wartete ich auf sie. Nach­dem ich meine beiden Zeitun­gen auswendig gelernt hatte, löste meine Unruhe Nervosität ab. Außerdem merk­te ich den fehlenden Schlaf. Am liebsten hätte ich mich wieder auf meine Pritsche ge­legt, doch mein Arbeitseifer bewegte mich, mit meiner Lite­ratur weiter zu machen.

      Um zehn Uhr schellte es, und Betti hüpfte herein.

      "Du arbeitest ja schon. Hast aber nicht gefrühstückt, oder?"

      "Nein,