Bernd Schremmer

Adam und Eva


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Satz fand Adam nun doch ein wenig übertrieben.

      „Du bist der Vater!“ sagte Eva.

      „Ja, ja, das bin ich... Aber vielleicht kannst du besser schimpfen als ich.“

      „Red keinen Unsinn, Adam. Gott hat dich zuerst erschaffen. Du bist der Herr im Haus. Also bist du es, dem es zukommt, hin und wieder ein Machtwort zu sprechen.“

      Ein Machtwort.

      Adam nickte abermals. Wunderte sich aber, was Eva auf einmal für neue Wörter gebrauchte.

      „Aber was“, fragte er, „wenn auch mein Machtwort nicht fruchtet?“

      „Dann musst du ihnen drohen.“

      „Drohen?“

      Bei dem Wort war Adam nun gar nicht wohl.

      „Womit soll ich ihnen denn drohen?“

      „Mit Gottes Zorn.“

      Adam schwieg eine Weile. – Ihm war, als wolle Eva ihn in eine ganz neue Richtung, in eine völlig neue Rolle drängen.

      „Ihnen drohen“, sagte er schließlich, „mit Gottes Zorn... Ich weiß nicht... Darüber muss ich erst nachdenken.“

      „Tu das. Aber nicht zu lange. Eines Tages sind sie groß, dann ist es zu spät. Dann machen sie, was sie wollen. Laufen nicht nur hinunter an den Fluss. Dann laufen sie auch in den Wald. Du verstehst, was ich meine.“

      Da erschrak Adam. In den Wald. Womöglich in die Mitte des Gartens! So weit wie Eva hatte er noch gar nicht gedacht. Weiß Gott, seit sie Mutter geworden war, entdeckte er immer neue Seiten an ihr.

      „Aber wie soll ich Ihnen Gott erklären?“ sagte Adam.

      „Das weiß ich nicht“, sagte Eva. „Vielleicht machst du mal wieder einen Spaziergang, so wie früher. Dann wird dir schon etwas einfallen.“

      Der Gedanke gefiel ihm. Er war schon eine Ewigkeit nicht mehr spazieren gegangen.

      Der erste Versuch jedoch missglückte.

      „Wir wollen mit!“ schrien alle Fünf sofort, als Adam am nächsten Tag sagte, er wolle ein Stück am Fluss entlang gehen, um über etwas Wichtiges nachzudenken.

      Und Kain, der Älteste, fragte: „Was ist das, etwas Wichtiges?“

      Adam geriet in einige Verlegenheit und blickte zum Himmel. (Warum er das tat, wusste er auch nicht.)

      Eva aber, die neben ihm stand, sagte: „Nun lasst mal den Vater gehen, er wird es euch später erklären.“

      Adam jedoch schien es nicht recht, die Kinder zu vertrösten. Fast kam es ihm wie eine Lüge vor.

      Und also setzte er sich ins Gras, scharte alle Fünf um sich und sagte: „Ich erzähle euch eine Geschichte.“

      „Au ja, eine Geschichte!“ riefen die Kinder.

      Eva indes seufzte leise und ging ins Haus.

      Kleine Geschichten hatte Adam schon des öfteren erzählt, aber immer nur nebenbei, beim Spielen auf der Wiese, über die Käfer im Gras, über die fleißigen Ameisen, über die Vögel, die sich in den Bäumen Nester bauten. Nun waren die Tiere freilich nichts, worüber er spazierenderweise am Fluss hätte nachdenken müssen. Zippora und Bitja hätten sich vielleicht nicht groß gewundert. Aber Lebuda hätte sofort bemerkt, das da was nicht stimmte, Lebuda war ein aufgewecktes Kind und ein Jahr älter. Und die beiden Jungen, sofern sie denn überhaupt richtig zuhörten und sich nicht wie so oft kabbelten, würden gelangweilte Mienen machen: Schon wieder eine Tiergeschichte! Womit sie ja recht hätten. Und also begann Adam:

      „Es waren einmal ein Vater und eine Mutter, die hatten sieben Kinder und lebten tief im Wald...“

      Adam merkte, der Anfang war schon mal gar nicht so übel, alle Fünf hingen sofort gebannt an seinen Lippen. Und also erzählte er weiter:

