Pit K

Semester of Love


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Freitag."

      "Tschau, Betti", und unser erstes Telefongespräch war beendet.

      Drei Tage später besuchte ich sie zur AG in ihrer Wohnung in Münster Mecklenbeck. Sie hatte mich bereits beobachtet und drückte den Türöffner, bevor ich schellte. Im ersten Stock war ihr Ap­partement. Einladend lächelnd stand sie in der Tür: "Hallo, Till!"

      "Hallo", lächelte ich zurück und schaute mich um.

      Sie hatte ein großes Zimmer. Hin­ter der nach außen gerichteten Fensterwand war ein Balkon, der wegen des Herbstes traurig wirkte. An der rechten Seite eine kleine Küche, ein angedeutetes Entree und das Bad. Ihre Einrichtung fand ich ein wenig bunt durcheinander gewürfelt, außerdem herrschte beträcht­liche Unordnung. Dazu passend warf ich meine Jacke neben einen Stapel Süddeutscher Zei­tungen auf ein blau-rot gemustertes Faltsofa, auf dem der Hase Hops und der Heinzelmann Moritz wohnten. Auf dem Tisch davor: Unzähligen Blätter, eine Obstschale, ein Teller mit Kinderschokoladenbonbons und diverse weitere Zeugnisse einer überfälligen Unaufgeräumtheit. An ihrer Küchentür fiel mir ein Poster mit einem langhaarigen blonden Mädchen in einer Lederjacke auf, das mich freundlich über einem Frühstückstisch anlachte. Ihr weiteres Mobiliar bestand aus alten Kommoden und Schränken, die vermutlich schon ihren Großeltern gute Dienste erwiesen hatten.

      Betti schob mir einen ihrer Stühle zu und fragte, ob ich Orangensaft oder Wasser trin­ken möchte. Ich entschied mich für einen Kaffee, falls das keine Umstände machte.

      "Macht es nicht!" verschwand sie in ihrer Küche. Als sie wiederkam, machte sie es sich in ihrem exquisiten Chefsessel bequem: "Lass uns einfach anfangen", sagte sie.

      Ihre Beine zog sie ganz zusammen, und weil sie so klein war, passte sie dadurch genau in den Sessel, in dem sie sich zusätzlich in eine Wolldecke einrollte.

      "Hast du schon die komplette Literatur?" fragte sie als nächstes und kramte ihre Liste aus einer Ablage ihres im Gegensatz zum Zimmer auffällig gut sortierten Schreibtisches hervor. "Ich habe leider bisher nicht allzu viel gemacht", gestand sie beinahe mit einem schlechten Ge­wissen.

      "Ich auch nicht. Zuerst sollten wir einmal die Liste durchgehen und nach Relevantem und weniger Relevantem ordnen. Danach können wir ein Konzept für unser weiteres Vorgehen er­stellen", schlug ich vor.

      Nach kurzer Zeit merkte ich, dass sie inhaltlich nicht sonderlich fit war. Ich fragte mich ernsthaft, was sie drei oder vier Semester lang in den Vorlesungen gemacht hatte und begann mit einem Vortrag über den allgemeinen Finanzausgleich, eines meiner Lieblings­themen. Sie servierte mir derweil meinen Kaffee und hörte aufmerksam zu, wobei ihre blauen Augen mich immer irritierter anschauten: "Meinst du, dass ich auch die Klausur schaffen kann?" fragte sie richtig ängstlich nach einer Weile.

      "Ich fürchte fast nicht", lag mir auf der Zunge, was ich gerade unterdrückte.

      Beinahe schämte ich mich, mit dem einzigen mir vertrauten Thema, den Eindruck er­weckt zu haben, total gut vorbereitet zu sein: "Bestimmt, wir haben genug Zeit, und so­viel Stoff ist es doch gar nicht. Außerdem sagtest du, bisher nicht viel gemacht zu haben. Wenn du dich erst einmal eingelesen hast, klappt das schon", versuchte ich sie aufzumun­tern.

      "Meinst du?"

      "Ja, ganz sicher! Und jetzt überlegen wir, womit wir nächste Woche richtig einstei­gen."

      Gemeinsam machten wir einen Plan. Wöchentlich nahmen wir uns einen Aufsatz vor, den wir dann zusammen besprechen wollten. Zum Ende dachten wir, wäre es sinnvoll, probe­weise einige Mustergliederungen für potentielle Klausurfragestellungen zu entwer­fen, und für das erste verabschiedeten wir uns bis Montag zum Blockseminar.

