Pit K

Semester of Love


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mündliche Prüfung anhören sollte, was ihr selber nicht gestattet war.

      Vorsichtshalber postierte ich mich in der Nähe der Falltür der Arena, falls drinnen nicht genügend Ränge für die Schaulustigen vorhanden sein sollten. Zwar gab es keine brüllenden Löwen, aber immerhin einen bösen Professor, der auch äußerst gefährlich werden konnte. Die Tür öffnete sich, und zwei Gestalten mit undefinierbaren Gesichts­ausdrücken kamen heraus. Respektvoll wich der Mob vor den überlebenden Gladiatoren zurück. Die beiden hatten von ihrem Publikumsverzichtungsrecht Gebrauch gemacht, wovon sie im Moment nichts mehr hatten, da sie sofort mit Fragen durchlöchert wurden. Ich dachte nur: "Die Armen", und hoffte, dass mir ein solches Spektakel erspart bleiben würde. Als nächstes er­schien einer der Beisitzer im Türrahmen und rief die nächsten Unglücklichen auf. Die junge Dame im schwarzen Kostüm und der Herr in der blau-roten Kombination, die unbeachtet von der Meute etwas im Abseits gewartet hatten, traten nun hervor. Dahinter schob sich der Mo­loch herein. Ich wurde auf ein ausgesessenes altmodi­sches Sofa gepresst, das eigens für uns nebst ein paar Stühlen aufgestellt worden war. Es gab fünf weitere Stehplätze zu vergeben, der Rest der Fangemeinde musste draußen blei­ben.

      Als erstes wurden die Namen der beiden Probanden festgestellt und an Hand ihrer Studen­tenausweise überprüft. Danach die Bemerkung, dass alles einfach sei, wenn man gut vorbereitet wäre. Wovon ja auszugehen sei.

      Die erste Frage war inhaltlich tatsächlich nicht schwer: "Wer möchte denn anfangen?"

      "Ladies first, wenn sie damit einverstanden sind", wusste der junge Mann sich als Gentle­man aus der Affäre zu ziehen.

      Das war allerdings für das nächste die letzte Antwort, die er wusste. Seine Partnerin hatte ihm den Vortritt gelassen, worauf er sich über die Problematik der Abgrenzung des rele­vanten Marktes auslassen musste. Mir fielen dazu pauschal die Trifinischen Koeffizi­enten ein, und ich glaubte mich an ein Industriekonzept von Alfred Marshall erinnern zu können. Der, der es wissen sollte, wusste dazu nichts. Trotz meines Stolzes unvorbereitet mit gestande­nen BWLern konkurrieren zu können, fand ich die Situation beklemmend. Die restlichen Zu­hörer schienen das ebenso zu empfinden, da es plötzlich totenstill ge­worden war.

      Der weibliche Prüfungsteil legte sich augenscheinlich eine Antwort zurecht. Doch sie sollte nicht besser davon kommen. Das Wort wurde zwar weiter gegeben, aber die er­warteten Worte waren nicht mehr die gleichen. Letztendlich wusste sie genauso viel wie er, nämlich nichts. Am Ende klärte der neugierige Fragensteller alle Lösungen seiner Rät­sel selbst auf, die ich mir eifrig notierte, damit es Esther nicht genauso wie den bei­den erginge, die mir irgendwie leid taten.

      Mit gemischten Gefühlen wählte ich am Abend ihre Nummer. Am Vortag hatte sie ihre erste Prüfung gehabt. Hoffentlich war sie einigermaßen zurechtgekommen.

      "Hallo", erklang es am anderen Ende mit fast weinerlicher Stimme.

      "Ich bin es. Geht es nicht gut?"

      "Weiß nicht, viel zu tun. Bevor du fragst: Mit dem gestern war ich nicht zufrieden, un­ter Umständen hat es aber trotzdem geklappt."

      "Bestimmt! Ich habe vollstes Vertrauen in dich!"

      "Sagst du so."

      "Ja, ich muss das wissen, ich weiß schließlich auch das Erfolgsrezept für ABWL (allgemeine Betriebswirtschaftslehre). Aber trotzdem, erzähl erst mal. War es sehr schlimm?"

      "Ja!"

      "Wirklich?"

      "Vielleicht nicht ganz so schlimm. Mittendrin musste ich über seine Schuhe lachen, der Idiot hatte Sandalen an", prustete sie schon Hoffnung versprechender.

      Darauf erzählte sie die genauen Einzelheiten. Sie brauchte in diesem Fach eine Vier um zu bestehen, was normalerweise eine Formsache war. Die Einleitungsfragen hatte sie ohne weiteres gewusst, doch danach war sie immer schlechter geworden. Ich meinte, dass sie ja nicht unbedingt mit einer Eins oder Zwei rechnen brauchte, die Vier aber geschafft haben müsste.

