Charlotte Emma Haberland

Johannas Reise


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60

       Kapitel 61

       Kapitel 62

       Kapitel 63

       Kapitel 64

       Kapitel 65

       Kapitel 66

       Kapitel 67

       Kapitel 68

       Kapitel 69

       Kapitel 70

       Kapitel 71

       Kapitel 72

       Kapitel 73

       Epilog

       Historische Zeitleiste

       Dankeschön

       Impressum neobooks

      Vorwort

      Die drei Träume

      Ich watete durch einen Teppich aus Schlamm und Schlacke, wie sie nicht dicker und dunkler sein konnten. Ich kam kaum vorwärts. Ich schien in einem Schwimmbecken eines Freibades zu stecken: Um mich herum erkannte ich die helle Begrenzung des Bassins und die Steinplatten drumherum. Ich sah den Sprungturm über mir und die metallene Leiter zum Hineinsteigen. Ein Waldbad im Winterschlaf: Ich erkannte Tannen etwas weiter weg von mir.

      Die Schlacke und der Schlamm wurden mehr und mehr und immer fester. Ich lief dorthin, wo ich meinte, dort sei die Quelle.

      Tatsächlich saß dort meine Großtante. Sie weinte und weinte. Die Tränen liefen klar in feinen Rinnsalen ihr Gesicht hinab, sobald sie auf den Grund fielen, wurden sie dunkel und schlammig.

      Ich suchte die Herzen meiner Eltern. Ich befand mich auf einem Hügel, vielleicht eine Deponie, die schon mit Gras bewachsen war. Ich grub und grub, trug viel Dreck ab und fand das Herz meines Vaters, als leicht schrumpeliges, aber wohlleuchtendes und pulsierendes Herz. Es war lebendig. Ich hob es auf und es wurde kräftiger.

      Das Herz meiner Mutter allerdings fand ich erst unter meterdicken Schichten Erde als armseliges Glimmen und kaum hörbaren Puls. Es wollte nicht von mir aufgehoben werden. Das machte mich traurig.

      Ein großer Knall, etwas zieht mich hinab wie ein Sog, dann wird es dunkel. Stille. Ich kann nur noch meinen Kopf heben, alles andere ist gelähmt. Ich sehe mich auf Schutt liegen. Um mich herum sieht alles kaputt aus. Dann Dunkelheit, absolute Stille, mit daraufhin strahlender Helle.

      Kapitel 1

      Seit sie Tiegendorf verlassen hatten, waren sie ohne Pause gelaufen. Quer durch die Heide, manchmal durch zusammenliegende Höfe, durch Wälder, dann wieder an Feldern vorbei, viele Kilometer weit. Auch wenn es auf den ersten Blick nicht danach aussah, es gab ein Ziel. Und Johanna war willens, es nicht aus den Augen zu verlieren.

      Auf einer Weide machte sie Halt und schaute ihre Tochter an: 'Wie weit wird Sara noch laufen können', fragte sie sich. Erst jetzt, nach einem Marsch von fünf Stunden traute sie sich, auf ihre kleine Tochter Rücksicht zu nehmen. Je weiter wir von Tiegendorf entfernt sind, umso besser für uns beide, dachte sie.

      In diesem Augenblick fiel Sara auch schon erschöpft ins Gras und streckte die Beine von sich: 'Gut so', dachte sie, 'ich gehe nicht mehr weiter. Da kann meine Mutter machen, was sie will, hier ist Schluss.' Sie zog ihre Schuhe aus und rieb ihre Füße: Sie hatte das Gefühl, schon tagelang durch diese blöde, endlose Heide unterwegs zu sein. Es war fürchterlich mühsam, mit dem schweren Rucksack durch die Landschaft zu marschieren.

