Bernd Schremmer

Adam und Eva


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aber beugte sich, da er immer noch im Gras saß, zu ihm hinunter und gab ihm einen Kuss.

      „Mach dir keine Sorgen, Väterchen. Ich passe schon auf, dass keiner rote Beeren isst.“

      Da sah Adam seine Tochter verblüfft an, gerührt, ja überwältigt. Noch nie hatte sie ihn Väterchen genannt. Und noch nie hatte sie so klug gelächelt.

      Lebuda aber wandte sich um und lief zu den anderen. Und Adam sah ihr nach. Vielleicht, dachte er, vielleicht geht das Erziehen ja auch mit Geschichtenerzählen. Und ohne dass man gleich Gottes Zorn bemüht.

      Erziehungsfragen!

      Adam überlegte, ob er den günstigen Moment ausnutzen und doch noch seinen Spaziergang machen sollte, um noch einmal in Ruhe über alles nachzudenken. Er stand auf. Doch im selben Moment, als hätte er es geahnt, riefen sie auch schon nach ihm, er solle endlich kommen und mitspielen, beim Verstecken und Suchen.

      Adam seufzte innerlich. Aber was half`s? Inzwischen kannte er seine Schwäche, dass er gegenüber den Kindern schwer Nein sagen konnte.

      Und so scheiterte auch sein zweiter Fluchtversuch an den Fluss, in die Stille seiner Gedankenwelt.

      Am Abend, als schon die Dämmerung hereingebrochen war und der Mond über dem Fluss stand, saßen Adam und Eva abermals vor der Hütte.

      „Du hast den Kindern also eine Geschichte erzählt“, sagte Eva nach einer Weile.

      „Ja“, sagte Adam. „Eine kleine Geschichte... Von sieben artigen Kindern.“

      Eva sah ihn an, mit einem neugierigen Lächeln.

      „Von sieben artigen Kindern? Erzähl, Adam. Die Geschichte möchte ich auch hören.“

      Adam wollte sich erst zieren, sah aber ein, dass Eva die Geschichte kennen musste, falls eines der Kinder sie mal darauf ansprach. Und also wiederholte er, was er den Kindern erzählte hatte, ohne etwas wegzulassen, ohne etwas hinzuzufügen, gespannt, ob seine Geschichte Evas Zustimmung finden würde.

      „Ein Gleichnis also“, sagte Eva, als er geendigt hatte.

      Adam sah sie erstaunt an.

      „Ein Gleichnis? Was meinst du damit?“

      „Na ganz einfach, du hast von roten Beeren erzählt, nun können wir ihnen vom Baum der Erkenntnis erzählen.“

      Adam war einen Moment lang sprachlos.

      „Hauptsache, sie haben das Gleichnis auch verstanden“, fuhr Eva fort. „Und sie beherzigen die Lehre.“

      Die Lehre? – Adam fielen sofort Lebudas kluge Trostworte ein. Aber die anderen, die Jüngeren?

      „Manchmal denke ich, wir erwarten vielleicht etwas zu viel für ihr Alter“, sagte er.

      „Ja, vielleicht...“ sagte Eva.

      „Was wissen wir schon, was in ihren kleinen Köpfen vor sich geht, was sie schon begreifen können und was noch nicht.“

      „Da hast du recht, Adam. Wir wissen zu wenig.“

      Sie schwiegen eine Weile.

      Dann sagte Eva: „Hast du schon mal daran gedacht, Adam, dass wir nie Kinder waren?“

      Adam nickte.

      „Ja, der Gedanke ist mir auch schon gekommen.“

      „Gott hat uns erschaffen, und wir waren gleich erwachsen.“

      „Ja“, sagte Adam, „uns fehlt etwas.“

      Und wiederum schwiegen sie eine Weile. Und blickten über die im Mondschein verlassen daliegende Wiese, die tagsüber so voller Leben war.

      „Manchmal“, sagte Eva, „machmal, Adam, beneide ich unsere Sprösslinge. Wenn ich sie spielen, wenn ich sie herumtollen sehe, so fröhlich, so unbekümmert...“

      Obwohl sie es mitunter etwas wild treiben, dachte Adam.

      „Ja“, sagte er, „wir beide, Eva, wir haben nie gespielt.“

      „Wir sind eben Gottes Geschöpfe. Und er ist unser Vater.“

      „Und das erste, was er uns gesagt hat, war ein Verbot.“

      Wiederum schwiegen sie eine Weile.

