Mira Birkholz

Dolúrna


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Caitlin bereits Platz geschaffen hatte.

      „Ich hab‘ uns Jamie mitgebracht!“, verkündete Hazel stolz und fügte mit gespielter Demut hinzu: „Männer sind eben doch das stärkere Geschlecht.“

      „Komm‘, Hazel, albere nicht rum“, schalt Caitlin, „bestimmt kommt gleich Magnus um die Ecke und schimpft, weil wir noch nicht fertig sind.“

      „Ach, der soll sich nicht immer so aufregen!“, schimpfte nun Hazel über ihren Chef, der von seinen Mitarbeitern verlangte, dass sie in Windeseile perfekte Ergebnisse präsentierten.

      Magnus Hartmann war aus Deutschland eingewandert und hatte vor gut zehn Jahren die Baumschule in Portmullen eröffnet. Niemand wusste so genau, warum er sich gerade diesen entlegenen Ort in Schottland ausgesucht hatte. Gab es nicht Gegenden, in denen günstigere Klimabedingungen herrschten und ein größerer Umsatz zu erwarten war, weil dort mehr Menschen lebten? Menschen, die wohlhabender waren, größere Gärten mit fruchtbareren Böden besaßen und die entsprechende Leidenschaft, jedes verfügbare oder nicht verfügbare Pfund in Pflanzen zu investieren?

      Seit Jahren munkelten die Einwohner Portmullens, Magnus sei geflohen. Vielleicht vor dem Gesetz, einer Frau oder gar vor sich selbst. Mit großer Skepsis beobachtete man das Wirken dieses Mannes, der in all den Jahren immer ein Fremder geblieben war.

      Hazels Chef schien nicht mit sich im Reinen zu sein. Dauerhaft unzufrieden wirkte er, gehetzt und ungeduldig. Niemals kam er zur Ruhe. Von morgens bis abends eilte er durch den Betrieb, zu Kunden, zu Lieferanten. Und je geschäftiger er war, desto mehr verwandelte sich sein Umfeld in ein heilloses Durcheinander von schmutzigen Werkzeugen, liegengelassenem Schnittgut und vergessenen Arbeitshandschuhen, die sich über das gesamte Baumschulgelände verteilten. Das Chaos, das er regelmäßig hinterließ, wünschte er wortlos von seinen Mitarbeitern beseitigt zu wissen. Ebenso verlangte er stillschweigend, dass sie Gespräche aller Art vermieden. Magnus war misstrauisch und vermutete hinter jedem Wort seiner Angestellten Privatgespräche, die sie von der Erledigung ihrer Arbeit abhielten. Dieses Misstrauen führte dazu, dass morgens keine Zeit für die notwendige Besprechung und Organisation einzelner Arbeitsbereiche blieb, denn alle Mitarbeiter stoben wie Hühner vor dem Fuchs in alle Richtungen davon, sobald Magnus aus irgendeinem Gebüsch gehuscht kam.

      Hazel fand dieses Verhalten lächerlich, obwohl auch sie sich von den Kollegen fernhielt, wenn Magnus unverhofft auftauchte. Warum mussten erwachsene Menschen vor einem Mann fliehen, der nicht zu begreifen schien, dass die Arbeit zu zweit oder in Gruppen sich viel effektiver gestaltete? Das menschliche Miteinander, das Gespräch zwischen Menschen setzte Energien frei, aus denen Kreativität und Motivation erwuchsen! Doch diese ließ Magnus nicht zu.

      Hatte das wirklich etwas mit der Selbstdisziplin zu tun, die man hier in Portmullen den Deutschen nachsagte? Bedeutete Selbstdisziplin den Verzicht auf zwischenmenschliche Beziehungen? Den Verzicht auf Dinge, die man sich nur kaufte, weil sie einem gefielen, obwohl man sie nicht brauchte? So wie die schönen keltischen Ohrringe, die Hazel gestern im Ort erstanden hatte? Beinhaltete Selbstdisziplin, dass man sich keinem Menschen öffnen durfte? Niemals sein Selbst preisgeben oder die Kontrolle über sich verlieren? Niemals weinen? Niemals vor Glück die Welt umarmen? Nein, das war nicht Hazels Mentalität!

      Wenn es ihr – im Gegensatz zum Großteil der Bewohner Portmullens – auch völlig gleich war, woher ein Mensch stammte, so blieb doch auch Magnus ihr ein Rätsel.

      Wie konnte man fröhlich und friedlich miteinander leben, wenn die Menschen sich jede Freude verwehrten, nicht miteinander sprachen, lachten und Dinge erschufen. Wenn sie sich keine Ruhe gönnten, keine Zeit zum Leben und zum Träumen? Wo blieb denn in all dieser hektischen Betriebsamkeit der Lebenssinn?

