Bernd Schremmer

Adam und Eva


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pflegte, um, wie er sagte, seinen Gedanken freien Lauf zu lassen, dass Eva nicht wie sonst, wenn er über die große Wiese kam und er ihren Namen rief, in der Tür ihrer Hütte erschien, um ihm entgegenzugehen und sich zu freuen, dass er wieder da war.

      „Eva?“

      So rief er erneut. Schon etwas lauter. Und trat in die Hütte. Er blickte in alle Ecken ihrer gemütlichen Behausung, in die Schlafecke, in die Essecke, in die Ecke mit den Vorräten. Aber keine Spur von Eva, seinem Weib. Was hatte das zu bedeuten?

      „Eva!“

      Er rief ihren Namen zum dritten Mal. Und trat wieder hinaus auf die Wiese. Vielleicht war sie in ihrem kleinen Hausgarten, den sie sich angelegt hatte mit Kräutern und Blumen? (Sie experimentierte neuerdings mit allerlei Samen und Ablegern.) Und also ging er um die Hütte. Aber in ihrem Gärtchen war sie auch nicht. Nirgends war sie zu sehen. Er verstand es nicht. So etwas war noch nicht vorgekommen, in all den Jahren nicht! Irgendetwas musste passiert sein. Und zum ersten Mal, solange er denken konnte, begann er, sich Sorgen zu machen um sie.

      Schließlich ging er wieder zur Vorderseite der Hütte. Und da stand sie – stand sie vor ihm. Mit hochroten Wangen. Nun ja, dachte er, es war ein heißer Tag. Aber weshalb war sie so außer Atem? Sie war gerannt. Kein Zweifel. Aber weshalb?

      „Adam...“ sagte sie.

      Sie japste, rang nach Luft.

      Und Adam fragte: „Wo warst du, Eva?“

      „Ich war...“ Sie strich sich das Haar aus der Stirn. „... ein wenig spazieren.“

      „Spazieren?“

      Ja, warum nicht, dachte er, aber seit wann kommt man beim Spazieren so außer Atem?

      Und er fragte sie abermals: „Wo warst du, Eva?“

      Sie zögerte einen Moment und nestelte erneut an ihren Haaren.

      „Ich war... in der Mitte des Gartens. Da wo die beiden Bäume stehen, du weißt schon...“

      Die beiden Bäume. Adam erinnerte sich dunkel. Sie waren eine Ewigkeit nicht mehr in der Mitte des Gartens gewesen.

      „Und?“ fragte er. „Was war dort, dass du so gerannt bist?“

      „Du wirst es nicht glauben, Adam...“

      Da lächelte Adam. „Aber, Eva, warum sollte ich dir nicht glauben? Wir sind Mann und Frau. Wir sagen uns immer alles. Wir lieben uns doch.“

      „Ja, nicht wahr?“

      „Ja, nicht wahr. Also, weshalb bist du gerannt?“

      Doch Eva zögerte abermals.

      „Nun?“ sagte Adam.

      „Da war...“

      „Ja?“

      „Eine Schlange.“

      Da musste Adam lachen. „Eine Schlange? Na, so was kommt vor, Eva.“

      „Eben nicht!“ rief sie.

      Da wurde Adams Miene wieder ernst.

      „Und wieso nicht?“

      „Es war... eine sprechende Schlange!“

      Adam sah Eva, sein Weib, an und verdrehte leicht die Augen. Nun ja, es war ein heißer Tag gewesen.

      „Eine sprechende Schlange“, sagte er. „Ich verstehe. Da warst du erschrocken, hast dich gefürchtet, und deshalb bist du gerannt. Komm, wir wollen ins Haus gehen. Dort ist es angenehm kühl.“

      Doch Eva blieb stehen.

      „Du nimmst mich nicht ernst, Adam. Du glaubst mir nicht!“

      „Aber, Eva...“ Er drehte sich zu ihr um. „Den Punkt haben wir doch geklärt. Also komm. Es ist Zeit fürs Abendessen. Was hast du uns heute denn Schönes vorbereitet?“

      Eva folgte ihm ins Haus. Und sagte vorerst kein Wort mehr.