      „Was meinst du“, sagte Eva, „ob Gott eine Familie hat?“

      Adam sah sie erstaunt an.

      „Du willst sagen: Ob wir auch eine Mutter haben?“

      „Zum Beispiel.“

      „Gute Frage. Jedenfalls hat er uns nicht verraten, wie er uns gemacht hat.“

      „Ja, das wissen wir nicht.“

      „Wir wissen so vieles nicht, Eva. Eins aber weiß ich ziemlich genau: Gott hat gewiss nicht so eine fabelhafte Frau wie ich?“

      Nun musste Eva doch lachen.

      „Du alter Schmeichler“, sagte sie. „Und ich – ich weiß, wenn Gott eine Frau hat, dann hat sie bestimmt nicht so einen fabelhaften Mann wie ich, der so schöne Geschichten erfinden kann. Wie bist du eigentlich auf die Zahl sieben gekommen?“

      „Auf die Zahl sieben?“

      „Na, auf die sieben Kinder. Vielleicht, weil wir alle zusammen auch sieben sind? Und weil wir alle Gottes Kinder sind?“

      Nun war Adam doch etwas verblüfft, und eigentlich gefiel ihm der Gedanke nicht so recht; er fand, nur er, Adam, war der Vater seiner zwei Söhne und seiner drei Töchter. Eva neigte manchmal zu gedanklichen Übertreibungen. Und wenn man schon Evas Gedanken folgen wollte, dann durfte man vielleicht auch fragen, warum Gott, der Vater, sich seit mehr als zwanzig Jahren bei seinen Kindern nicht blicken ließ. – Aber die Frage behielt Adam einstweilen für sich.

      So verging die Zeit, und sie lebten weiter alle Sieben glücklich und zufrieden im Garten Eden. Sie litten keine Not, es geschah kein Unglück, die Kinder wuchsen heran, gesund, mit jedem Tag schöner und ein bisschen klüger. Wohl gab es hin und wieder kleinen Zank und Streit unter den Geschwistern. Aber wenn sie sich prügelten, versöhnten sie sich bald wieder. Und wenn sie besonders artig gewesen waren, erzählte ihnen Adam abends vorm Schlafen eine Geschichte.

      Aber auch die Zeit schlaffördernder Geschichten ging bald zu Ende. Es gab nun immer öfter kleine Neckereien zwischen den Geschlechtern. Und Adam sprach zu Eva und beschloss, abermals anzubauen: Einen Raum für die Jungen, einen Raum für die Mädchen. Und die vormalige Kinderstube wurde nun zum Schlafraum für Eva und ihn.

      Allein, die neuen Räumlichkeiten lösten auch nicht alle Probleme. Vor allem tagsüber.

      Kain entwickelte sich zusehends zum Anführer. Er wollte bestimmen, was gemacht wurde. Wollte entscheiden, was richtig und was falsch war. Er hatte entdeckt, dass er der Älteste war. Und Adam bemerkte, dass Kain auf Abel neidisch wurde, weil Abel zwei Schwestern hatte und er nur eine.

      Abel jedoch störte sich nicht an Kains neidischen Blicken, er war mit ganz anderen Dingen befasst, er sammelte Steine, fing Schmetterlinge, lag stundenlang im Gras und betrachtete die Wolken. Manchmal stellte er überraschende Fragen: „Warum wird es abends dunkel, und die Sterne fangen an zu leuchten?“ Oder: „Warum geht die Sonne morgens nicht da auf, wo sie abends untergegangen ist?“ Adam, der Vater, staunte. Noch ein Denker, dachte er. Der Junge schlägt nach mir. Eine Antwort aber wusste er auch nicht. Kain indes belächelte seinen Bruder. Lebuda jedoch gesellte sich gern zu ihm, interessierte sich für seine Steine, erfand Namen für seine Schmetterlinge, zusammen erzählten sie sich Wolkengeschichten.

      Adam fand, die beiden passten zueinander. Lebuda war von sanftem Wesen, begabt mit Phantasie und Geduld, konnte zuhören, Anteil nehmen und wurde von Tag zu Tag schöner, war Eva immer mehr wie aus dem Gesicht geschnitten. Sogar ihr feines, helles Haar hatte sie von ihrer Mutter.

      Zipporas Haare hingegen waren schwarz, so schwarz wie ihre Augen, und obwohl ein Jahr jünger