Bernd Schremmer

Adam und Eva


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das war das Wichtigste. Sie lebte! Das war der Beweis. Sie hatte die Wahrheit gesagt. Sie hatte nicht auf die Schlange gehört, sie hatte nicht vom Baum der Erkenntnis gegessen (und hatte auch keinen der Äpfel unter die Früchte des Abendessens gelegt). Sie hatte auf Gottes Wort gehört.

      Und doch wollte er keinen Schlaf finden.

      Weshalb, so fragte er sich immer wieder, war Eva, wenn sie schon meinte, ein bisschen spazieren gehen zu müssen, ausgerechnet dorthin gegangen, in die Mitte des Gartens, wo, wie sie genau wusste, der Baum der Erkenntnis stand?

      Aus Neugier?

      (Das war so eine Eigenschaft von ihr.)

      Ein Glück nur, dachte Adam, dass an dem Baum die Schlange gehangen hatte. Sonst wäre Eva nicht so erschrocken gewesen und davongerannt.

      Nicht auszudenken. Sie hätte von den Äpfeln vielleicht probiert und läge jetzt nicht neben ihm auf dem Schlafstroh. Und er würde auch nicht hier liegen, er würde draußen umherirren, um sie zu suchen. – Und sie dann irgendwann zu finden. Tot. Und dann?

      Ihn schauderte. Er wäre allein. Allein für alle Zeiten. Wie hätte er da weiterleben sollen – ohne sie?

      (Seid fruchtbar und mehret euch, hatte Gott, der Herr, gesprochen. Wie sollte das gehen, wenn er, Adam, allein wäre?)

      Die Luft in der Hütte war stickig. Es war wirklich ein heißer Tag gewesen. Und Adam wälzte sich hin und her, von einer Seite auf die andere. Er konnte einfach keinen Schlaf finden.

      Denn da war, es half alles nichts, noch ein anderer Gedanke, der ihn quälte. Eva, daran hatte er keinen Zweifel, war vor der Schlange davongerannt. Aber nicht gleich! Nicht in dem Moment, als sie die Schlange erblickte. Sie war erst einmal stehen geblieben. Die Schlange hatte sie, so Evas eigene Worte, freundlich angesehen. Und dann hatte sie – angeblich – gesprochen. Und Eva hatte ihr zugehört. Sie hatte der Schlange zugehört, und erst dann, nachdem sie die schrecklichen Worte vollständig vernommen hatte, war sie davongerannt. Verständlicherweise.

      Aber es gab keine sprechenden Schlangen. Darin ließ sich Adam nicht beirren. Wessen Stimme also hatte Eva gehört?

      Adams Spaziergänge

      Und als nun am anderen Morgen Eva die Augen auftat und sah, dass sie nackt war, da durchströmte sie jäh ein Gefühl der Erleichterung, ja, der Freude, dass alles so war wie an den Tagen zuvor. Und leise erhob sie sich von ihrem Schlaflager und blickte hinab auf Adam, der immer noch schlief – wohl weil er sich in der Nacht, wie sie durchaus gemerkt hatte, lange hin- und hergewälzt hatte. Und auch er war wie immer nackt, so wie am ersten Tag, als Gott, der Herr, sie beide erschaffen hatte. Und indem sie auf ihn hinabblickte und einen liebkosenden Blick über seine Glieder gleiten ließ, fand sie, dass er noch immer ein schöner junger Mann war, trotz der Jahre, die sie nun schon zusammen lebten in ihrer Hütte, die sie sich mit Verstand und viel Mühe gebaut und eingerichtet hatten nahe dem Ufer des Flusses, der den Garten Eden durchfloss und ihn wässerte und den Gott, der Herr, Prat genannt hatte.

      Ach, wie schön ist es, seufzte Eva innerlich, morgens aufzuwachen und alles so wiederzufinden, wie man es abends verlassen hat, um zu schlafen, vielleicht auch um zu träumen. Aber geträumt hatte sie nicht in dieser Nacht, nicht von der Schlange, auch nicht von einem angsterfüllten Lauf durch den Garten.

      Am besten, wir vergessen das Ganze, hatte Adam gesagt. Und sie hatte ihm nur zu gern zugestimmt. – Und doch musste sie heute morgen, indem sie nun hinaustrat aus der Hütte, wieder daran denken, an das Zischeln im Baum der Erkenntnis, an die Worte der Schlange.

      Da spürte sie plötzlich auf der Schulter Adams Hand. Er stand neben ihr in der Tür. Und sie spürte seinen warmen Leib an dem ihren.

      Das Wort nackt, sie fand, allein es zu denken, war immer noch eine Lust.