      Gemeinsam, wie immer, bereiteten sie den Tisch. (So nannten sie die Strohmatte, die Eva eigens für die Mahlzeiten geflochten hatte und die sie jedesmal auf dem Boden zwischen sich ausbreiteten.) Heute gab es Melonen, Feigen, Bananen und Orangensaft. Den Saft tranken sie aus zwei halben Schalen der Kokosnuss. Alle Früchte waren wie immer frisch aus dem großen Garten. Und alles schmeckte köstlich. Und doch konnte Adam, sosehr er sich auch mühte, seine Sinne nicht voll auf die Speisen konzentrieren. Immer wieder musste er an Evas Spaziergang denken, von dem sie rennend zurückgekehrt war. Natürlich gab es keine sprechenden Schlangen, dachte er. Andererseits war Eva, alles in allem, eine vernünftige Frau. War sie immer gewesen, in all den Jahren. Eine kluge, verständige Frau Und schließlich hielt er es nicht länger aus.

      „Also da war eine Schlange?“ sagte er.

      „Ja.“

      Sie blickte ihn kaum an.

      „Da wo die beiden Bäume stehen?“

      „Ja.“

      „Der Baum der Erkenntnis. Und der Baum des Lebens.“

      „Ja doch!“

      „Und bei welchem der Bäume hast du die Schlange gesehen?“

      „Gesehen und gehört!“

      „Ja doch, Eva, gesehen und gehört...“

      „Du glaubst mir?“

      „Ich glaube dir.“

      „Schön. - Sie hing an dem Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen.“

      Adam nickte. Fast war ihm, als hätte er so etwas schon geahnt.

      „Und“, sagte er, „was hat sie gesprochen, die Schlange?“

      Eva druckste einen Moment.

      Und Adam geduldete sich. Er wusste, sie wollte es ja loswerden.

      „Glaub mir“, begann sie, „ich ging wirklich spazieren. Ganz gemächlich. Es war so ein schöner Tag. Ich wollte mal wieder zum Baum des Lebens schauen. Seine Früchte sind, wie du weißt, überaus bekömmlich. Doch wie ich mich ihm schon nähere, höre ich plötzlich ein Zischeln über mir. Da erst merkte ich, dass ich vorm Baum der Erkenntnis stand. Und natürlich erinnerte ich mich sofort an die Worte des Herrn. An sein Gebot. Aber was ist das für ein Zischeln? So fragte ich mich. Und dann sah ich sie. Die Schlange. Schrecklich lang. Sie ringelte sich um mehrere dicke Äste und sah zu mir herunter, sah mich an mit ihren freundlichen Augen. Und dann... dann sprach sie auf einmal...“

      Adam hörte wie gebannt zu. Noch nie, so fand er, hatte Eva so spannend erzählt.

      „Und“, sagte er, „was sprach die Schlange?“

      „Glaub mir, Adam“, sagte Eva, „ich war hellwach und völlig klar bei Sinnen... Die Schlange sprach: Fürchte dich nicht. Ihr werdet keineswegs des Todes sterben. Gott weiß, an dem Tag, da ihr vom Baum der Erkenntnis esset, werden eure Augen aufgetan, und ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist.“

      Da verfiel Adam in ein langes Schweigen, voller zitternder Gedanken. Und Eva, die Adams Gedanken zu erraten meinte, sagte schließlich, weil sie es nicht länger aushielt, ihn so dasitzen zu sehen, unfähig, noch einen Bissen hinunterzubringen:

      „Ich habe natürlich nicht auf die Schlange gehört.“

      Adam sah sie an, mit unbewegter Miene.

      „Natürlich nicht. Du bist gerannt.“

      „Und wie!“

      Adam nickte und griff nach dem letzten Stück der zuckersüßen Melone. Eva atmete erleichtert auf.

      Als sie ihre Mahlzeit beendet hatten, sagte Adam:

      „Das Beste ist, wir vergessen das Ganze.“

      Und Eva sagte: „Nichts lieber als das.“

      In der Nacht aber lag Adam