      Dieses Seminar schien auch im Einvernehmen mit Martin Haim so eminent zu sein, dafür sogar unsere Montags-AG ausfallen zu lassen. Als Gastorator war einer der ehe­maligen Pro­fessoren extra aus den neuen Bundesländern angereist, der es derweil in den Hierarchien unse­res Staates weit gebracht hatte. Korte & Co. gaben sich deshalb größte Mühe für ein adäquates Ambiente zu sorgen. Als Buffet gab es frisch gestrichene Bröt­chen mit Käse und Schinken, dazu Mineralwasser und heizungswarmes Krombacher. Prost!

      Ein etwas penetranter Kommilitone, der in irgendeiner Kleinstadt als JUler aktiv sein musste, konnte seinen Profilierungstrieb nicht unterbinden und stellte permanent intelli­gente Fragen, die eigentlich seinem IQ widersprachen. Glücklicherweise heiterte mich Martin, der neben mir saß, mit nicht ganz zum Thema passenden Anekdoten auf. Dazwi­schen Kohlepfennig und Agrarsubventionen.

      Nach zwei Stunden war endlich Pause.

      Martin und mich zog es nach Bölling. Dort, vor der Tür, mussten wir feststellen, dass aus­gerechnet heute der vermutlich einzige Tag war, an dem aus irgendeinem Grund ge­schlossen war.

      "Dummköpfe!" hieß es von einer mir wohl bekannten Frauenstimme hinter uns.

      Das braunhaarige Wesen entlockte Martin ein Pfeifen und mir die Bemerkung: "Dumm ist, wer im Winter halb nackt herumläuft."

      Bevor Esther etwas sagen konnte, ergänzte ich: "Ich bin kein Blödmann."

      "Dann eben ein Idiot, „ lachte sie, "was hast du denn hier zu suchen? Wir haben uns ja lange nicht mehr gesehen."

      "Immerhin bin ich Student. Ich befürchte fast, dass mein Aufenthalt hier legitimer als deiner ist."

      "Glaube ich nicht. Ich habe die Einladungen für meine Examensparty kopiert, was du erstmal schaffen musst. Du bist aber jetzt der erste, den ich einlade."

      Darauf drückte sie mir einen Seidenumschlag mit meinem Namen in die Hand und ver­schwand, Martin mit ihrem sündigsten Schlafzimmerblick anhimmelnd: "Du bist natürlich auch eingeladen."

      "Wer war denn das?"

      "So was ähnliches wie Verwandtschaft."

      Wir gingen zum Institut zurück. Oben in der Bibliothek, in der das Seminar stattfand, traf ich Betti in den Katalogen wühlend.

      "Schaust du nach ÖV?"

      "Ja, ich hab dir doch gesagt, dass ich kaum was habe", erwiderte sie etwas verlegen auf ih­re Liste schauend.

      "Haben Sie die zweite und dritte Seite der Liste gar nicht bekommen?" stand plötz­lich Korte zwischen uns.

      Betti blickte mit offenem Mund auf.

      "Ich habe mich schon gewundert, dass das nur so wenig ist, ich fühle mich richtig un­terfor­dert", konterte ich und versetzte ihm einen Rippenstoß.

      "Kommt, es geht weiter", grinste er und entschwand Richtung Brötchenbuffet.

      Zu Betti sagte ich: "Wenn du magst, kannst du den Kram von mir bekommen, dann brauchst du dir nicht alles einzeln zusammenzusuchen."

      "Wirklich?" Fragte sie in einer einmaligen Mischung aus Unglauben und Ängstlichkeit.

      "Klar, ich bring dir das morgen ins Seminar bei Fechti mit."

      "Das ist lieb“, meinte sie, überlegte einen Moment und sagte: "Ich habe aber erst am Abend Zeit, darf ich mir das auch bei dir zu Hause abholen?"

      "Wenn du meinst, meine Adresse hast du ja. Jetzt komm aber!"

      Erleichtert fragte sie auf dem Weg zu unseren Plätzen: "Willst du nicht herüber kom­men, neben mir ist noch frei? - Weißt du, dem Kasper Korte hätte ich gar nicht soviel Hu­mor wie eben zu­getraut", kicherte sie weiter.

      Part two der Sitzung wurde neben Betti richtig angenehm. Der offizielle Teil mit den Sub­ventionen wurde bald durch eine nette Plauschrunde mit Ministerbeteiligung abge­löst. Bettis Sarkasmus ließ sogar die Penetranz des JUlers komisch erscheinen, der gro­ßen Wert auf eine wortlautgetreue Erörterung eines Zitats des Bundespräsi­denten im Rahmen einer Chilereise legte. Die zweite Runde Krombacher (bereits etwas abgekühlt) sorgte für weitere Gemütlichkeit. Lediglich die kulinarische Seite ließ zu wünschen übrig. Rein zufällig trafen sich die beiden Brötchentabletts vor Korte und Schwarz, die fleißig um die Wette futterten. Betti zählte fünf zu vier für Schwarz und wettete, dass der Kasperkopf mit dem letzten Käsebrötchen den