      Das beruhigte sie ein wenig. Danach teilte ich ihr meine heutigen Erkenntnisse mit und bemerkte nebenbei, dass die beiden in dieser Prüfung auf jeden Fall schlechter als sie ge­wesen waren, wo­durch sie sich fast normalisierte.

      "Ich drücke dir dann morgen die Daumen, es wird schon klappen. Viel Glück!" verab­schiedete ich mich.

      Alles in allem gab mir der heutige Tag zu denken. Was für Noten die beiden am Nachmittag bekämen? Meine Vermutung darüber war mit Unbehagen ver­bunden. Meine Gedanken an Esther ebenso. Es war unwahrscheinlich, dass sie morgen die gleichen Fra­gen gestellt kriegte, und ich wusste, dass sie wegen ihrer insgesamt drei Prüfungen nicht allzu gut vorbereitet war. Nächste Woche entschied sich alles. Am Montag ihre dritte, hoffentlich letzte Prüfung, am Freitag die Ergebnisse und bis dahin diese unangenehme Ungewissheit, die jeder Student hasste. Ich war froh, nicht in ihrer Haut zu stecken.

      Für mich war die Woche ereignislos.

      Am Montag versammelte sich das erste Mal unsere Wifipo-AG. Auf drängen der zwei Herren aus Gievenbeck wurde Christophs Wohnung zum Veranstaltungsort ernannt. Dies erwies sich als kluge Entscheidung, da seine neue Mitbewohnerin eine exzellente Köchin war und uns mehr als ausreichend mit Kaffee und selbstgebackenem Kuchen er­freute. Inhaltlich kamen wir zu dem Ergebnis, dass unsere Verfassungstheorien ein ver­gleichsweise mageres Thema waren, für dessen Präsentation vier Referenten im Grunde genommen drei zu viel wa­ren. Nach ausgeprägter wissenschaftlicher Analyse gelang es uns dennoch, eine sinnvolle Drei­teilung für den Vortrag zu entwickeln, was eine heftige Diskussion darüber auslöste, wem es zuzumuten sei, auf eine Darstellung zu verzichten. Als wahre Männer von Welt wollten wir uns selbstverständlich alle opfern, weshalb wir das Los entscheiden ließen. Wie das Schicksal so spielte, verlor ausgerechnet ich die Ausspielung, trotz der Leitungsübernahme der Tombola.

      Am Freitag schellte gegen 17.00 Uhr das Telefon: Esther.

      "Bestanden!" jubelte sie, und bevor ich etwas sagen konnte, plapperte sie los:

      "In VWL und Finanzen die Vier bestätigt. Rat was ich in ABWL hab!"

      "Keine Ahnung, vermutlich was besseres?"

      "Ja: Und zwar eine glatte Zwei! Weißt du auch, was er gefragt hat?"

      "Doch wohl nicht über Marktabgrenzungen etwa?"

      "Doch, genau das. Genial nicht, jetzt hab ich insgesamt ein gutes befriedigend. Gleich wird erst einmal gefeiert. Wenn du Lust hast, kannst du auch kommen, ich muss dir jetzt wohl sowieso etwas spendieren."

      Lust auf Abwechslung verspürte ich schon. Da ich aber seit einer Woche ein braver Ex­aminand war, der zwischen Büchertürmen und Blätterhaufen lebte und nur selten seine Klause verließ, hielt ich es für notwendig, ihr abzusagen. Ich verspürte nur geringes Verlangen nach überhaupt einer Ergänzungsprüfung.

      "Herzlichen Glückwunsch, erst einmal. Mit dem Feiern tut mir leid. Im Moment kann ich hier nicht weg. Ich wünsche dir aber trotzdem viel Spaß. Lass dich nicht von fremden Männern ansprechen, die könnten böse Absichten haben."

      "Blödmann! Ich bin jetzt Diplom-Kauffrau und kann auf mich selber aufpassen..."

      "Konntest du das vorher nicht?"

      "Oberblödmann! Noch ein Wort und du kriegst von mir nichts mehr ausgegeben!"

      "OK! Das überzeugt mich. Also noch mal: Viel Spaß, und tschüs."

      "Also bis demnächst. Ich erzähl dir dann von meiner heutigen Nacht, und tschüs"

      Bevor ich ihr das dritte Mal "viel Spaß" wünschen konnte legte sie schnell auf.

      Heute gönnte ich ihr das letzte Wort. Außerdem war ich froh, dass sie nun alles ge­schafft hatte.

      Mein Leben im November als Worcoholic missfiel mir. In den nächsten Wochen fragte ich mich mehr und mehr, wie es Hieronymus Zeit seines Lebens in seinem Gehäuse aus­gehalten hatte. Mein tägliches Pensum von 80 bis 100 Seiten begann mich rasch zu lang­weilen. Beson­ders penetrant: Kein einziger Schritt mehr ohne Literatur. An Tisch und Bett, in Auto und Bus, in