      „Fass‘ mal mit an, Hazel!“, riss Caitlin sie aus ihren Gedanken.

      „Du hast schon wieder geträumt, was?“, neckte Jamie.

      „Wenn ich bloß wüsste, ob ich der Auserwählte bin!“

      Grinsend musterte Jamie seine Kollegin.

      Hazel war einen Kopf kleiner als er, ungewöhnlich breitschultrig für eine Frau, kräftig, aber doch geschmeidig in ihren Bewegungen, wie die Fischotter, die sie an der Küste beobachtet hatten. Ihre Haare glänzten in einem dunklen Braun und trugen einen Hauch Widerspenstigkeit zur Schau, die das Spiegelbild ihres Wesens darstellte. Hazels braune Augen ließen Jamie an zwei reife Haselnüsse denken, und regelmäßig zog er sie damit auf. ‚Hasel-Äuglein‘ nannte er sie spöttisch, worauf sie sich stets wütend auf ihn stürzte.

      Ja, Hazel hatte etwas Burschikoses an sich, etwas Wildes. Doch das machte sie für Jamie umso attraktiver.

      „Glaubst du ernsthaft, ich träume von dir?“

      Beim Lachen warf Hazel ihr Haar über die Schulter, damit es ihr nicht die Sicht auf den großen Terrakotta-Topf nahm, den sie mit Jamie und Caitlin vorsichtig von der Palette hob und in ein Regal stellte.

      „Von mir träumt doch jede Frau!“, strahlte Jamie, während er unter leichtem Schnaufen den schweren Kübel absetzte.

      „Darauf kannst du lange warten!“, erklärte Hazel, strich sich das Haar aus dem Gesicht und band mit geübten Fingern ihren Zopf neu.

      „Sie träumt von einem Mann mit blauen Augen!“, schaltete sich Caitlin triumphierend ein und erntete einen bitterbösen Blick von Hazel.

      Erstaunt hob Jamie die Augenbrauen.

      „Meine sind grün“, stellte er nachdenklich fest.

      „Siehst du?!“, konterte Hazel. „Schon bist du raus!“

      „Und sie müssen unbedingt blau sein? Ich kann mir doch blaue Kontaktlinsen besorgen, Hasel-Äuglein!“

      „Das ist nicht das gleiche!“, behauptete Caitlin lachend.

      „Dann bräuchtest du nämlich noch ein schwarzes Toupet und geschmeidige Handprothesen, die Hazel zärtlich streicheln können!“

      „Du glaubst, das kann ich nicht?!“, empörte sich Jamie.

      „Keine Ahnung!“, Caitlin lief rot an.

      Forsch griff Hazel seine Hand und begutachtete sie.

      „Viel zu rau!“, befand sie kritisch.

      „Und einen silbernen Ring trägst du auch nicht!“, bemerkte Caitlin.

      „Wieso Ring?“

      „Na, Hazel hat doch geträumt, dass…“

      „Jetzt ist aber Schluss!“, protestierte Hazel zornig. „Dir werde ich noch mal was anvertrauen, Caitlin!“

      „Ach, Hazel, das war doch bloß Spaß!“

      „Geheimnisse erzählt man nicht weiter! Auch nicht aus Spaß!“

      Wütend und verletzt drehte Hazel sich um, und fast wäre sie Magnus in die Arme gelaufen, der soeben hinter dem mächtigen Buchsbaum-Kegel hervor hüpfte, flink und hurtig wie ein Mauswiesel.

      Ließ der Name „Magnus“ auch einen hünenhaften Nordländer vermuten, so hatte der deutsche Chef doch eher die Statur eines kleinen schwedischen Trolls, die es ihm umso leichter machte, sich nicht nur vor seinen Mitarbeitern, sondern auch vor vermeintlichen Kunden zu verstecken. Denn zu seinem Misstrauen gesellte sich die Scheu vor Menschen. Vielleicht hatte Magnus sich deshalb nach Schottland zurückgezogen. Hier am Mull von Kintyre konnte man stundenlang durch die Landschaft streifen, ohne einem Menschen zu begegnen.

      Nun aber trat er auf seine Mitarbeiter zu, um sie daran zu erinnern, wer hier das Sagen hatte.

      „Jamie“, begann er vorwurfsvoll, „du solltest doch die Bäume anbinden! Im Sturm fallen die alle um, und wenn sie Schaden nehmen, können wir sie gleich verschenken!“

      Jamie sah zu Hazel und verdrehte die Augen, so dass sie schon fast wieder lachen musste.

      „Ja, mach‘ ich gleich“, beruhigte er Magnus, fügte aber hinzu, „ich helfe nur eben den Mädels mit den schweren