Bernd Schremmer

Adam und Eva


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einmal hier war, vor den Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen.

      Er blickte hinauf in die Äste und Zweige.

      Keine Schlange.

      Sosehr er seine Augen auch anstrengte, er sah nur die schönen rotbäckigen Äpfel. Er schaute sich um. Und er dachte an Eva, sein braves Weib.

      Da hörte er eine Stimme:

      Fürchte dich nicht, Adam. Ihr werdet keineswegs des Todes sterben, sondern Gott weiß: an dem Tag, da ihr vom Baum der Erkenntnis esset, werden eure Augen aufgetan, und ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist.

      Adam traute seinen Ohren nicht. Wer sprach da?

      Die Schlange, von der Eva erzählt hatte, konnte es nicht sein. Denn eine Schlange war nirgends zu entdecken, auch kein anderes Tier, weder am Stamm des Baums noch in den Zweigen noch irgendwo unten im Gras.

      Da wurde Adam klar: Es war der Baum, der zu ihm gesprochen hatte!

      Es konnte nicht anders sein. Der Baum kannte Gottes Wort, denn er war ja dabei gewesen an jenem Tag, als der Herr das Gebot erlassen hatte, und nun wollte er ihn mit seinen herrlichen Äpfeln – Adam suchte nach dem passenden Wort – verlocken? versuchen? verführen!

      Adam spürte, jetzt kam es darauf an.

      Und also holte er tief Luft und nahm alle seine Geisteskräfte zusammen. (Natürlich wusste er, dass es keinen sprechenden Baum gab, ebensowenig wie es sprechende Tiere gab, und auch keinen Baum, der Ohren hatte, ihn zu hören. Aber darauf kam es jetzt nicht an.) Fest und entschlossen trat er noch einen Schritt vor und sprach:

      „Höre, Baum! Ich fürchte mich nicht. Aber warum sollte ich von deinen Äpfeln essen? Damit mir die Augen aufgetan werden? Sie sind es schon. Damit ich erkenne, was gut und böse ist? Ich will es nicht wissen. Damit ich wie Gott bin? Das will ich nicht sein!“

      Adam schwieg. Er hörte nichts.

      Er fand, er hatte recht anständig gesprochen. Kehrte sich ab und ging.

      Er ging über die Wiese auf den Wald, auf die Sonne zu, blieb aber nach ein paar Schritten noch einmal stehen und drehte sich um.

      „Höre“, sagte er, „ich fürchte mich nicht. Aber was soll aus Eva werden? Ich esse von deinen Äpfeln. Erkenne, was gut und böse ist. Und falle, wissend geworden, tot um. Und dann? – Eva wird sich die Augen aus dem Kopf weinen. Sie wird für immer allein sein. Sie wird niemals Kinder haben. Wie könnte ich ihr das antun?“

      Adam lauschte abermals. Nickte. Kehrte sich ab und schritt erneut auf den Wald zu.

      Doch am Ende des Rasenstücks kam er nicht umhin, sich abermals umzudrehen.

      „Höre, ich bin kein Narr. Ich weiß wohl, du bist nur ein Baum. Trotzdem sag`s ich dir noch einmal: Ich will nicht sein wie Gott! Denn Gott, der Herr, hat mich Mensch genannt! Das ist es, was ich bin, und so soll es sein.“

      Adam lauschte zum dritten Mal. Lächelte zufrieden. Er fand, es war, alles in allem, eine recht gelungene Rede – und er wusste ja, wem er sie gehalten hatte.

      Das einzig Ärgerliche, fand er, war nur, die unheimliche Stimme hatte, wie schon zu Eva, abermals in der Mehrzahl gesprochen, so als würde sie davon ausgehen, dass, wenn schon nicht Eva, dann er schwach werden und von den Äpfeln ein paar mit nach Hause nehmen würde.

      Nach Hause. In ihre Hütte. Zum Abendessen.

      Und während er sich weiter durch den sich langsam lichtenden Wald schlug – in Richtung des Flusses, damit Eva nicht stutzig wurde – , wurde ihm mit jedem Schritt klarer: Er konnte ihr unmöglich von seinem unerhörten Erlebnis erzählen. Es würde sie viel zu sehr aufregen. Es würde sie wieder an die Schlange erinnern. Und am Ende würde sie – nicht auszudenken! – darauf warten, dass er tot umfiel.

      Vielleicht konnte er ihr später einmal davon erzählen, nach einigen Monden oder Jahren. Zuvor musste er erst noch ein wenig nachdenken, über das Ganze.