      Adam aber küsste sie nur kurz auf die Wange, dann lief er los, quer über die Wiese hinunter zum Fluss, und Eva folgte ihm. Sie badeten, so wie jeden Morgen, und trieben allerlei übermütige Wasserspiele, noch ausgelassener als sonst – nach dem glücklich überstandenen schrecklichen Abenteuer. Und Eva dachte: Vielleicht half ja der Fluss, zu vergessen.

      Ihr werdet... So hatte die Schlange gesprochen. Eure Augen werden... Die Schlange, überlegte Adam, hatte, obwohl Eva allein gewesen war, als sie vor dem Baum der Erkenntnis gestanden hatte, in der Mehrzahl gesprochen!

      Adam befand sich auf seinem gewohnten Nachmittagsspaziergang, am Ufer entlang auf dem schon etwas ausgetretenen Pfad, den er so gern ging, weil er dort weit über den mächtig dahinfließenden Fluss blicken und die Spiegelung des Himmels mit seinen glitzernden Sonnenstrahlen und den gelegentlichen Wolken betrachten konnte, als ihm nun jäh diese Merkwürdigkeit in der Rede der Schlange auffiel.

      Den ganzen Vormittag, während der gemeinsamen Haus und Gartenarbeiten, hatte er an Evas seltsames Erlebnis nicht zu denken versucht, aber jetzt, allein, in der Stille, waren ihm die, wie Eva gesagt hatte, gezischelten Sätze der Schlange wieder voll gegenwärtig.

       Ihr werdet keineswegs des Todes sterben. An dem Tag, da ihr vom Baum der Erkenntnis esset...

      Woher wusste die Schlange, dass Eva nicht allein im Garten Eden lebte? Woher wusste sie, dass es auch ihn gab, Adam? Er war nicht dort gewesen, sie hatte ihn nicht sehen können. Hatte sie ihn und Eva schon seit längerem beobachtet? Kannte sie womöglich Eva so genau, dass sie wusste, Eva würde auch ihm von den Äpfeln zu essen geben, weil es ja ihrer beider Art war, alles miteinander zu teilen?

      Fragen über Fragen.

      Allerdings nur, wie Adam sich eingestehen musste, unter der Bedingung, dass er glaubte, dass es eine sprechende Schlange gab. Was die zweite Voraussetzung einschloss, dass er Evas Bericht tatsächlich Glauben schenkte.

      Was für vertrackte Zusammenhänge!

      Mit gedankenschwerem Kopf ließ sich Adam auf einem der Felssteine nieder, die am Ufer lagen, und blickte auf das ruhig dahinfließende Wasser.

      Der Felsstein war einer seiner Lieblingsplätze. Wie oft hatte er hier schon gesessen und in der Nachmittagsssone seinen Gedanken nachgehangen. Woher kam das Wasser? Wieso versiegte es nie? Warum floss es überhaupt, warum stand es nicht still? Und wo floss es hin? Die Wörter, wenn sie sich zu Fragen zueinanderfügten, waren ihm stets eine ganz eigene Lust.

      Heute aber bereiteten sie ihm Unbehagen.

      Wenn es keine sprechende Schlange gab (und davon ging er nach wie vor aus), wessen Stimme hatte dann Eva vernommen? Und warum war sie überhaupt spazieren gegangen? Und warum ausgerechnet zu den beiden Bäumen in der Mitte des Gartens? Seine Nachtgedanken. Ihm war, als drehten sich in seinem Kopf die Wörter unaufhörlich im Kreise.

      Am anderen Ufer stand Gott, der Herr, aber Adam sah ihn nicht.

      Adam sah auf den im Sonnenglanz flimmernden Fluss, und er sprach: „Woher kommst du? Wohin fließt du?“

      Freilich erwartete er keine Antwort. Er war ja kein Narr.

      Schließlich erhob er sich und wanderte ein Stück weiter den Uferpfad entlang. Er gelangte zu den Stromschnellen, wo die springenden Fische, die er inzwischen Forellen nannte, zwischen den im Wasser liegenden Steinen ihre Kunststückchen vollführten, um gegen den Strom voranzukommen. – Kunststückchen. Adam musste lächeln. Welch ein hübsches Wort. Es war ihm in eben diesem Moment eingefallen. Woher nur, fragte er sich (schon zum wiederholten Male), kamen ihm all die Wörter? Und woher (die Überlegung war natürlich neu) hatte die Schlange die Wörter genommen? Seltsamerweise genau dieselben Wörter, die Gott, der Herr, einst gesprochen hatte! Zu Eva und ihm, als er an ihrem ersten Tag das Gebot erlassen hatte? Wie war das möglich? War da die Schlange, irgendwo versteckt im Gras oder in einem Gebüsch, anwesend gewesen?

      Adam fand, Gott hätte das bemerken müssen.

      Außerdem, was für ein scharfes Gedächtnis musste die Schlange besitzen, dass sie sich Gottes Worte so genau gemerkt hatte, über all die Jahre. Und welche Geduld musste sie aufgebracht haben, dass sie so lange