      „Und alle zusammen wohnten sie glücklich und zufrieden in einer Hütte, die der Vater und die Mutter einst gebaut hatten aus starken Ästen und Stroh. Die Hütte aber stand auf einer grünen Wiese, und rund um die Wiese wuchsen nicht nur die Bäume des dichten, finsteren Waldes, am Waldesrand wuchsen auch allerlei Sträucher. Und die Sträucher trugen gar mancherlei Früchte...“ Adam hielt einen Moment inne, über sich selbst erstaunt, was ihm da einfiel; er steuerte, wie ihm schien, geradenwegs auf eine Katastrophe zu. Auf Gottes strenges Wort.

      „Und die Früchte“, fragte Lebuda, „die konnten sie essen?“

      „Die Früchte...?“

      Ach, dieses naseweise Kind, dachte Adam.

      „Nun frag doch nicht so dumm“, schalt Kain seine Schwester. „Lass Vater erzählen. Dann wirst du schon erfahren, was mit den Früchten ist.“

      Lebuda zog einen Flunsch. Und Adam dachte: Sieh an, der Kain, der wittert schon etwas.

      „Ja, ja“, erzählte Adam nun weiter, „die Früchte... die Früchte waren lustig anzusehen und gut zu essen. Bis auf den einen Strauch mit den kleinen roten Beeren. Die sahen zwar hübsch aus, waren aber giftig. Und eindringlich warnend sagten die Eltern zu ihren sieben Kindern: An dem Tag, da ihr davon esst, müsst ihr des Todes sterben.“

      Da war mit einem Schlag Stille um ihn herum. Alle Fünf sahen ihn an mit großen erschrockenen Augen. Hatte er das beabsichtigt? Er wusste es selbst nicht. Und so setzte er hinzu:

      „Die Kinder aber, alle sieben, waren lieb und klug und gehorsam. Sie hörten auf das, was die Eltern ihnen sagten. Und so lebten sie weiter alle Tage, glücklich und zufrieden.“

      Adam meinte, einen ganz passablen Schluss gefunden zu haben. Die Mienen um ihn herum entspannten sich. Bis auf Abels Miene.

      „Des Todes?“ sagte Abel schließlich, etwas stockend. „Was ist das: des Todes sterben?“

      „Mann, Abel!“ stöhnte Kain. „Du hast doch gehört. Das ist, wenn man nicht mehr lebt, weil man giftige Beeren gegessen hat.“

      Abel schwieg. Weil Kain mal wieder so schlau tat.

      Adam aber kamen Zweifel, ob ihm seine Geschichte wirklich

      so recht gelungen war. Eigentlich war Abels Frage gar nicht so dumm. Und streng genommen wusste er, Adam, der Vater, auch nicht, was es hieß, des Todes zu sterben.

      Was ist der Tod? Was geschieht da? Und was ist danach?

      Die Mädchen aber schienen zufrieden mit dem Gehörten. Sie standen auf aus dem Gras. Und Bitja rief:

      „Kommt, wir wollen verstecken spielen!“

      Und Zippora rief: „Au ja!“

      Auch die Jungen erhoben sich nun und folgten den Zwillingsschwestern. Nur Lebuda, Kains Schwester, blieb stehen, da wo sie gesessen hatte, und fragte Adam, ihren Vater:

      „Und was ist nun das Wichtige, über das du nachdenken wolltest?“

      „Das Wichtige...?“

      Adam hatte das Gefühl, erwischt worden zu sein.

      „Das Wichtige“, antwortete er, „ist immer das, was einem im Moment am meisten Sorge bereitet...“

      „Und was bereitet dir im Moment am meisten Sorge?“

      Dieses wissbegierige Kind.

      „Dass euch nichts zustößt“, sagte Adam. „Dass es euch gut geht.“

      Da hellte sich Lebudas Miene auf.

      „Verstehe“, sagte sie. „So wie in der Geschichte. Dass wir nichts tun, was verboten ist.“

      „Genau so“, sagte Adam.

      Lebuda nickte.

      „Dass wir nicht allein an den Fluss gehen. Weil das Wasser sehr tief ist. Und wegen der Krokodile.“

      Adam