      Sie blickte zu ihrer Mutter hoch, sie hatte eine ganz wichtige Frage. Doch sie reagierte nicht: Johanna schaute gerade in den Himmel. 'Sie ist mal wieder abgelenkt – wie so oft in letzter Zeit.' Sara überlegte selbst, welchen Grund ihre Mutter für diese überstürzte Flucht haben konnte. Wir müssen sofort abhauen, hatte sie in der Wohnung zu ihr gesagt, raus aus dieser Stadt, und schau dabei ja nicht zurück. Warum sie sich nicht umdrehen durfte, wusste sie nicht genau. Sie fragte sich, ob sie vielleicht sonst zu einer Salzsäule erstarrt wäre, wie die Frau in der Bibel. Nach der Flucht aus der Wohnung sprach ihre Mutter nicht mehr. Sie lief nur noch, und Sara bemühte sich, mit ihr Schritt zu halten. Dass sie den ganzen Weg lang nicht mit ihr redete, war ungewöhnlich. Es musste sehr ernst sein. Sara wurde sonst, sobald ihre Mutter vom Dienst kam, geradezu vernommen: mit welchem Lehrer, Schulkameraden oder sonstigen Leuten sie über welche Dinge gesprochen hatte. Ob fremde Leute ihr Fragen gestellt hatten und was sie darauf geantwortet habe. Und wehe, sie erinnerte sich nicht genauestens. 'Zum Schluss will sie dann jedesmal wissen, wie mein Tag gewesen ist. Wenn sie mich fragt, wie mein Tag gewesen ist, scheint sie sich doch noch für mich zu interessieren', dachte Sara dann. In letzter Zeit hatte sie daran gezweifelt. Seit ihr Vater nicht mehr bei ihnen war, war es noch schwieriger zwischen ihnen geworden, als es ohnehin schon war. Ihre Mutter war manchmal sehr weit weg für sie. Dann bekam Sara das Gefühl, sie sei Luft. Wenn Sara allerdings gute Laune hatte und die Zweifel weit weg waren, bildete sie sich ein, ihre Mutter freue sich doch, sie um sich zu haben. Denn dann hatte Johanna wieder dieses Strahlen von früher in ihren Augen und das machte sie glücklich. Heute war es nun ganz anders. 'Ob Mama vielleicht Angst hat?' Sie konnte das alles sehr schlecht einordnen. 'Ob es an mir liegt?' Johanna hatte noch gesagt, sie solle alles vergessen, was gewesen sei. Ab jetzt solle sie nach vorn schauen. Sara konnte damit nichts anfangen. Weshalb sollte sie den schönen Vormittag bei Elsa vergessen? Sie hatten schulfrei bekommen und sie durfte den ganzen Tag bei Elsa bleiben und spielen, während ihre Mutter in der Klinik arbeitete.

      Johanna hatte gerade in einiger Entfernung einen größeren Wald entdeckt. Sie schaute wieder zur Sonne und schätzte die Länge des Schattens. 'Es ist später Nachmittag, wohl schon bald sechs Uhr. Heute werden wir wohl nicht mehr weit kommen, wir suchen uns besser Schutz für die Nacht', überlegte sie und sah ihre Tochter an. Etwas grob zog sie die nachdenkliche Sara am rechten Arm hoch, deutete auf den Wald und sagte: „Komm schon, Träumerle! Es geht weiter.“ Etwas sanfter fügte sie hinzu: „Nur noch ein Stück, bis in den Wald dort hinten.“ Die Angst saß ihr im Nacken. Furchtbare Angst. Am liebsten wäre sie die Nacht hindurch und noch den ganzen nächsten Tag weitergelaufen. 'Niemand soll uns kriegen können.' Wie knapp sie mit dem Leben davon gekommen war, wurde ihr immer bewusster.

      In einer Senke im Wald baute sie einen kleinen Unterschlupf aus Ästen, Zweigen, Laub und etwas frischem Grün. Der Wald tat ihr gut. Sie beruhigte sich langsam. Die Nachmittagssonne warf ihre letzten, noch warmen Strahlen durch das frische, durchscheinende Grün der Buchen. 'Die Sonne lässt sich durch nichts stören. Sie geht auf, sie geht unter. Morgen wieder und übermorgen und all die Jahre, Jahrzehnte, Jahrtausende wird sie dies tun. Da kann man sich sicher sein. Auf die Sonne ist Verlass.' Ein Teppich