      Es vergingen aber nur wenige Tage, da erkannte Adam sein Weib, und Eva wurde schwanger.

      Und nach neun Monden gebar Eva einen Knaben und ein Mädchen. Den Knaben nannten sie Kain, und seine Zwillingsschwester nannten sie Lebuda.

      So steht es geschrieben.

      Die erste Familie

      Da war nun im Haus die Freude groß. Ein Junge. Ein Mädchen. Der Unterschied war leicht feststellbar. Und Eva im weichen Stroh, je einen Wurm im Arm, war froh, dass sie es geschafft hatte. Einige Augenblicke lang hatte sie geglaubt, sie würde die Schmerzen nicht überleben. Und Adam, nachdem er sich seinerseits erholt hatte, strahlte vor Stolz. Sie hatten Gottes Gebot erfüllt. Seid fruchtbar und mehret euch.

      Er konnte sich gar nicht satt sehen an dem Ergebnis. Sie hatten zwei Menschlein geschaffen! (Ein Weltereignis, in der Tat.) Sie waren Vater und Mutter geworden. Und das bedeutete: Sie besaßen von Stund an zwei neue Wörter! Und zwei weitere kamen hinzu. Sohn und Tochter. Und die vier Wörter zusammen ergaben ein fünftes: Familie.

      Weiß Gott, dachte Adam, es ist wirklich aufregend, erhebend, wenn auch nicht immer ganz einfach, der erste Mensch zu sein. Die fünf Wörter jedenfalls beschrieben eine ganz neue Welt. Vermittelten ein ganz neues Lebensgefühl, zwischen Eva und ihm, und von sich selbst.

      Als Gott, der Herr, sie erschuf, mochten sie an Geist und körperlicher Beschaffenheit etwa im Alter von zwanzig Jahren gewesen sein. Nun waren sie nahezu doppelt so alt und doppelt soviel an der Zahl in ihrer Hütte. Schon nach einigen Tagen wurde Adam klar, sie würden anbauen, die Hütte um einen Raum erweitern müssen.

      Und also ging er alsbald ans Werk.

      So vergingen die Tage. Und Adam erkannte abermals sein Weib, und Eva ward abermals schwanger. Und nach der gesetzten Zeit gebar sie einen Sohn und zwei Zwillingsschwestern. Den Zweitgeborenen nannten sie Abel und seine Schwestern Zippora und Bitja.

      So steht es geschrieben.

      Nun Vater von fünf Kindern, wurde Adam von Tag zu Tag häuslicher. Er half Eva, wo er nur konnte. Er nahm ihr die zwei Älteren ab, wenn sie von den drei Jüngeren voll in Anspruch genommen war. Er spielte mit Kain und seiner Schwester im Hauptraum, während sie Abel und seine Schwestern im Nebenraum, den sie schon bald Kinderstube nannten, fütterte.

      Mehr noch als früher betrieben sie all ihre Wirtschaft gemeinsam. Im Hausgarten bauten sie, nach Eva erfolgreichen Experimenten, jetzt auch Gemüse an. Und jeden Morgen ging Adam auf die Weidewiese zu den Schafen oder den Ziegen, um Milch zu zapfen.

      Am liebsten aber spielte er mit den Kleinen, im Haus, auf der Wiese, half ihnen beim Sprechenlernen auf die Sprünge, nahm sie beim Laufenlernen an die Hand, er zeigte ihnen die Schmetterlinge, die Vögel, die Käfer im Gras, lachte und alberte mit ihnen herum, ließ sich von ihnen kitzeln, boxen und an den Haaren ziehen. Und Eva, wenn sie in der Tür stand und ihnen zusah, zeigte mitunter eine leicht besorgte Miene.

      Eines Abends, als sie einigermaßen erschöpft vor der Hütte saßen, nachdem in der Kinderstube endlich Ruhe eingekehrt war, sagte Eva:

      „Ich glaube, wir müssen anfangen, die lieben Kleinen zu erziehen.“

      Adam sah sie erstaunt an.

      „Na, wir müssen ihnen klar machen, was sie tun dürfen und was sie zu lassen haben.“

      Adam nickte. Er verstand, was Eva meinte. Aber irgendwie erinnerte ihn das an etwas. Ihm fiel nur nicht ein, an was.

      „Findest du nicht?“ fragte Eva.

      „Doch, doch“, antwortete Adam. „Mitunter treiben sie es wohl ein bisschen wild. Aber ist es wirklich so schlimm?“

      „Sie müssen parieren lernen.“

      „Parieren?“

      „Aufs Wort hören.“

      „Und wenn sie nicht hören wollen?“